Solidarität im Raum

Preisfrage: Was hat der FC Barcelona, was Manchester City nicht hat? Es gibt viele mögliche Antworten (Vereinsstatus, Erfolg, gutes Wetter, bekanntere Kooperationspartner, eine Nachwuchsabteilung, etc.). Eine Antwort könnte auch lauten: eine Identität. Aber keine Angst. Es folgt nun nicht das für die 5-Freunde übliche „Keine Tradition gleich kein Recht auf Erstligafußball“-Gebrüll, sondern der Versuch, im vielbeschriebenen Erfolgsmodell des FC Barcelona einen der Schlüssel zu finden, der diesen Verein auch in den nächsten Jahren zu DEM (falschen) Vorbild für alle anderen ambitionierten Klubs macht.

Ich möchte an dieser Stelle warnen: bitte hört auf damit, so werden zu wollen, wie der FC Barcelona. Ihr werdet es nicht schaffen! Gebt auf und besinnt Euch auf Euch! Dortmund bleibt Dortmund und wird niemals das „neue“ Barcelona sein. Ganz bestimmt!

Manchmal habe ich das Gefühl, dass der gemeine Fußballfan (ich schließe mich mit ein) noch gar nicht erkannt hat, welch großes Glück ihm widerfährt. Das Glück, Zeuge einer Mannschaft zu sein,  die Fußball auf ein neues Level gehoben hat. Ein Spiel, wie zumindest ich es noch nie gesehen habe. Zugegeben, wenn das versammelte Expertentum anfängt, die fußballerische Klasse Barcelonas mit messerscharfen Blick zu analysieren, höre ich bewusst weg. Mich interessiert das Geschwafel von „viel Ballbesitz“ (Ja, wie erreichen sie den denn?), „finden immer eine Lösung“ (Was heißt das genau?) und „sie haben halt einen Messi“ (ach so) nicht. Ich habe mich damit abgefunden, dass Fußball offenbar zugleich ein enorm komplexes und simples Spiel sein kann. Doch dann gibt es diese Momente abseits des Fußballplatzes, die mich versöhnen und die mich erahnen lassen, dass man die Essenz des Spiels mit wenigen Worten fassen kann, auch wenn es ganz große Begriffe sind.

Anlass für meine Freude war ein SZ-Interview (leider nicht online verfügbar) mit Xavi Hernandez, dem Gehirn/Herz/Zentrum/Taktgeber des FC Barcelona, welches ich vor ca. zwei Monaten las und welches mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. In diesem Interview preist Xavi zunächst routiniert das (fußballerische) Talent seiner Mitspieler, philosophiert über Dreiecke, seine körperlichen Defizite, schnelles Denken und Räume.

Ähnlich wie in diesem Interview mit dem Guardian, kommt zum Ausdruck, dass er beinahe besessen von der Idee des Raums ist. Selbst im Privatleben hält er stets nach „Raum“ Ausschau. Wie alle anderen Profifußballer scheut er sich nicht, den Teamgeist, die mannschaftliche Geschlossenheit Barcelonas zu loben und sich nur als kleinen Teil des Ganzen zu beschreiben. Doch dann passiert er. Dieser eine Moment, auf den man in Fußballerinterviews oft vergeblich hofft. Xavi gibt ein Geheimnis preis. Er führt den ausgelutschten Begriff des  „Mannschaftssports Fußball“ weiter. Angesprochen auf das herausragende Talent Messis, gibt Xavi einen Blick in seinen Kopf frei (und damit – siehe oben – in das Gehirn Barcas), der vielleicht erklärt, was diese Mannschaft besonders und auf längere Sicht einmalig macht. Xavi sieht sich als helfenden Spieler, denn in seiner Überzeugung muss Fußball (und damit der Fußballer) – Achtung! – solidarisch sein. Er sagt (frei): wenn ich Messi sehe, wie er leidet, wenn er den Ball drei, vier Minuten nicht hatte, hole ich ihn zu mir, ziehe ihn zu mir ins Mittelfeld zurück und gebe ihm den Ball, weil ich weiß, dass es ihn glücklich macht. Somit hat er nicht nur den selbstverständlichen Blick für den freien Mitspieler, sondern auch den Blick für den unglücklichen Mitspieler.

