Geniale Spielzüge, Kantersiege gegen die Elite des Weltfußballs, eine Nationalelf zum Bewundern – das alles ist nur zwei Jahre her, aber es fühlt sich an wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten. Spätestens drei Monate nach der EM 2012 küssen Mannschaft und Fans den harten Beton der Realität. Man muss sich eingestehen, dass der deutsche Fußball jüngerer Prägung bei der WM 2010 seinen spielerischen Höhepunkt bereits erreicht hatte und dass man sich, geht es so weiter – sich die beschwerliche Reise nach Brasilien sparen kann.
Und ja, daran ist vor allem Jogi Löw schuld, der eigentlich nach dem von ihm vergeigten Halbfinale hätte zurücktreten müssen. Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen. Löw hat jahrelang ganz großartige Arbeit geleistet. Jede seine Entscheidungen – bis zur EM – hatte Hand und Fuß. Auch wenn man es als Zuschauer oft anders sah, am Ende behielt der Jogi in traumwandlerischer Sicherheit immer Recht. Und er hat dem deutschen Fußball so gut getan, wie lange kein anderer Trainer zuvor. Ich weiß noch, wie man sich 2010 vor dem Fernseher erstaunt die Augen rieb und den Kopf schüttelte, ob so viel spielerischer Genialität. Dass es dann gegen Spanien nicht klappte: geschenkt. Die Zukunft schien golden.
Der Lattek- und der Beckenbauer-Faktor
Die Frage ist: Was ist seitdem passiert? Warum ging es nicht so weiter? Ich denke, es gibt zwei Hauptfaktoren: Den einen nenne ich den Lattek-Faktor (Stichwort Küchenpsychologie) und den anderen den Beckenbauer-Faktor (einfach darum, weil es etwas mit Spielentwicklung und Taktik zu tun hat). Kommen wir zunächst zu letzterem.
Jogi Löw hat die Mannschaft seit 2010 spielerisch und taktisch nicht weiterentwickelt. Es fand eher eine Rückentwicklung statt. Wo bei der WM das „schnelle Umschalten“ und das Spiel „gegen den Ball“ im Vordergrund standen, steht heute das unkreative Verwalten. Vereinfacht ausgedrückt: 2010 spielte die Nationalelf zumindest offensiv wie Dortmund, bei der EM wie Bayern in der vergangenen Saison. Jetzt könnte man sagen, ok, 2010 hatte die Mannschaft nach dem Ausfall des bis dato gesetzten „Capitanos“ Michael Ballack auch einen Underdog-Status. Keiner hat etwas erwartet und Zuschauer wie Gegner wurden deshalb überrascht.
Das ist aber meiner Meinung nach Blödsinn. Ich denke, dass Gegner auf höherem internationalem Niveau von einer deutschen Mannschaft nicht wirklich überrascht werden, da sie niemals – komme was wolle – ein Außenseiter ist. Und in Zeiten, in der jedes Spiel und jeder Spieler genauestens beobachtet wird, gibt es keine großen Überraschungen in puncto Taktik und Spielweise mehr. Es geht vielmehr darum, beides so gut zu beherrschen, dass man Gegner schlägt, obwohl er eigentlich weiß, wie die Mannschaft spielt. Genauso ist es zum Beispiel bei Barcelona und bei der spanischen Nationalmannschaft. Jeder weiß ganz genau, wie sie spielen aber man kann es einfach nicht verhindern.
Spanien als Gott
Meine These ist, dass Löw sich nach 2010 viel zu sehr auf den spanischen Fußball als Vorbild gestürzt hat als das Spiel seiner Mannschaft auf Basis der Spielweise von 2010 weiterzuentwickeln. Aber die Kopie ist einfach immer schlechter als das Original und es geht mir mittlerweile auf die Nerven, dass es zurzeit anscheinend im Weltfußball nur eine Möglichkeit geben soll, Fußball zu spielen. Es ist immer dasselbe, Spanien hat dies, Barcelona macht das… Hallo, aufwachen! Natürlich muss man sich an den besten orientieren und ich finde den Fußball, den sie spielen auch sehr geil. Aber jede Mannschaft und jeder Trainer muss doch seine Mannschaft auf Basis ihrer Qualitäten entwickeln und nicht immer auf andere schauen.
