Schockierendes erreicht uns aus der Welt der Börse. Wer dort arbeitet, lässt sich durch Fußball davon abhalten. Zumindest wenn die Spiele, wie während der letzten WM, in die Arbeitszeiten fallen. „Börsianer immer dreister“ würde dazu ein bekanntes Witzeblatt titeln und die Frage stellen, ob wir eine neue Finanzblase befürchten müssen? Börsencrash durch Untätigkeit, Bärenstimmung trotz Fußball? Auf den Seiten der Wirtschaftswoche beschäftigt sich der Blog „Fußballmarkt“ mit der „wirtschaftlichen Seite des Fußballs“. Klingt auf den ersten Blick nach jemandem, der den Fußball von der weniger emotionalen Seite aus betrachtet, auf der auch Kind und Co. operieren. Wird uns hier also Zugang zu den Hinterzimmern verschafft, in denen Ablösesummen ausgehandelt werden, wie die derzeit kolportierten 150 Millionen für Sami Khedira. Bringt er Licht ins Dunkel, wie viel Prozent ein Spielervermittler bei einem erfolgreichen Transfer abrechnen darf? Entwirrt er gar für uns die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen z.B. Dietmar Hopp und dem DFB, so es sie denn gibt?
Rhetorische Fragen, ich weiß, denn im aktuellen Beitrag von Oliver Voß, einem sympathisch nonkonformen jungen Mann, der zum dunklen Anzug Pferdeschwanz trägt, werden Nichtigkeiten verbreitet. Eine Studie, die zur WM 2010 durchgeführt wurde, wird herangezogen, um zum Schluss zu kommen, dass die gerade reportierten Zahlen für die EM keine Gültigkeit haben, da alle Spiele nach Börsenschluss stattfinden. Ihr Fazit: Lateinamerikaner, die hier der Einfachheit halber aus Chilenen, Argentiniern und Brasilianern bestehen, lassen sich besonders leicht von Fußball beim Arbeiten – Börsendeutsch „traden“ – ablenken. Während sich die englischen Börsianer offenbar nicht so sehr für ihr Team interessieren, wie die Deutschen, und deswegen ihre Handelsaktivität nur um 21 Prozent während der WM zurückging. Da zeigen sogar die US-Amerikaner mehr Enthusiasmus, dort ging der Handel an der „Pörse“ (A.Kohl) um 42 Prozent während der WM-Spiele zurück.
Das mögen eventuell schockierende Zahlen für Controller sein, was sie überhaupt nicht berücksichtigt ist das Abschneiden des eigenen Teams bei der untersuchten WM. England schied bekanntermaßen gegen den späteren Halbfinalisten Deutschland aus, der dank „Spiel um Platz drei“ bis zum Ende der WM im TV übertragen wurde. Je länger man sich mit dem von Oliver Voß aufgearbeiteten Zahlen beschäftigt, desto weniger ist man sich sicher, ob man es hier wirklich mit der wirtschaftlichen Seite des Fußballs zu tun hat. Ähnliche Zahlen ließen sich wahrscheinlich auch für das Bäckerhandwerk bereitstellen, die Innung der sardischen Eisenbieger, oder, oder… Leider wissen auch die anderen Artikel auf Fußballmarkt nicht so recht, das einzulösen, was die Subhead verspricht. Aber vielleicht ist Wirtschaft in diesem Zusammenhang ja auch eher so gemeint, wie ich ihn verstehe: als Ort mit Theke, an dem man sich zwanglos über Fußball unterhalten kann, und selbstverständlich auch darüber, dass während eines großen Turniers Arbeit liegen bleibt. Es gibt schließlich wichtigeres…
Foto: Mark Jensen/flickr.com
Über den Autor: esleben
Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf?
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