Wenn „Solidarität […] das Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch werden kann und soll“ (Alfred Vierkandt) ist, ist Xavi gelebte Solidarität. Nicht das Ich ist entscheidend, sondern das Wir. Ähnlich wie ein für mich denkwürdiger Auftritt von Valerien Ismael im ZDF-sportstudio („als Fußballer muss man Demut zeigen“), löst Xavi mit dem Begriff der Solidarität zunächst ein beglückendes Unwohlsein in mir aus. Solidarität ausgerechnet im Profisport? Geht das überhaupt? Und wie um Himmels willen kommt gerade ein erfolgsverwöhnter Fußballer auf solch einen nach Gutmenschentum schmeckenden Begriff?

Vieles ist wahrscheinlich mit der exponierten politischen Situation Kataloniens zu erklären. Der Verein Barcelona gilt bis heute als Aushängeschild der Kulturnation Kataloniens.  Dieses Selbstverständnis spiegelt sich im (schon erstaunlich alten) Vereinsclaim „Més que un club“ („Mehr als ein Verein“) wider. Der gebürtige Katalane Xavi spielt seit seinem elften Lebensjahr beim FC Barcelona. Er saugt die Ideen und Ideale quasi mit der Muttermilch auf. In seiner Satzung verpflichtet sich der Verein unter anderem, für den Menschen da zu sein (so simpel kann Komplexität sein!), Katalonien zu dienen. Soziales Engagement, der jahrelange Verzicht auf einen Brustsponsor und die Tatsache, dass der Klub noch immer als gemeinnütziger Verein demokratisch geführt wird (und nicht – siehe ganz oben – von einem Ölscheich fremdbestimmt),  sind Hinweise darauf, dass Xavis Visionen von der solidarischen (Fußball-)Gemeinschaft auch politisch gelesen werden können (vielleicht sogar gelesen werden müssen?!).

Übersetzt man das Suchen Xavis nach Raum mit dem Suchen nach Freiheit, wird einem schnell bewusst, wie identitätstiftend das Absolvieren des vereinseigenen Fußballinternats La Masia sein muss. Sicherlich kann man darüber streiten, ob Politik/Kultur/Geschichte und Fußball(kunst) miteinander verknüpft werden sollten. Andererseits: sind sie das nicht immer? Und wenn das Resultat von solch einzigartiger Kunst ist, wie der Fußball der „Blaugrana“ (sagen alle, die auch dazu gehören wollen), erübrigt sich eine Diskussion von selbst.

Solidarität und Raum. Demokratie und Freiheit. Große Begriffe für einen kleinen Mann, der in seiner Anfangszeit gegen einige Widerstände anspielen musste („zu klein“, „zu schmächtig“).
Der Taktgeber der Mannschaft beschloss daraufhin, auf sein Gehirn zu vetrauen und sein Herz nicht zu verkaufen. Nicht der Körper wurde mehr trainiert, sondern die Flexibilität des Geistes. Die Entscheidung, wohin der nächste Pass geht, ist schon gefallen, bevor der Ball am Fuß ist. Egal, ob der Mitspieler nun frei oder unglücklich ist, der Pass muss dem Ganzen dienen.

Im besagten Guardian-Interview wird sein Teamkollege Dani Alves zitiert. „Xavi“, sagt dieser, „plays in the future“. Eine schöne Zukunft, möchte man hinzufügen. Aber genau das ist der Grund, warum der FC Barcelona zukünftig nicht kopiert werden kann. Denn Xavi war schon da.

Über den Autor: Buxe

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.
13 comments
  1. Bzgl. Xavi hast Du natürlich komplett recht. Dass immer wieder Messi Weltfußballer wird und nicht Xavi oder Iniesta zeigt einmal mehr den Unsachverstand vieler „Experten“.

    Die Rolle des FC Barcelona als Verein ist leider sehr zwiespältig. Ob er es will oder nicht (und er kokettiert national gesehen zumindest damit) ist er ein aktiv gelebtes Symbol der Überlegenheit Kataloniens gegenüber dem restlichen Spanien (und genau das ist das erste Gefühl, das einem vermittelt wird, wenn man denn in Barcelona ist und Castellano, also spanisch, spricht) ist. Ja, er ist identitätsstiftend, aber das leider nicht ohne die absolute Abgrenzung nach außen. Natürlich nicht so sehr durch den Club selbst, aber durch seine Anhänger.

