Where Football is Religion

Eine Reise in die USA verbindet man nicht zwingend mit der Idee, Fußballverrückte im europäischen Sinne zu treffen. Auch wenn in New York vieles möglich ist, aber Fußball? Und dann auch noch Verrückte? Doch dann kommt alles anders und es passieren Dinge, die man nicht für möglich gehalten hätte.

Rückschau:  seit Wochen steht fest, dass ich (mal wieder) nach New York „muss“. Nicht nur viel Flugangst liegt im Gepäck, sondern auch ein altes Torwart-Trikot. Ein schönes Schätzchen aus den 80ern (noch made in West Germany) wartet darauf, den Flug über den Atlantik mit anzutreten. Der Grund: ein New Yorker namens Baris hatte es zu Wochenbeginn von mir ersteigert. Der persönlichen Übergabe steht nichts mehr im Wege, Baris macht einen sympathischen Eindruck, also trifft man sich zwei Tage nach der Landung stilecht bei McDonald´s. War ja klar. Die Skepsis ist groß.

Was will der Mann nur mit diesem Teil? Spielt er in irgendeiner lustigen Hobbytruppe „soccer“? Hat er sich schlichtweg verkauft? Wird er überhaupt da sein? Die Vorbereitungen zum Treffen, via email 1A geplant, erinnern eher an einen (schlechten) Spionagefilm. Ich habe keine Ahnung, wie der Mensch aussieht, er wird lediglich das ausgedruckte Bild des Trikots auf seinem Tisch liegen haben. Weiterer Rückschlag: es handelt sich um eine 3-floor-Filiale. Dass der Laden zu allem Überfluss gerappelt voll ist (Freitag, 18 Uhr Ortszeit) macht das Treffen nicht gerade leichter. Mit zehnminütiger Verspätung trifft der untypisch unpünktliche Deutsche ein. Nach einigem Wirrwarr wird in der 2. Etage Baris entdeckt, der seinerseits gleich loslegt und erzählt, dass er bereits zwei Leute irrtümlich als „Buxe“ ausgemacht hatte. Ein unverbindliches „How are you“ und schon bin ich drin im Kosmos eines Fußballverrückten, der mich in den nächsten (tatsächlich!) 90 Minuten fesseln wird.
Die Geschichte: Der gleichaltrige Baris ist mit 22 aus Istanbul nach New York gezogen, lebt und arbeitet dort als Grafik-Designer und ist wahrscheinlich der größte Besiktas-Fan jenseits des Bosporus. Er ist dabei, eine Trikotanthologie seines Lieblingsclubs anzulegen, die von den frühen 80ern bis in die Gegenwart reicht. Das von mir ersteigerte Torwart-Trikot ist nur einer von vielen Bausteinen. Schnell wird das Smartphone gezückt, das WiFi-Netz des Bulettenshops angezapft und schon befinden wir uns in der Trikotwelt des Baris. Auf seiner flickr-Seite (um das grau-diagonal-gestreifte Trikot geht´s in diesem Artikel) hat er die Fotos seiner Sammlung abgelegt. Eindrucksvoll.
Über ein weltweit gespanntes Netz an Kontaktpersonen hat er sich bereits eine Menge aufgebaut, vieles fehlt noch, einiges wird wahrscheinlich immer ein Traum bleiben. Ziel ist eine Ausstellung in der türkischen Botschaft in New York und ein kleines Begleitheft, das als eine Art schriftlicher Dokumentation der Sammlung dienen soll. Danach erfährt der ahnungslose Deutsche noch einiges Aktuelles über seinen Herzensverein (bspw. dass bei Magath, ähnlich wie bei Klopp, die Brille nach dem Pokaltriumph in München kaputtgegangen sei), dass Besiktas – ähnlich wie Schalke – noch immer bemüht sei, sein Arbeiterclubimage aufrecht zu erhalten und dass es – natürlich – einen Ex-Schalke-Spieler in der aktuellen Elf gibt: Fabian Ernst. Aber auch historisch ist noch einiges zu lernen, so etwa, dass Christoph Daum gleich zweimal Trainer des Clubs war oder dass Raimund Aumann in den 90ern das Tor von Besiktas hütete.