Auf der anderen Seite hat Jogi Löw komischerweise überhaupt nicht nach links und rechts geschaut und anscheinend komplett verpasst, was Jürgen Klopp in Dortmund und Mirko Slomka in Hannover in den letzten Jahren getrieben haben. Denn genau so, wie diese beiden Mannschaften spielen, wäre die konsequente Weiterentwicklung für die Nationalmannschaft nach 2010 gewesen. Ich habe wirklich gedacht, ich hör nicht recht, als Löw neulich meinte, man müsse ab sofort Pressing spielen. Mein Gott, das machen andere schon seit zwei Jahren in Perfektion und auch erfolgreich. Das kann doch nicht sein, dass man da jetzt erst drauf kommt. Ich muss dazu leider sagen: 2 verschenkte Jahre.
Glaubwürdig geht anders
Kommen wir nun zum Lattek-Faktor. Neben der spielerischen Fehlentwicklung gibt es auch psychologische Komponenten, die – wie Udo Lattek sagen würde – vielleicht zu ein wenig „Neid und Missgunst“ führen, aber vor allem die Spieler an ihrem Trainer zweifeln lässt. Höhepunkt dieser Entwicklung war bestimmt die taktische Fehlleistung beim Italien-Spiel, die Kollege Goldschuhe aus an anderer Stelle brillant analysiert hat.
Aber es gibt weitere Beispiele. Zum Beispiel das dauernde Festhalten an formschwachen Spielern, nur weil sie sich in der Nationalmannschaft einmal bewährt haben – einer der größten Fehler der EM. Interessanterweise ist Jogi Löw von dieser Nibelungentreue mittlerweile abgerückt, weil er gesehen hat, wohin das führt. Aber jetzt als Gegenentwurf vor versammelter Journaille einen Schmelzer abzukanzeln, ist erstens moralisch fragwürdig und zweitens: Glaubwürdig geht anders. Nachdem viele Spieler wussten: Ich spiel eh nicht, weil sowieso 80 Prozent Bayern-Spieler auf dem Platz stehen, ist von jetzt auf gleich der harte Konkurrenzkampf ausgerufen und sie wissen gar nicht mehr, woran sie sind.
Ein großes Problem ist auch dieses fast schon sektenhafte Gebilde Nationalmannschaft, für das hauptsächlich Bierhoff verantwortlich zeichnet. Man hat das Gefühl, jeder hat Angst, den Mund aufzumachen. Und tut es doch mal einer wie neulich Schweinsteiger und äußert nur die leiseste Kritik, wird er sofort zum Gespräch gebeten und auf Linie gebracht. Es werden in dieser Mannschaft nur die Meinungen und die Sichtweisen der Verantwortlichen toleriert. Alles andere, wird niedergeschlagen. Zumindest entsteht nach außen der Eindruck. Und ein Bierhoff hält alle Fäden in der Hand und hat aus der Nationalmannschaft mittlerweile fast eine Art Staat im Staat gemacht. Dass man sich da als mündiger Spieler irgendwie so langsam nicht mehr richtig wohlfühlt und vielleicht auch an der Sache insgesamt zweifelt, wäre für mich die logische Folge. Diese ständige Bevormundung in allen Fragen kann nicht leistungsfördernd sein. Vor allem nicht, wenn es in schwierigen Spielsituationen darum geht, selbstständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen – auch wenn es mal unbequem ausgehen könnte.
Die Erosion der Macht
Seit der EM spürt man allerdings eine Erosion der Macht in der Nationalmannschaft. Öffentliche Kritik an Löw seitens der Journalisten ist plötzlich erlaubt, Spieler geben unbequeme Interviews, Hoeneß meint mal wieder, seinen Senf dazugeben zu müssen. Es wird nicht möglich sein, bis 2014 so weiterzumachen und sich irgendwie durchzuwurschteln, ohne dass es bald richtig knallt. Ich glaube, in manchen Spielern brodelt es und schon ein verlorenes Spiel in der Qualifikation kann richtig Zoff bedeuten.
