Wenn sich eine Anekdote aus dem Leben von Harald „Toni“ Schumacher in mein Gedächtnis eingebrannt hat, dann ist das seine Entlassung als Trainer von Fortuna Köln. Nicht nur, weil er in der Halbzeitpause entlassen wurde. Sondern auch, weil Jean „ich als Verein musste reagieren“ Löring charmante Worte für die ganze Aktion fand: „Du hast hier nichts mehr zu sagen, du Wichser!“
Apropos „zu sagen“. Zu sagen hatte Toni Schumacher Einiges, als er sich 1987 anschickte, schon mal den ersten Teil seiner Autobiographie zu verfassen. Die Veröffentlichung des Enthüllungsbuches „Anpfiff“ geriet zum Medienspektakel, Schumacher wurde zur persona non grata. Diese beiden Abgänge waren für mich Grund genug, schmale drei Euro in den Erwerb dieses Buches zu investieren und mich auf Lesereise in die 80er zu machen.
Welchen Eindruck hinterlässt ein Buch, dass bei seiner Veröffentlichung dermaßen hohe Wellen schlug heutzutage? Im Wesentlichen arbeitet sich Schumacher auf 254 Seiten an zwei Themen ab: an seiner eigenen Person und am Zustand von Nationalmannschaft und Profifußball in den ausgehenden 80er Jahren.
Fanatischer Körperarbeiter
Schumacher macht keinen Hehl daraus, dass er zeit seines Lebens ein krankhafter Perfektionist war. Mit deutlichen Worten beschreibt er seine Angst vor dem körperlichen Verfall, vor der Langeweile und davor Fehler zu machen:
Ich will wie Rocky sein. Kein Schwächling. Ich weiß nur zu gut, dass ich die Abnutzungserscheinungen aus meinen Knochen verjagen muss. Kondition halten ist Dauerkampf. […] In längeren Trainingspausen, fürchte ich, könnten Bändern und Muskeln ausleiern. Ob ich dann wohl in ‚Ersatzteile‘ auseinanderfalle?
Nicht selten fühlt man sich an Oliver Kahn und sein Mantra vom unmenschlichen Druck erinnert. Und auch das Thema Depression spricht Schumacher sehr offen an:
Was wissen die schon von meinen Ängsten zu versagen. Von der Last, die der Erfolg auferlegt. Gottlob sind die beiden da. Meine Kinder, meine Familie. Sonst hätten mich die grauen Wölfe der Depression noch häufiger in ihren Fängen.
Und auch sein bewährtes Mittel gegen Schlaflosigkeit soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden:
Gegen Schlaflosigkeit verschreibe ich mir selbst ein bis drei Glas Bier.
Fußball ist Spektakel
Es liegt mir fern, Schumacher als Visionär hochsterilisieren zu wollen, aber einige der Themen, die er in seinem Buch anspricht sind aktueller denn je. Sowohl die persönlichen als auch seine Aussagen über Zustand und Zukunft des Profifußballs.
Doping, Schiedsrichter, Kommerzialisierung. All diese Streitthemen, die uns heute begegnen waren in den 80er Jahren bereits akut. Das Ausprobieren von Dopingmitteln gesteht Schumacher in einem längeren Absatz, fordert professionellere und mehr Schiedsrichter und beklagt die zu gute Bezahlung durchschnittlicher Spieler. Damals, 1987, waren anscheinend 200.000 DM noch ein astronomisches Jahresgehalt.
Interessant ist auch der Part des Buches, der sich mit den Randerscheinungen des Fußballs in den 80ern auseinandersetzt. Es gibt ähnliche Probleme wie heutzutage, namentlich:
Fernsehkonkurrenz, zu hohe Eintrittspreise, Rowdytum
mit dem Unterschied, dass diese der Popularität des Sports und besonders den Zuschauerzahlen inzwischen keinen Abbruch mehr tun.
Es ist keine Weltliteratur, die Fußballdeutschland 1987, zumindest kurz, aufrüttelte. Dennoch liefert das Buch einerseits einen interessanten Einblick in das Innenleben eines fanatischen Fußballspielers und andererseits eine bemerkenswerte Bestandsaufnahme des deutschen Fußballs in den 80er Jahren, der mit dem Profisport heutzutage einige Gemeinsamkeiten teilt und einem dennoch vorkommt wie eine komplett andere Welt.
Über den Autor: schneider3
Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
Einfach nur geil !!!
„Es liegt mir fern, Schumacher als Visionär hochsterilisieren zu wollen, aber einige der …“
Weiter so