    Siege gegen Real Madrid sind daher auch immer politische Siege gegen das ungeliebte bis verhasste Restspanien; das Zeichen der Superiorität – sportlich, aber auch in allen anderen Bereichen. Und deshalb stehe ich der von Dir hervorgehobenen Identität sehr kritisch gegenüber.

    Man stelle sich vor, die Bayern wären das Symbol der Überlegenheit des Freistaats gegenüber allen anderen Bundesländern (zum Teil werden sie sicherlich so gesehen, aber das Ausmaß ist in Katalonien noch ein ganz anderes). Ich glaube kaum, dass Du dies dann als etwas positives bezeichnen würdest.

  2. Ich will jetzt gar nicht den großen Befürworter des FC Barcelona spielen, weil mir der Hype um diesen Verein momentan doch extrem auf die Nerven geht. Aber, an Don gerichtet: du kannst dieses Überlegenheitsgefühl, das die Katalanen deiner Meinung nach zeigen und das sich auch im FC Barcelona widerspiegeln soll, doch nicht einfach kritisieren ohne auf die historischen Gegebenheiten (die dir ja sicher bewusst sind) einzugehen. Hätte, um deinem Beispiel zu folgen, der Freistaat Bayern jahrzehntelang unter der Unterdrückung Restdeutschlands gelitten, dann würden die Bayern heutzutage mit Sicherheit mit deutlich größerem Stolz von ihrem Club und ihrer Überlegenheit sprechen.
    Des Weiteren kann ich (und ich bin auch häufig in Katalonien unterwegs) wirklich nicht nachvollziehen, dass du meinst, die Katalanen würden einem sofort ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Restspanien zeigen. Bis vielleicht auf Regionen rund um Girona (die einfach wenig mit Restspanien in Kontakt kommen), ist es nahezu nirgendwo ein Problem, sich auf Castellano zu unterhalten, da es einfach eine sehr große Anzahl an (spanischen) Einwanderern gibt.

  3. @Original: Zum einen sind meine Erfahrungen (die sich allerdings alleine auf den Großraum Barcelona beziehen) gänzlich andere und zum anderen ist die Unterdrückung der katalanischen Kultur und Sprache mittlerweile seit 36 Jahren vorbei.

    Natürlich sind die Älteren dadurch noch geprägt, aber wo da jetzt die jüngeren Katalanen so dermaßen unterdrückt werden, kannst Du mir gerne mal erklären.

    Und daher sehe ich im FC Barcelona (so gerne ich den Klub auch mag) heutzutage leider in erster Linie ein Symbol der Abgrenzung bis hin zur Spaltung. Nicht umsonst wurden vor einigen Jahren die spanischen Kennzeichen von den Städten abgekoppelt, weil v.a. nach Siegen von Barca gerne mal Autos mit dem „M“ im Nummernschild demoliert oder gleich abgefackelt wurden.

  4. Gut, unser Empfinden in der alltäglichen Art der Katalenen gegenüber Nicht-Katalenen ist natürlich sehr subjektiv und mag einfach durch vollkommen andere Erfahrungen geprägt sein. Nach meiner Erfahrung gibt es natürlich viele (junge) Katalenen, die einer Unabhängigkeit sehr wohlwollend gegenüberstehen. Aber: ich habe nie die Erfahrung gemacht, dass sich dies in einer Abneigung gegenüber der spanischen Restbevölkerung niederschlägt. Im Gegenteil war es bei mir eher so, dass Spanier (v.a. aus Madrid) deutlich gereizter und uneinsichtiger auf separatistische Einstellungen reagiert haben, während Katalanen die Sache etwas entspannter sehen (weil sie wohl auch einfach wissen, dass eine Unabhängigkeit momentan unrealistisch ist). Vielleicht liegt da wirklich der grundlegende Unterschied zwischen uns: du magst es als Überlegenheit empfinden, ich eher als meiner Meinung nach legitimen Wunsch nach Unabhängigkeit, der sich aber nicht in Verachtung über Restspanien ausdrückt.