Ich bewundere Jogi Löw für seinen Fußballsachverstand und für seine großartigen Leistungen als Trainer der Nationalmannschaft. Aber auch die Besten müssen einmal abtreten und vor allem zum richtigen Zeitpunkt. Der wurde bereits verpasst. Und nein: Nicht alles, was über Jahre gut war, ist plötzlich schlecht, aber vieles hat sich totgelaufen und manches wurde einfach über Jahre versäumt. Das kann passieren, aber dann ist der Weg auch einfach irgendwann zu Ende. Das System Löw/Bierhoff hat sich überlebt. Ich würde mich freuen, wenn es anders wäre, aber die insgesamt tolle Ära Löw wird ohne Titel zu Ende gehen.
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Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche
Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.
Dass die Mannschaft bei der EM schlecht gespielt hat, wird leider meist übersehen. Es war ja nicht nur das Italien-Spiel.
An einer Entwicklung kann Löw aber auch nichts ändern: Er hat es mit vielen Spielern zu tun, die zwar recht intelligent und eloquent sind, aber auch total die Weicheier sind. Klassischerweise haben Mannschaften nur dann Erfolg, wenn sie mindestens zwei oder drei kantige, härtere Typen dabei haben. Brilliant analysiert von mir: http://fusskopfball.de/2012/06/29/deutschland-zu-naiv-fur-grose-titel/ Das fehlt in der Nationalmannschaft nach wie vor.
Außerdem ist Fußball in Ländern wie Spanien oder Argentinien immer noch eine der wenigen Chancen von ganz unten nach ganz oben zu kommen. Auch diese Motivation fehlt den Deutschen inzwischen.
Das mit der Möglichkeit, nach oben zu kommen halte ich für Quatsch. Wo außer dem Fußball hätten denn Leute wie Özil, Boateng usw. in Deutschland „nach oben“ kommen können? Das ist hier sicherlich nicht mehr anders als in den genannten Ländern. Und die Sache mit den kantigen Typen ist mir zu einfach. Wo sind die denn bei Spanien?
Was mich bei Löw derzeit regelrecht abstösst, ist das ständige Schmelzer-Bashing. Der Typ hat immerhin seinen Beitrag zu zwei Deutschen Meisterschaftem und einem Pokalsieg geleistet, ein Vollblinder kann er also nicht sein. Wenn Löw nicht weiß, wie man ihn richtig einsetzt – der Leistungsabfall vieler Dortmunder in der N11 ist ja eklatant – ist es ziemlich albern, dafür den Spieler öffentlich verantwortlichz u machen. Ich weiß nicht, was das soll und es zeigt, dass Jogi leider jegliche Souveränität verloren hat. Im übrigen: Ich kann Philipp Lahm nicht mehr ertragen. Auf und neben dem Platz. Da nehme ich lieber 8 Schmelzers.
Das mit Philipp Lahm geht mir genauso – Karriereende bitte. Kann ja dann noch ein tolles Buch und Kolumnen für die Bild schreiben.
Den Hauptartikel find ich gut geschrieben, aber inhaltlich total falsch. Auch ich war 2010 komplett in Ekstate und das Spiel gegen Argentinien könnte ich mir wöchentlich auf DVD anschauen. Aber was die deutsche Nationalmannschaft da gespielt hat, wird leider mittlerweile vollkommen verklärt. Die Vorrunde wahr recht rumplig – ich erinnere an ein 0:1 gegen Serbien und ein sehr verkrampftes 1:0 gegen Ghana, das überhaupt das Weiterkommen gesichert hat. Gute Spiele gab es genau zwei, gegen England und Argentinien. Das war sehr guter Konterfussball gegen Mannschaften, die ihrerseits das Spiel dominieren wollten gegen einen Gegner, der sich bis dato in Südafrika nicht mir Ruhm bekleckert hatte.
Im Ergebnis war das schön anzusehen und wir hatten alle einen guten Fussballsommer – aber spielerisch war das nicht besonders anspruchsvoll (deswegen schafft das ja auch Slomka mit Hannover auf beeindruckende Weise trotz limitierten Personals). Und vor allem funktioniert sowas nicht immer – und wäre ohne die Wembley-Revanche gegen England vielleicht schon schief gelaufen.
