Die Lehren der WM-Vorrunde

Lehren der WM-Vorrunde

Heute steht zum ersten Mal seit zwei Wochen nicht das Abendprogramm fest, dafür aber alle Teilnehmer des Achtelfinales. Eine gute Gelegenheit, um ein Zwischenfazit der WM 2014 zu ziehen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder gar durch taktische Analysen unterfüttert, rein subjektiv und als Diskussionsgrundlage verstanden: Die Lehren der WM-Vorrunde.

Bierpokal, Bierpokal, Deutschland egal

Sieben Punkte aus drei Spielen, das klingt nach einem souveränen Einzug ins Achtelfinale. Was das deutsche Team aber bisher gar nicht geschafft hat, ist mich in irgendeiner Weise zu berühren. Noch nie war ich emotional so auf Distanz zu einer deutschen Nationalmannschaft, selbst 2002 schafften es Bernd Schneider und der unvermeidliche Titan für Identifikation mit einem Team zu sorgen, in dem Carsten Ramelow im Mittelfeld dilletierte. 2014? Nichts! Fehlanzeige! Eine Mannschaft, die ihr Programm routiniert herunter spult, sowohl auf dem Platz als auch im Umgang mit Medien und den sozialen Netzwerken. Aber Identifikationsfiguren hat diese Mannschaft nicht zu bieten. Hat sich das Konzept Löw überlebt? Ist die Bierhoffisierung des Fußballs an einem Punkt angekommen, an dem einem die vermeintlich beste Mannschaft des Landes so egal ist, wie Bierhoffs Marketing-Deutsch. Ja, Deutschland ist noch dabei, schön, aber wirklich geile Partien im Achtelfinale warten doch mit Brasilien gegen Chile, mit Kolumbien gegen Uruguay oder Frankreich gegen Nigeria.

Die Breite an der Spitze

Die WM 2014 hat bisher ein phänomenales Niveau. Damit meine ich nicht taktische Finessen und ähnliches, sondern das durchgehend gute Niveau aller Teilnehmer. Die höchste Niederlage des Turniers kassierte ausgerechnet die Schweiz, einer der Achtelfinalteilnehmer. Kein Team war bisher so chancenlos, wie es die Vereinigten Arabischen Emirate Saudi-Arabien (Dank für diesen Hinweis geht an den fuerther-flachpass.de) 2002 waren, der Grundstein für Miroslav Kloses WM-Tor-Rekord. Kein Team wurde so überrollt wie Serbien 2006 oder Nordkorea bei der WM 2010. Stattdessen in vielen Spielen Spannung, Überraschungsteams, positive (Algerien, Costa Rica) wie negative (Spanien, England, Italien).

Es gibt kein Torwartproblem

Was gab es bei vergangenen Turnieren nicht für aberwitzige Torwartleistungen zu sehen. Exzentriker wie Higuita oder Chilavert, aber auch echte Fliegenfänger. Dieses Jahr gibt es kaum Fehlgriffe zu beobachten, einzig der russische Torwart Akinfejew sah zweimal richtig schlecht aus. Aber sonst? Viel solides Personal zwischen den Pfosten, aber auch kaum einer, der das Spiel für sein Team entschieden hätte, sieht man vom Mexikaner Ochoa einmal ab. Selbst ein Team wie das des Iran kann es sich leisten mit dem nominell dritten Torwart anzutreten und einen in der Bundesliga durchaus respektabel haltenden Mann auf der Bank zu lassen, ohne dass ein Leistungsabfall festzustellen wäre.

Es gibt ein Schiedsrichterproblem

Einziger Lichtblick der bisherigen Berichterstattung ist Schiedsrichter-Experte Urs Meier. David Nießen vom Spreeblick fordert völlig zurecht eine eigene Sendung für den Schweizer. So aufgebracht und glasklar in seinen Analysen hat man den Mann an der Seite von Jürgen „Ich lächel alles weg“ Klopp nie erlebt. Meier ist regelrecht bestürzt über die Leistungen seiner ehemaligen Kollegen und noch mehr darüber, dass der doppelte Olli auch das einfach nur lustig wegmoderieren will. Bitte mehr davon!

