Die letzte Chance

Die Chance. Ihre Wiedergänger sind „Möglichkeit“ und Gelegenheit, ihre engsten Verwandten die Hundertprozentige und ihr unehelicher Bruder, die Tausendprozentige. Es gibt erste Chancen, letzte Chancen und allerletzte Chancen, wie im Fall von Berlin und Köln am letzten Spieltag der Saison. Es gibt Strohhalme und kleine Hoffnungsschimmer. Es gibt den fehlenden Hauch einer Chance. Kurz und gut, das Fußballvokabular wäre nichts ohne das Wörtchen „Chance“.

Es gibt das spöttische „Schaße“ des Kaisers, es gibt die kölsche „Schantze“ von Lukas Podolski, es gibt die „Schangse“ im Ruhrgebiet. Doch egal woher man kommt, in manchen Fällen klammert man sich an sie, wie an einen Masten. Hängen an ihrer Nutzung Existenzen, Arbeitsplätze und Regionen. In anderen Fällen vergibt man sie wie ein „Schulerbub“. Verdammt flüchtig ist sie, die Chance, muss deshalb am Schopf gepackt und genutzt werden. Gar nichts hat sie jedoch mit dem dümmsten aller Fußballsätze zu tun, dass man sich Glück erarbeiten könne. Wer die Chance der Chance, zumal der allerletzten beschwört, hat sich höchstens eine missliche Ausgangsbasis erarbeitet, glaubt auch an Wunder und bemüht womöglich das, was man das „rein Rechnerische“ nennt.

An diesem Wochenende versuchen eine Reihe von Mannschaften ihre Chance zu nutzen: Die Kölner, um sich die Chance auf den Klassenerhalt zu erhalten; die Düsseldorfer, um die des Aufstiegs zu wahren; Berliner, um sich die Möglichkeit zu bewahren, die „Minimalchance“ am Leben zu halten, die ein Rutschen auf den Relegationsplatz ermöglicht. Weiter oben in der Tabelle kämpft man, um die Chance, international Geld zu verdienen, an der Tabellenspitze hat man die Gelegenheit Historisches zu schaffen. Der ganze Fußball ist ein einziges Spiel der Chancen, der genutzten wie vergebenen, der hundertprozentigen wie minimalen. Er ist schlicht und einfach ein verdammtes Glücksspiel, bei dem manchmal 33. Spieltage nicht ausreichen, um eine Entscheidung herbei zu führen. Dass doch alles in einem Spiel entschieden werden muss, Hopp oder topp, Sekt oder Selters, Barfuß oder Lackschuh. Und genau diese Aussicht auf höchstmögliche Spannung treibt uns ins Stadion, hält uns an den Radio- und TV-Geräten. „Totale Dominanz“ ist der Tod jeder Chance.

Die Derbys des 34. Spieltags:

Sa, 15:30 Uhr

Bahlinger SC – SSV Reutlingen

Werder Bremen – FC Schalke 04 

Borussia Dortmund – SC Freiburg

Hannover 96 – 1. FC Kaiserslautern

 

So, 13:30 Uhr

Erzgebirge Aue – VfL Bochum

Karlsruher SC – Eintracht Frankfurt

Foto: Spider.Dog/flickr.com

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Rudelbildung in der Mixed Zone

„Rudelbildung“, einer der vielen Neologismen, bei denen man nicht so recht weiß, was zuerst da war. Das Wort oder die Tendenz der Spieler im Gros den Schiedsrichter nach umstrittenen Entscheidungen zu bestürmen. Wahrscheinlicher scheint es, dass Sportjournalisten den Begriff ihrer eigenen Arbeitswelt entlehnt haben. Das legt ein Artikel des SZ-Redakteurs Philipp Selldorf nahe, mit dem wir nicht immer einer Meinung sind, der in diesem Fall aber einige interessante Beobachtungen für die Branchenzeitung „journalist“ gemacht hat.

Die Ursache der Hysterie, mit der im Fußball bisweilen Nichtigkeiten aufgebauscht werden, liegt seiner Meinung nach in der mixed zone. Dort knubbeln sich seit diesem Jahr drei Nachrichtenagenturen, deren Geschäft es ist, News zu verkaufen. Doch echte News sind rar, wieso also nicht Nichtigkeiten als News tarnen?

„Die Rivalität der Dienste bringt Meldungen hervor, die nur deswegen zu Meldungen erhoben wurden, weil die anderen Dienste sie noch nicht auf den Markt gebracht haben. Das wiederum bewegt die anderen Dienste dazu, die Meldung ebenfalls auf den Markt zu bringen.“

Konkret:

„ So passiert es, dass alle drei nacheinander darüber berichten, dass Lukas Podolski den 1. FC Köln im Winter nicht verlässt, ungeachtet dessen, dass niemand zuvor behauptet hat, dass er das tun wollte.“

Dabei sind die drei großen deutschen Nachrichtenagenturen und ihr Wettbewerb beileibe nicht die einzigen Schuldigen an der Produktion des Nichtigen, die Spieler und ihre Berater tragen zu gleichen Teil dazu bei, dass es aus der mixed zone nichts Neues zu berichten gibt:

„Später schaut man dann in sein Notizheft und fragt sich, ob das die Anstrengungen und das Schubsen wert war: all die Floskeln, die gebügelten und gefönten rhetorischen Standards und die Binsenweisheiten, die einem während des Spiels schon selbst gekommen sind. Den Spielern ist kein Vorwurf zu machen. Sie sind durch die Verhältnisse geprägt und betreiben deshalb geübte Selbstzensur. Sie werden von ihren Beratern und den Pressechefs der Vereine geschult und eingestimmt auf die menschenfressende Öffentlichkeit, die den Fußball zur großen Sache macht.“