Vergleicht man nun die Vorrunde 2010 und die Vorrunde 2012 ist es mir ein absolutes Rätsel, wie man auf die These kommt, Deutschland habe sich spielerisch nicht weiterentwickelt. Statt gegen Australien, Serbien und Ghana mit Glück und Zittern weiterzukommen, dominiert man Holland, Portugal und Dänemark über 90 Minuten und zeigt eine viel souveränere Spielanlage. Eine deutsche Nationalelf kann nicht dauerhaft und gegen alle Gegner auf Konter spielen, deswegen ist die spielerische Neuausrichtung richtig und wichtig gewesen – und auch höchst erfolgreich!
Gegen Griechenland und Italien hat man nicht gut gespielt, keine Frage. Aber zuvor 15 Spiele in Folge gewonnen und das teilweise auf beeindruckende Art und Weise. Viele Spieler haben sich gegenüber 2010 deutlich weiterentwickelt und sind dennoch noch nicht am Ende ihrer Entwicklung – was auch für die Mannschaft unsgesamt gilt: ich sehe sie Mannschaft am Anfang, nicht am Ende einer Entwicklung.
Dass die Aussendarstellung und ganz besonders Oli Bierhoff sind zum Kotzen, keine Frage. Aber jemand wie ich, der mit Berti Vogts und Erich Ribbeck als Bundestrainer aufgewachsen ist, kann immer noch nicht glauben, wie oft ich in den letzten vier Jahren gerne Spiele des Fussballnationalmannschaft gesehen hab. Lasst den Jogi mal machen – eins der nächsten zwei Turniere gewinnen wir mit dem!
Sie sollen ja gar nicht nur auf Konter spielen, aber sie sollen halt auch nicht einfach nur verwalten. Denn das geht spätestens gegen einen Gegner, der wirklich was kann, schief. Daher hab ich den Vergleich mit Dortmund herangezogen, die bei weitem nicht nur kontern, sondern Dominanz und schnelles Umschalten beherrschen.
Ob man in einer Qualifikation mit vielen Nulpengegner alle 15 Spiele gewinnt, ist mir ehrlich gesagt ziemlich wurscht. Ein Muster ohne Wert, wenn man immer gegen die Großen die Buchse voll hat. So geht es halt nicht, wenn man höchste Ansprüche hat. Und mit solchen Spielern muss mehr drin sein, als eine durchschnittliche EM zu spielen und wenn es ernst wird, den Frack vollzubekommen.
Und vielleicht hat man sich spielerisch entwickelt, aber in die falsche Richtung. So spielen zu wollen wie Spanien, gepaart mit der Schlafmützenmentalität der Bayern ist absoluter Käse. 2010 war es besser, dabei bleibe ich.
2010 war natürlich besser, aber da konnte man auch noch kontern, weil keiner was von der deutschen Mannschaft erwartet hat.
Gegen Spanien hatten wir da auch keine Chance und auch dieses Jahr hätten wir wieder keine Chance gehabt. Die Mannschaft ist auf jeder Position schlechter besetzt als Spanien. Da muss man einfach auch mal realistisch sein. Was diese Mannschaft definitiv nicht besitzt sind Cleverness und taktische Raffinesse, dafür sind die Spieler teilweise auch noch zu jung.
Aufgabe wäre es also jetzt praktisch eine Key-Stärke der Deutschen herauszuarbeiten: entweder schnelles Passspiel, kontern, physisches Spiel oder was auch immer. So spielen zu wollen wie Spanien ist in der Tat völlig sinnlos. Die sind einfach eine Klasse besser und können auch noch kämpfen und hart spielen, wenn es darauf ankommt. Das kann Deutschland ja auch nicht mehr.
Allgemeinplatz-Tag bei 5 Freunde? Ich denke, wenn endlich alle die Hymne singen, ist Deutschland auf Jahre unschlagbar…
Ernsthaft: Löw hat es geschafft, dass man wieder Bock auf die Nationalelf hat. Im Moment wird das wieder verspielt, was weniger an Löw, als den Spieler liegt. Ich sehe da keinen, der sich seit 2010 weiterentwickelt hätte. Bei Lahm geht die Entwicklung zum Beispiel eher zurück. Und außer Marco Reus ist halt auch kein Talent nachgekommen.
