Singzwang mit Mayer-Vorfelder

Gerhard Mayer-Vorfelder, früher gefeierter Kultusminister in Baden-Württemberg, später gelobpreister DFB-Präsident ist inzwischen 79 Jahre alt. Man muss also ein bisschen Nachsicht mit seinen Aussagen haben. Nachsicht, die man sich auch von der deutschen Presse wünschen würde, und sie nicht jeden Quatsch, den MV von sich gibt, drucken würde.  Aber wir haben nun einmal Sommerloch, und die Niederlage gegen Italien nagt offenbar weiterhin an einigen schwarz-rot-geilen Fußball-„Fan“seelen, wieso sollte man also nicht MVs griffigen Einlassungen zum Thema „Singzwang“ abdrucken?

Als Steigbügelhalter fungiert in diesem Fall der Sid, der sich im täglichen Kampf mit anderen Nachrichtenagenturen entsprechend positionieren muss. Wieso also nicht Mayer-Vorfelder zu Wort kommen lassen, der 79-jährige ist doch noch rege im Kopf, er der um alles Weltliche in seinem Leben stets einen riesigen Bogen zu machen wusste. Und Mayer-Vorfelder ledert wie gewünscht los:

Der Bundestrainer muss die Singpflicht durchsetzen. Notfalls in einem Vier-Augen-Gespräch. Er sagt immer, er könne sie nicht zwingen. Ich sage aber: Klar kann man die Spieler zwingen. Wenn sich einer der Spieler dann immer noch beharrlich weigert, dann wird er eben nicht mehr eingeladen. Und wenn Löw einem seiner Spieler sagt, dass er singen muss, weil er sonst nicht mehr nominiert wird, dann wird er ganz schnell springen!

„Herr, lass Hirn ra!“ möchte man da rufen, es kommt aber noch besser:

Das glaubt doch kein Mensch, dass Khedira nicht mitsingt, weil er so einen großen Respekt vor Tunesien hat. Der Migrationshintergrund ist für mich keine ausreichende Begründung, stumm zu bleiben. Ich kann nicht für die DFB-Auswahl auflaufen und alle Vorteile einstreichen wollen, dann aber so tun, als wäre ich nur ein halber Deutscher.

Es ist so stumpf wie dumpf, was MV da von sich gibt, und wie VOX derzeit zumindest ein bisschen so tut, als würden sie Lothar Matthäus mit dem späten Ausstrahlungszeitpunkt seiner desaströsen Dokusoap schützen wollen, hätte spätestens hier der Sid eingreifen müssen, und diesen „Scheißdreck“ (R. Völler) nicht auch noch per Agenturticker weiterverbreiten müssen. Wie gut, dass Mayer-Vorfelder auch weiß, was mit der Singpflicht und ganzen Deutschen, die nicht nur „Vorteile einstreichen wollen“ gewonnen wäre:

Die Italiener haben mit Inbrunst mitgesungen — und auch mit der gleichen Leidenschaft für ihr Land gespielt. Und wir? Das sah fast schon beschämend aus.

Bekanntlich hat diese Inbrunst die Italiener im EM-Finale  ja zur souveränen 0:4 Niederlage gegen die notorisch stummen Spanier geführt. Oder deutlicher, Herr Minister a.D.: Entscheidend is‘ auf’m Platz, nicht bei der Hymne! Und jetzt bitte für ewig schweigen!

Zitate nach welt.de

Foto: Memorino/wikipedia.org

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Sing When You’re Winning

Wer das gestrige EM-Finale gesehen hat, weiß was echte Sieger vor dem Spiel machen: Mit Inbrunst die Hymne ihres Heimatlandes schmettern. Und weil mit Spanien nun zum dritten Mal in Folge der Turniergewinn an das Land gegangen ist, deren Hymne über keinen Text verfügt, fordern Bild in Person von Franz-Josef Wagner und einige CDU-Politiker eine Hymnenmitsingpflicht für echte Nationalspieler.

Hand aufs Herz, aber hätten die deutschen Nationalspieler vor dem Halbfinale gegen Italien so inbrünstig wie die Italiener ihr „Einigkeit und Recht und Freiheit“ geschmettert, der Sieg wäre nur noch eine Formalität gewesen. „Ihr Spiel nach der Nationalhymne hatte keine Magie, keinen Glauben.“ salbaldert Wagner und unterstellt den Italienern sie hätten gesungen, „als hätten sie Blutdurst.“ Abgesehen davon, dass man es lieber nicht sehen möchte, dass eine deutsche Nationalmannschaft singt als hätte sie „Blutdurst“, unterstellt Wagner den Spielern, dass sie als echte Repräsentanten ihres Landes nicht taugen, wenn sie nicht die Hand aufs Herz legen und ihre Hymne schmettern. Bild macht also weiter mit ihrer unsäglichen „Wir – Die“-Kampagne der letzten Tage, der jeder sachliche Hintergrund fehlt.

Wo die Bildzeitung als Steigbügelhalter fungiert, ist ein Unionspolitiker aus den hinteren Reihen des Bundestages aus Hessen bzw. Bayern nicht weit, und sich Der Westen, das Onlineportal der WAZ-Gruppe, nicht zu schade, „Medienberichte“ zu zitieren, in denen die Pflicht zum Hymnensingen gefordert wird. „Wer in der Nationalmannschaft spielt, muss die Nationalhymne singen“ wird ein Hans-Peter Uhl zitiert, angeblich Innenexperte der CDU, der in seiner politischen karriere regelmäßig mit hochfundierten Einlassungen zu Terrorismus, etc. reüssiert. Die Quelle, wie könnte es anders sein, ist Bild. Volker „Wie sexy darf Politik sein“ Bouffier pflichtet bei und spricht davon, „dass es peinlich sei, dass die Spieler nicht von selbst darauf kämen mitzusingen“. Der Westen weiter:

Sein Innenminister Boris Rhein (CDU) sagte: „Ich habe mich schon sehr geärgert, dass nicht alle Spieler unsere Hymne mitgesungen haben. Hier kann das Team von anderen Nationen lernen.“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befand: „Zum Länderspiel und zur Nationalmannschaft gehört die Nationalhymne. Wer dazu keine Lust hat, sollte in seinem Verein bleiben.“

Spätestens nach der letzten Einlassung kann man sich nur noch an den Kopf greifen, welch tumbem Nationalismus und unterschwelligen Rassismus hier Vorschub geleistet wird. Es zeigt die ganze Widerwärtigkeit mit der hier versucht wird die erste Nationalmannschaft, die in Ansätzen die Multikulturalität Deutschlands widerspiegelt, in Mißkredit zu bringen. Und sie wird auch nicht besser durch den Versuch, sich mit dem Hinweis auf die Textlosigkeit der spanischen Hymne selbst ad absurdum zu führen. Ich bin sprachlos, ob der Auswüchse der ach so unverfänglichen „Schwarz-rot-Geilheit“…

Foto: manuel|MC/flickr.com

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