Wie es sich für einen Printredakteur gehört, spart sich Selldorf nicht einen kleinen Seitenhieb gegen seine Kollegen im Internet:

 „Das Internet stößt wie eine chinesische Fabrik tonnenweise Wegwerfware zum Thema Fußball aus, die Mitmachkultur in den Foren und Blogs trägt ihren Teil zur Unübersichtlichkeit bei“

Soweit Selldorfs Analyse, der ein kleiner Exkurs in die „Früher sind wir im Mannschaftsbus mitgefahren und haben trotzdem nicht darüber geschrieben“-Zeiten folgt. Ein entscheidender Kritikpunkt fehlt aber: Es wollen nicht nur zu viele Leute O-Töne von Spielern und Trainern sammeln. Viel zu viele von ihnen machen sich im Vorfeld zu wenig (also gar keine) Gedanken darüber, was sie die Spieler fragen möchten. TV-Journalisten, die einen Spieler nach einer Niederlage allen Ernstes mit der in sämtlichen Seminaren über Interviewführung verbotenen Frage „Wie fühlen Sie sich?“ konfrontieren, dürfen sich nicht wundern, wenn sich der Spieler in Allgemeinplätze flüchtet. Und Unsereins genervt abschaltet oder mit einem Blogartikel zur Unübersichtlichkeit beiträgt. Merke: Auch kickende Millionäre dürfen durchaus mit kritischen Fragen konfrontiert werden, auch wenn mancher Vereine dafür gerne Hausverbot erteilen würde …

Alle Zitate aus „Hinterm Absperrband geht’s weiter“, erschienen im Journalist 12/2011

Foto: manbeastextraordinaire/flickr.com (CC BY 2.0)

Über den Autor: esleben

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Die Pyro-Sportschau am Samstag

Die Vollmüllung der TV-Apparate und sonstiger Medienkanäle durch vollkommen nebensächliche „Fußballevents“ (ganz ehrlich, Spox, ein Live-Ticker für das Spiel Guangzhou Evergrande – Real Madrid, gehts noch?!) wird weniger, ab dem Wochenende wird endlich richtiger Fußball gespielt. „Der Ball rollt wieder“ (kicker) und ganze Horden zu Hause gebliebener Fußballfans versammeln sich vor den Empfangsgeräten, um die gute, alte Sportschau zu schauen.

Eigentlich sollte samstags um 18.00 Uhr ein gewisser Automatismus einsetzen und der erste Kronkorken von der Pulle gehebelt werden. Jedoch sind nicht jedem_r, der_ie 2006 zum „Fan“ geworden ist, die Rahmendaten der 1. Bundesliga bekannt oder gar bewusst. Da Einschaltquoten aber das Wichtigste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind, wird nochmal ordentlich die Werbetrommel gerührt, schließlich will der Bildungsauftrag ja unters Volk gebracht werden.

Also, rasch bei Jung von Matt angerufen und Plakate in Auftrag gegeben. Die hängen jetzt an jeder Bushaltestelle Deutschlands und beschwören sich wöchentlich wiederholende Heldenmythen. Und wer jetzt geglaubt hat, ekelhafter und heuchlerischer als bisher wird die Sportschau schon nicht werden, sieht sich eines besseren belehrt: Die sogenannten Helden posieren in Jubelgesten vor einer Fankurve, in die ein gänzlich talentfreier Photoshop-Praktikant gefühlte tausend bengalische Fackeln reinkopiert hat.

Abgesehen von der miserablen Optik dieses Machwerks ist die Falschheit dieser Aktion kaum noch in Worte zu kleiden. Die Moralapostel der Sportschau wurden in der Vergangenheit niemals müde, „Randale“ und „Chaoten“ zu identifizieren, sobald auch nur ein Rauchtopf gezündet wurde: „Moralisch ist das alles ganz falsch, die Verletzungsgefahr ist gleich eine Million und ohnehin ist das alles strafrechtlich relevant.“ Doch plötzlich ist dieser, an Entsetzlichkeit kaum zu übertreffende Ausbruch von Aggression die geeignete Kulisse für eine Werbekampagne. Aber wahrscheinlich zahlen die so transportierten Emotionen direkt auf die Marke ein und die Herren Entscheider waren so abgelenkt davon, zum ersten Mal in ihrem Leben eine PowerPoint-Präsentation zu sehen, dass Ihnen die tausendfach begangenen Verbrechen im Hintergrund ihrer „Stars“ gar nicht aufgefallen sind.

Wenn allerdings alles gut geht, müssen die professionellen Empörer ohnehin bis zum 22. August warten, um sich wieder aufregen zu können. Ein Großteil der organisierten Fans in Deutschland hat sich verpflichtet, bis zu diesem Datum auf das Abbrennen von Pyro zu verzichten. Hintergrund dessen sind die,bisher wohl gut verlaufenden, Gespräche zwischen Fans, Polizei und dem DFB. Gemeinsam soll eine Lösung gefunden werden, Pyrotechnik in den Stadien zu legalisieren und trotzdem als Ausdruck von Emotionen zu belassen.

Einen Bericht über dieses Thema sucht man auf sportschau.de allerdings vergeblich…

Bildquelle: kopane.de

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mutwillige Karrierezerstörung

Die Anzeichen verdichten sich: Lukas Podolski wird voraussichtlich zu seinem Leib-und-Magen-Club FC Köln zurückkehren. Vordergründig ist das richtig toll, zumindest behaupten das alle Beteiligten: Die Bayern sind ihren Ehren-Bankdrücker endlich los, der FC Köln erhält seinen verlorenen Sohn zurück und Podolski darf wieder für seinen Stammverein hütten. Doch was soll dieser Wechsel eigentlich nun wirklich bringen?

Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.