Man sieht ja auch an der Nachnominierung von Westermann, dass die Leistungsdichte in der Abwehr nicht so groß ist. Und dort liegt meiner Meinung nach immer noch das größte Defizit. Im Sturm ist es ähnlich: Klose, Gomez und dann muss man schon über Kießling oder Hanke nachdenken. Und dafür kicken die Deutschen immer noch ganz schön erfolgreich. Zweimal Halbfinale, einmal Finale in vier Jahren, da werden die meisten Nationen neidisch.
Kein Spieler hat sich seit 2010 weiterentwickelt? Seh ich anders! Khedira, Badstuber, Özil waren 2010 doch noch ganz schön grün hinter den Ohren – da können auch zwei gute Spiele in Südafrika nicht drüber hinwegtäuschen. Und neben Reus sind auch Hummels und Götze nachgekommen, die sich in den 20 Monaten bis Brasilien sicherlich zu sehr guten Stammspielern entwickeln können. Ich bin da sehr optimistisch.
Und was 2010 angeht, empfehle ich uns allen, mit unserer derzeitigen (zu Recht) gewachsenen Erwartungshaltung an die Nationalelf, sämtliche Spiele der WM in Südafrika noch mal über 90 Minuten anzuschauen. Ich denke nicht, dass diese Spiele mit den Erinnerungen an sie mithalten können (Ausnahme Argentinien, wenn sogar Arne trifft…).
Ansonsten sehe ich es genauso wie Esleben: die Nationalmannschaft macht mir seit Löw zum ersten Mal seit Lebzeiten Spaß – letzten Freitag wieder und heute abend hoffentlich auch.
Die Außendarstellung von Löw (und Bierhoff) ist in der letzten Zeit tatsächlich etwas „irritierend“. Auch die (verpasste) Chance von Löw nach dem Halbfinal-Aus, seine Fehler explizit zu benennen & sich bei mir persönlich zu entschuldigen, nehme ich ihm übel. Ich denke aber nicht, dass Löw dadurch ein schlechterer Trainer geworden ist. Es ist wie immer: der kleine Mann von der Straße bekommt doch nur das mit, was nach außen dringt (dringen soll). Wie Löw (und von mir aus auch Bierhoff) nach innen wirken, ist doch eine ganz andere (und von uns nicht zu beantwortende) Frage. Abgesehen davon wird bei der Diskussion um Verbesserung von Spielern übersehen, dass die Vereinstrainer dabei doch eine wesentlichere Rolle spielen als der Nationaltrainer. Und genau darauf ruht meine Hoffnung: bis 2014 werden die Trainer Klopp, Mourinho, Wenger (hüstel) & Heynckes (inkl. Nachfolger) die Spieler auf internationalem Topniveau (noch) besser/erfahrener gemacht haben. Denn auch das sollte man bei der ständigen (auch von mir geäußerten) Forderung nach mehr BVB und weniger Bayern nicht unterschlagen: was der BVB in der letzten Saison international abgeliefert hat, war schalkeesk und eine Titels bei weitem nicht würdig. In zwei Jahren gibt´s den Titel. Jede Wette!
Ich habe gar nicht gesagt, dass sich einzelne Spieler nicht weiterentwickelt haben. Das ist passiert und es kamen auch – siehe Reus – sehr gute neue nach. Meine These ist, dass es gar nicht an den Spielern liegt, sondern an der fehlenden Weiterentwicklung in Taktik und Spielphilosophie. Und das ist die Aufgabe von Herrn Löw.