Nach ereignis- und erkenntsreichen 90 Minuten muss das Spiel leider abgepfiffen werden. Baris begleitet mich noch zum großen Bahnhof und stellt fest, dass man doch irgendwann einmal unbedingt ein Bier im Nevada Smiths trinken muss, der Laden, in dem das Wort „soccer“ so verpöhnt ist wie Rotwein und skinny-water.
Ich kenne den Laden bereits von einer früheren Reise. Damals, 2008, habe ich dort „The Klassiker“ gesehen, ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und England. Damals habe ich mir von einem Amerikaner unter anderem erklären lassen, warum Sean Wright-Phillips niemals ein guter Stürmer wird. Und auch dieses Mal möchte ich zwingend dorthin. Am nächsten Tag, Samstag, bietet sich die Gelegenheit zu einem kurzen Abstecher, da erstens Bundesliga läuft und zweitens die (weibliche) Begleitperson beruflich eingespannt ist. Mein Problem: die Ortszeit. Eine Bundesliga-Spieltag beginnt hier bereits um 9.30 Uhr in der Frühe. Egal. Schnell noch den besten (und mit knapp 8 Dollar wahrscheinlich auch teuersten) Sandwich der Stadt bei Eisenberg geholt und dann ab ins Mekka. Die Idee, auf Orangensaft zu setzen, verflüchtigt sich schon auf dem Weg. Zu groß ist der Reiz, zumindest eines der unzähligen gezapften Biere bei großen Spielen (ua. Stuttgart-Schalke) zu genießen. Gesagt, getan.

Zunächst ist der Laden nur wenig gefüllt, einige deutsche Kommentare vor dem Sky-Bildschirm sind zu vernehmen. Dann, in England beginnt die Premier-League, wird´s merklich voller. Teilweise in voller Trikotage verirren sich mehr und mehr Touristen, Fans und Schaulustige in den Laden, der vornehmlich aus Bier, Screens und Trikots zu bestehen scheint. Patrick, eingewanderter Besitzer des Nevada Smiths, der den Laden zunächst nicht als Fußballkneipe führte, begrüßt in unregelmäßig regelmäßigen Abständen Berühmtheiten des Fußballs. So erfahre ich unter anderem, dass Sir Alex Ferguson mehr oder weniger zum Stamm zählt, der hier auch gerne einmal einkehrt, wenn er für Verwandte auf Wohnungssuche in New York ist. Aber hier zählt nicht der Gossip, hier zählt allein das Spiel (und der Schnaps, den sich die Exil-Engländer auch gerne um 10 Uhr morgens geben) und der Support.
Mein Spiel läuft leider nur in der Konferenz, da ist es (fast) schon schöner, die Bayern in Hannover verlieren zu sehen. Leider kann ich nicht das ganze Spiel verfolgen, denn – man glaubt es kaum – New York hat noch einiges andere zu bieten und die Zeit ist knapp. Das Wetter ist schön, Central Park & Co. warten und ManUnited wird erst am nächsten Tag vor vollem Nevada-Smiths-Haus gegen Liverpool verlieren.


Was bleibt, ist das Überdenken der eigenen Vorurteile. Fußball in den USA? Geht sehr gut. Nicht überall, aber wenn, dann richtig. Dahinter stehen natürlich die „Eingewanderten“. Aber solche Unterscheidungen werden in New York kaum getroffen. Völlig zurecht im übrigen.

Über den Autor: Buxe

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.
5 comments
  1. Wusste gar nicht, dass du in den USA bist. Sehr schöner Reisebericht auf jeden Fall. Denn wegen was außer Fußball geht man sonst dahin. Viel Spaß noch!

  2. Hier noch der link zu Baris`Blogbericht. Leider (noch) auf Türkisch aber dafür mit tollem Beweisfoto…
    http://www.yagmurlubirgundegormustumseni.blogspot.com/

  3. Und so heißt unsere website wohl auf Türkisch: „Ofsayttaki 5 Arkada?“:)

  4. Sehr schöner Bericht und ein schönes Nerd-Foto auf der türkischen Seite!

    Aber Spiele nicht zu Ende zu gucken, nur weil der eigene Verein auswärts in Unterzahl hinten liegt, ist indiskutabel.

    Und nun die Frage aller Fragen: Wer war die Perle?

  5. Dies ist ein Fußballblog, Du Thailandurlauber. Solche „Mädchenfragen“ darf nur Esleben stellen!

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