Weniger ist mehr

Die vielleicht wichtigste Lektion des bisherigen Turniers: Man verpasst nichts, wenn man das TV-Gerät erst zu den Hymnen anschaltet und nach Anpfiff direkt wieder ab. Fast 38 Jahre alt musste ich werden, um diese Lektion zu erlernen. Aber besser spät als nie.

Foto: flickr.com/Dr. Motte unter CC BY 2.0 (ja, DER Dr. Motte!)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

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10 comments
  1. Gestern habe ich auf der Heimfahrt den ersten Autokorso gesehen. Und betrunkene Jugendliche auf einer Bushaltestelle. Es geht also so langsam los mit der Schland-Feierei. Zeit, die Rollos runterzulassen.

  2. Kann das nur komplett unterstreichen. Obwohl nicht von so einem Deutschlandhass befallen wir manch anderer hier im Blog, bin ich emotional auch überhaupt nicht bei der deutschen Mannschaft dabei. Das war bei den vergangenen Turnieren komplett anders. Ich mag den Löw irgenswie immer noch, kann aber seine Entscheidungen aufstellungstechnisch wie taktisch nicht nachvollziehen. Aber aus der Mannschaft find ich halt grad mal Khedira, Humnels, Schweinsteiger und Klose gut. Den Rest kann ich nicht leiden oder ist egal. Vielleicht haben die Bayern die Nationalmannschaft zerstört. Aber schön ist: die WM macht megaviel Bock und die anderen Spiele sind meist geil.

  3. Aber anscheinend geht es ja nur wenigen so. Denn „ganz Fußballdeutschland“ ist ja komplett in Feierlaune. Gestern habe ich ca 50jährige im schwarzrotgüldenen Kleid mit passenenden Schuhen und Schminke gesehen. Meine Fresse.

    Auffällig ist auch übrigens der Karneval auf den Rängen. Fast keiner, der nicht irgendwie ein absurdes Kostüm anhat und dumm in die Linse winkt. Absurder Höhepunkt, aber dabei immerhin lustig: Ein Schweizer als Schweizer Käse verkleidet.

  4. Ich fand diesen ach so unverkrampften Patriotismus noch nie so krampfig wie dieses Jahr. Das wird inzwischen mit einem Bierernst betreiben, der geradezu staatstragend daher kommt, und alle, die nicht mitmachen, sind per se doof oder verdächtig oder beides.

    Und die ganzen Flachpfeifen, die 90 Minuten darauf warten, dass sie „im Fernsehen kommen“ damit sie winken können, sind eh unter aller Kanone. Egal wie es steht, sobald die Kamera kommt, werden alle zum Teletubby: hirnlose Winke-Zombies.

  5. Hauptsache Möpse!

  6. Geht Samstag eigentlich was in Düsseldorf? So reinfeiern oder so? Hätte Bock, Zeit und Lust! Sonntag ist ja eher Essig mit saufen!

  7. Urs Meier braucht keine eigene Show – dafür erzählt er zu oft Unsinn. (Profischiedsrichter, my ass.)

    Viel mehr sei dem Autoren dieses Textes „Collinas Erben“ (http://fokus-fussball.de/tag/collinas-erben/) ans Herz gelegt. Da wird ordentlich erklärt und bewertet – ohne die große Aufregung im TV.

    Super auch bei twitter: @collinaserben

  8. Zustimmung zur Deutschland-egal-Haltung.

    Gestern haben wir zusammen das Spiel gesehen, wirkliches Kribbeln kam da nicht auf. Meine Kinder sind nach 30min dann in ihr Zimmer gegangen. „ist langweilig“. Meiner Frau gehts genauso.

    Bei Chile hingegen war das anders (vor allem gegen Spanien).

    Und auf morgen, 18 Uhr, freu ich mich jetzt schon. Gestern hab ich 15min vor Schluss den Grill angeworfen….

    Ich kann dieses elende Ballgeschiebe im Mittelfeld nicht mehr sehen.

  9. @Jost: Danke, aber die Jungs haben wir natürlich auf dem Schirm!

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