Ich verstehe nicht, woran du das festmachen möchtest. Diese ganzen Tuchelbegriffe (was genau ist der feine Unterschied zwischen Pressing und gegen den Ball?) sagen mir rein gar nichts. Ich bin mir sicher, dass, wenn man sich je ein Spiel von vor zwei Jahren und heute anschaut, nicht nur das Personal ein ganz anderes ist. Ich glaube, was man immer vergisst und auch mal ehrlicherweise reflektieren sollte, ist die eigene psychologische Verblendung. Damals war die Situation, die Erwartungshaltung eine ganz andere. Heute kann man gewisse Dinge nicht mehr sehen, weil man sie nicht mehr sehen kann (und nicht, weil sie schlechter sind als damals). Was für mich unterm Strich bleibt, ist das Italien-Spiel. Darüber kann man reden. Das war mehr als schlecht. Ich bin mir aber ganz sicher, dass das intern genauso aufgearbeitet wurde, wie von uns allen gefordert ;)
@ Guru: habe mich da nicht auf dich, sondern auf Esleben bezogen (siehe ein Kommentar davor).
Ansonsten muss ich mich nach gestern abend natürlich allen anschließen: Jogi raus!
Ne, im Ernst: gestern hat mich doch von der Einstellung und Körpersprache irgendwie wieder an das CL-Finale der Bayern erinnert und mich in meinem Eindruck bestärkt, dass das Hauptproblem des deutschen Fussballs gegenwärtig ein mentales ist. Wenn alle von Kopf und Kampfgeist her wie Khedira und Müller auftreten würden, hätte es in den vergangenen Jahren schon Titel gegeben. Aber mit Leuten wie Kroos oder Boateng in der Elf ist es kaum möglich, schwierige Phasen auf dem Platz zu überstehen.
Daher ist meine Hoffnung, dass der hohe Konkurrenzkampf die beiden auf die Bank spült – und ein fitter Khedira zusammen mit Schweinsteiger, Hummels und einem Badstuber in Normalform den Laden in der Defensive künftig besser zusammenhält als das gestern der Fall war…
Ganz ehrlich: Wenn eine Mannschaft in 30 Minuten einen Vier-Tore-Vorsprung verzockt, dann stimmt etwas mit ihr nicht. Und zwar gewaltig. Natürlich betrifft das in erster Linie die Mannschaft selbst, aber auch wieder den Trainer. Spätestens nach dem 4-2 muss ich mit defensiven Wechseln der eigenen und der gegnerischen Mannschaften suggerieren: Wir passen jetzt wieder auf. Zwei Offensivwechsel in einem solchen Spiel und sonst nichts sind fast schon skandalös.
Ansonsten ist mit dem Spiel gestern hoffentlich für alle Zeiten geklärt, dass folgende Spieler nichts mehr in der Nationalelf zu suchen haben: Badstuber, Boateng, Kroos, Mertesacker, Neuer (wg. Nichtleistung) und Lahm (wegen persönlicher Unerträglichkeit).
@Buxe: Ich habe gar nicht zwischen „gegen den Ball“ und „Pressing“ unterschieden. Das interessiert mich auch nicht. Ich habe nur gesagt, dass die taktische und spielerische Entwicklung zurück und nicht nach vorne ging.
Und Erwartungshaltung hin oder her: Einen 4-Tore-Vorsprung zu vergeigen, hätte ich 2010 auch scheiße gefunden. Da habe ich damals schon mehr erwartet. Das liegt zum einen am Phlegma der Spieler gestern, an einer gewissen Scheißegal-Haltung, aber auch am Trainer, der es seit Jahren nicht schafft, eine stabile Defensive hinzubekommen. Und das kann man trainieren.
Und Kollege Goldschuh hat recht: Man kann einfach auch mal wechseln. Zum Beispiel nach dem 4:1 gleich den Anfängen whren und Phlegmatiker Kroos raus, Boateng raus und die Zentrale defensiv stärken. Das ist auch nicht passiert. Wobei ich das an dieser Stelle Jogi gar nicht groß vorwerfen würde. Denn dass sich gestandene Spieler so beschissen präsentieren, hätte keiner für möglich gehalten. Man muss einfach jetzt endlich mal den Fokus auf die Defensivarbeit legen. Das ist ja peinlich. So bekommt man auf den Färöern auch 2 bis 3 Stück.