  5. Man ersetze bitte auch alle „Katelenen“ durch Katalanen :)

  6. @Original: Der „Hype“ um die Mannschaft & die Mannschaft an sich sind zwei total unterschiedliche Dinge. So sehr vll. die Medien einen „Hype“ um die Mannschaft machen, die Mannschaft wirkt auf mich doch recht „bodenständig“. Spieler wie Xavi oder Iniesta verkörpern geradezu das Gegenteil eines gehypten Spielers, ganz zu schweigen von Messi. Bescheidener geht doch nicht. Abgesehen davon habe ich den Hype ja durchaus anklingen lassen („alle wollen so spielen wie Barcelona“). Trotzdem danke ich Dir für Deinen Beitrag, gerade weil Du dem Don widersprochen hast:)
    @Don: Ich habe durchaus versucht, bei der Mannschaft zu bleiben. Diese verkörpert für mich neben den genannten Dingen vor allem auch Respekt vor dem Gegner & dem Schiedrichter (kaum einmal wird lamentiert), kein dreckiges oder aggressives Spiel und vor allem wenig Überlegenheitsgefühl. Das die Spieler des FC Barcelona denken, sie seien mit Abstand die Geilsten (was sie in meinen Augen sind) merkt man ihnen nicht an. Wie es in Barcelona-Stadt oder Katalonien aussieht, kann ich nicht beurteilen.

  7. Moin! Zufällig bin ich auf Deinen guten Artikel gestoßen – auf der Suche nach eben diesem Interview in der Süddeutschen!! Mir ging es haar genau so… nachdem ich das gelesen habe, bin ich 3 Tage grinsend umhergelaufen! :-)
    Schön dass es andere auch so gesehen haben.
    Gerade etwas Bayern in der CL gegen Basel gesehen – traurig!! Da schau ich mir doch lieber wieder mal die Aufzeichnung des besagen Finales im letzen Jahr an!
    Ich glaube auch Xavi hat komplett recht.. Warum flutscht es bei einer Manschaft – oder in einem bestimmten Spiel – und warum manchmal nicht?? Ich glaube die Angst muss jedes mal neu geknackt werden – so dass die Spieler sich wohl fühlen und begreifen dass sie spielen dürfen – und sollen! So vergehen 20, 30, 100 Pässe die sinnlos aussehen.. aber die doch einen Sinn ergeben – einfach spielen! Das Tor-schießen-müssen einfach mal ausblenden.. den Gegner absichtlich auf engstem Raum ausspielen.. herrlich. Und dann wie zufällig wenn alle zusammen streben – wird zugeschlagen – die Mannschaft als ein großes Wesen! ;-)

    Aber ich muss auch sagen, dass ich ernsthaft Angst habe, dass Barca dies vielleicht mit Xavis altersbedingten Ausscheiden irgendwann, verlieren könnte. Ich beobachte, dass wenn er mal nicht spielt, die Mannschaft sehr viel schwerer in ihr geniales Spiel findet. Hoffen wir das bald ein zweiter Xavi heranreift. Aber wer könnte das sein?

  8. @Uwe: Danke für Dein feedback. Freut einen doch, wenn man weiß, dass man ab und zu auch gelesen wird! Wer der neue Xavi wird, kann ich leider auch nicht sagen. Und wenn ich´s wüsste, dann bestimmt nicht hier:)

  9. So viel Potential der Götze auch haben mag, er ist halt doch ein anderer Spielertyp. Weniger Stratege, dafür größerer eigener Zug zum Tor. Ich kann mir aber vorstellen, dass der nächste Xavi gerade irgendwo im Barca-Jugendinternat rumrennt.

  10. @Goldschuh: Klar, das ist völlig richtig. Aber Xavi kam bestimmt auch noch nicht als Stratege auf die Welt. Und oft ist es doch so, dass Spieler mit wachsendem Alter eher in die Mitte wechseln (Özil, Schweinsteiger…) und von dort dann eher Stratege sind. Deshalb kann ich mir das bei Götze auch gern vorstellen. Ich würde auf jeden Fall mal wieder gerne eine deutschen Spieler bei Barca sehen.

  11. Götze mit Messi, Iniesta und Xavi zusammen kicken zu sehen, wäre in der Tat sehr, sehr geil.

  12. Aber ihr beiden seid offenbar als Strategen auf die Welt gekommen, meine Fresse…

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