[…] Nur müssen wir uns jetzt Sorgen machen, wie uns der Kommentator von der ARD weiß machen wollte? Hätten wir das Spiel gegen Schweden gewonnen dann hätten wir die Koffer für Brasilien packen können und nun? Stehen wir vor dem Aus bei den kommenden Begegnungen im neuen Jahr gegen die Übermacht aus Kasachstan? Mir schlottern die Knie. Wuh. Ganz schön beschrieben ist das Drama in 2 Akten auch in Erosion der Macht. […]
@Guru: Du sprichst doch im Artikel davon, dass bei der WM 2010 das Spiel gegen den Ball gepflegt wurde & das Löw jetzt erst („2 verschenkte Jahre“) auf Pressing gekommen ist…
Zu gestern: die ersten 60 Minuten waren ungefähr das Großartigste, was ich je von einer deutschen Nationalmannschaft gesehen habe. Stimmte da alles mit der Mannschaft? Warum stellt keiner diese Frage? Weil nur die letzten 30 Minuten zählen. Klar ist das mehr als dämlich, aber dafür nun auch den Trainer verantwortlich zu machen (war er für die ersten 60 Minuten nicht verantwortlich?), finde ich gewagt. Für mich trägt allein die Mannschaft die Verantwortung. Denn @Goldschuhe aus, seit wann suggeriere ich denn einer Mannschaft mit Defensivwechseln, dass sie jetzt wieder aufpasst? Ich suggeriere damit doch, wir haben jetzt Angst. Löw steht halt für die Devise: je weiter der Ball vom eigenen Tor weg ist, desto geringer ist die Gefahr eines Gegentores (Beispielhaft seine Ausführungen zum letzten Gegentor). Deshalb, glaube ich, diese Wechsel. Das kann man falsch finden, muss man aber nicht. Und zu Guru: mit wem genau sollte er die Zentrale stärken? Mit Westermann? Sind die Tore durch die Zentrale gefallen? Ich habe da eher ein kollektives Versagen gesehen…
Und um am Schluss versöhnlich zu werden. Nicht erst seit gestern gehen mir Kroos, Boateng, Badstuber und Neuer gehörig auf den Senkel!
Buxe, das sehe ich komplett anders. Zum einen: Es ist verdammt nochmal scheißegal, wie geil man in den 60 Minuten vorher war: Man bekommt nicht vier Gegentore in 30 Minuten. Das überlagert alles und ich finde, darüber, wie desolat das war, muss man auch nicht mehr reden. Endepeng.
Und auch den Punkt mit der Angst sehe ich komplett anders: Die Panik bei den Jungs war ja da. Ohne Wechsel. Die Jungs haben gemerkt, wie ihnen das Spiel flöten geht und von Außen kam keine Hilfe. Siehe Neuers Slapstickeinlage. In der Phase muss der Trainer reagieren und zumindest versuchen, der Mannschaft durch Wechsel Stabilität zu verleihen. Ein Poldi-Wechsel in so einer Phase ist komplett sinnlos und wie gegen Italien: Jeder außer dem Trainer wusste es. Das kann man nicht nur falsch finden, man muss es sogar. Für mich das zweite große Beispiel dafür, dass Jogi die Fähigkeiten des Coachens im Spiel fehlt. Darum, den Ball weg vom Tor zu halten, ging es schon lange nicht mehr. Dazu waren die Jungs in der Verunsicherung so nicht mehr in der Lage.
@Buxe: Stimmt, das mit „gegen den Ball“ hab ich geschrieben. War jetzt von mir aber nicht als Hauptaspekt des Artikels gemeint. ;-)
Die Devise von Löw, dass man am besten den Ball weit vom eigenen Tor weghält, kann man teilen. Aber das geht eben nur, wenn die Mannschaft in der Lage ist, ruhig Bälle zu halten und stabil zu stehen. Sonst bedeutet es das, was passiert ist. Fehler über Fehler und in jeden Konter reinlaufen. Das heißt für mich, diese Devise funktioniert mit der Mannschaft in der jetzigen Verfassung nicht. Deshalb kann es ab jetzt nur heißen: Defensive trainieren.
Aber Löw wird natürlich jeden der „Versager“ wieder einladen. Glaubt ihr im Ernst, dass er Kroos, Boateng, Badstuber und Neuer einen Denkzettel erteilt? Zumindest könnte er dem Neuer mit einer Adler-Nominierung ein wenig Feuer unterm Arsch machen. Und als Signal einfach mal ganz andere Defensivspieler aus der BL mit nominieren. Egal wen. Von mir aus den Langeneke aus Düsseldorf. Der spielt eine grandiose Saison. ;-)
Man hat übrigens auch gesehen, dass Khedira unersetzbar ist.
Dann frage ich noch einmal: wen hätte Löw bringen sollen (natürlich ist es auch seine Schuld, dass Gündogan & Khedira fehlten)? Ich meine auch nicht die 88. Minute, sondern davor. Ich bleibe dabei: dieses Spiel haben einzig & allein die Spieler verbockt. Es sind zwei Elemente aufeiandergeprallt, die nur sehr selten aufeinanderprallen: Schweden hat bereits nach dem 1:4 wieder an sich geglaubt (da frage ich mich: warum?) und Deutschland hat es eigentlich nach dem 2:4 wieder ganz gut gemacht, hat besonnen(er) gespielt und auch wieder nach vorne gespielt. Warum aber die komplette (defensive) Ordnung flöten geht (die auch kein Wechsel wieder hergestellt hätte), bleibt unerklärlich. Und exemplarisch ist doch wirklich der Freistoß weit in der Hälfte der Schweden in der 91. Minute. Wie kommt der Ball da über zwei Stationen zu Neuer? Wie kommen gestandene Fußballprofis auf so eine aberwitzige Idee? Ich finde so ein Fehlverhalten wesentlich fundamentaler als ein falscher/unterlassener Wechsel.
Mein Kommentar bezieht sich auf Goldschuhe aus. Ist jetzt irgendwie durcheinander, weil Guru & ich wohl zeitgleich gepostet haben bzw. Guru etwas schneller war…
Ich sehe das mit den verpassten Wechseln auch nicht als Riesen-Versäumnis. Kann man machen, man ist aber auch kein kompletter Vollidiot, wenn man sich anders entscheidet. Denn das eine Mannschaft von Top-Spielern so zusammenbricht, kann man eigentlich auch nicht voraussehen. Wäre aber trotzdem schön, wenn sich jetzt mal wirklich Konsequenzen aus solchen Vorgängen ergeben würden und Löw nicht immer nur sagen würde: Wir müssen Details ändern. Das stimmt für die Offensive. Für die Defensive müssen sich Welten ändern.
@Guru: diese Kritik an Löw, die Du ja auch in Deinem Artikel ansprichst, teile ich. Löw scheint eine (spanische?) Idee vom „perfekten“ Fußball zu haben. Ob die aber immer mit dem vorhandenen Personal einzulösen ist, bezweifle ich mittlerweile auch. Da spielt dann aben die Tatsache eine Rolle, dass der Nationaltrainer im Gegensatz zum Vereinstrainer (Klopp, Slomka) nicht einkaufen kann…;)
Zu Treue von und zu Spielern: Das scheint so eine Nationaltrainerkrankheit zu sein. Seitdem ich denken kann, zeichnen sich Nationaltrainer vor allem durch ihre Treue zu vermeintlichen Leistungsträgern aus. Das war mir schon immer ein Rätsel…
Zur obigen Wechseldiskussion hat sich jetzt auch der Bundesjogi selbst mal geäußert – und zwar durchaus selbtkritisch:
Frage: Ein Vorwurf an Sie lautet, Sie selbst hätten in der Schlussphase nicht mehr souverän gehandelt und auch auf die dritte Auswechslung verzichtet, die die Mannschaft zur Besinnung gebraucht hätte.
Löw: Das ist natürlich ein Vorwurf an mich, absolut. Ich konnte auch nicht glauben, dass das Spiel kippt. Ich hätte in der Schlussphase mit einer Auswechslung ein Signal an die Mannschaft senden und noch etwas stoppen können. So etwas habe ich in 20 Jahren auch noch nicht erlebt. Daraus lerne auch ich. Mein Plan war zuerst, als das Spiel etwas aus den Fugen geraten ist, ballsichere Spieler zu bringen, um wieder die richtige spielerische Qualität zu haben und die Schweden von unserem eigenen Tor wegzuhalten. Aber das ist nicht aufgegangen. Also wäre es vielleicht besser gewesen, Spieler für die Defensive einzuwechseln.