Die Ultras in den Wohnstuben

Nicht nur die Printmedien haben in den letzten Wochen die Ultrakultur für sich entdeckt, auch im Fernsehen kamen in den letzten Tagen gleich zwei Dokumentationen, die sich mit Ultras und Fußballkultur auseinandersetzten. Dass das Niveau der Berichterstattung dabei sehr unterschiedlich ausfällt, liegt wohl nicht zuletzt am jeweils ausstrahlenden Sender bzw. Produzenten.

ZDFneo: Wild Germany – Ultras

Die sehr sehenswerte Dokureihe Wild Germany, die leider nur im Nischensender ZDFneo versendet wird, erhebt für sich den Anspruch, nicht alltägliche Aspekte der Lebensrealität und Subkulturen in Deutschland zu betrachten und darzustellen. Und tatsächlich ist die Dokumentation über die Ultras interessant und differenziert ausgefallen. Dies liegt nicht zuletzt an dem Reporter Manuel Möglich, dessen ehrliche Neugier und Vorurteilsfreiheit sehr zum Gelingen der Dokumentation beiträgt. Allein etwas mehr Ausführlichkeit in Form einer längeren Sendungsdauer hätte man sich gewünscht. Möglich spricht im Rahmen der Sendung mit Mitgliedern der Ultras von Fortuna Düsseldorf und des Sechstligisten Chemie Leipzig, mit 11Freunde-Chefredaktuer Philipp Köster und einem Vertreter der Koordinierungsstelle Fanprojekte. Das dabei entstandene Bild geht weit über die undifferenzierte Berichterstattung hinaus, die man normalerweise zu diesem Thema gewohnt ist. Leider ist der Beitrag in der Mediathek wegen einer Freigabe ab 12 Jahre erst ab 20 Uhr abends zu sehen, aber vielleicht findet man die gesamte Doku ja auch anderswo.

Wild Germany – Ultras in der ZDF-Mediathek (ca. 30 Minuten)

RTL II: Kuhnigk und die Hooligans

In eine etwas andere Kerbe schlägt hingegen die Dokumentation des „investigativen Journalisten“ Wolfram Kuhnigk, der für RTL II „drängende Gesellschaftsthemen“ untersucht. Er wirft fröhlich Ultras und Hooligans, Gewalt und Pyrotechnik in einen Topf und mixt daraus einen sensationsheischenden Film zum Thema Fußball und Gewalt zusammen. Neue Erkenntnisse oder Einblicke erhält man dabei eher weniger, hierfür bleibt der Beitrag doch allzusehr an der Oberfläche. Vielleicht wäre es zum Beispiel interessanter gewesen, bei dem seltsam reulosen Frank Renger etwas länger nachzuhaken, anstatt irgendwelchen Lok Leipzig Fans eine Plattform für ihre dümmliche Asozialität zu bieten.

Kuhnigk und die Hooligans in der Mediathek von RTL II (ca. 45 Minuten)

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Gerechte Stadionverbote?

„Ein Stadionverbot ist gegen eine Person zu verhängen, die im Zusammenhang mit dem Fußballsport […] innerhalb oder außerhalb einer Platz- bzw. Hallenanlage in einer die Menschenwürde verletzenden Art und Weise oder sicherheitsbeeinträchtigend aufgetreten ist.“

So sieht es zumindest die entsprechende DFB-Richtlinie vor, die zudem konkrete Beispiele für ein solches „Auftreten“ nennt: Gewaltdelikte, Landfriedensbruch oder auch Raub.

Es herrscht wohl größtmöglicher Konsens, dass ein Stadionverbot als Strafe für die genannten Delikte durchaus angemessen ist. Bei bundesweit ca. 3.500 erlassenen Stadionverboten in den letzten drei Jahren fällt es allerdings schwer zu glauben, dass jeder dieser Sanktionen eine (schwere) Straftat vorangegangen ist. Und tatsächlich, ähnlich wie bei der Aufnahme in die „Datei Gewalttäter Sport“, reicht es manchmal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um jahrelang unter den Folgen leiden zu müssen.

Nicht zuletzt deswegen schwelt seit Jahren ein Streit zwischen Vereinen, DFB und Fans hinsichtlich der Vergabepraxis von Stadionverboten. Die einen sehen diese als notwendige Maßnahme zum Schutz anderer Zuschauer, die anderen als willkürlichen Ausdruck von Repression. 2007 schließlich fand ein erster Bundesweiter Fankongress mit Vertretern aller genannten Gruppen statt. Dabei wurde unter anderem beschlossen, die maximale Laufzeit eines Stadionverbotes von fünf auf drei Jahre zu reduzieren. An den Umständen, wie Stadionverbote zustande kommen hat sich seitdem jedoch nichts Wesentliches geändert: Eine Anhörung des Betroffenen oder gar eine Überprüfung des Urteils findet so gut wie nie statt.

Wegweisend sollte deswegen die Klage eines Bayernfans sein, dessen Stadionverbot trotz eines eingestellten Ermittlungsverfahrens aufrecht erhalten wurde. Der BGH urteilte schließlich, dass dieses Vorgehen rechtens sei. Entscheidend sei das Hausrecht der Vereine, ein Anspruch auf ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren bestehe nicht. Dabei kann sich wohl jeder vorstellen, was ein ungerechtfertigtes Stadionverbot für den Betroffenen bedeuten kann: Einerseits ein bitteres Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem undurchdringbaren Entscheidungsapparat. Andererseits, besonders bei Jugendlichen, ein wesentlicher Eingriff in die Freizeitgestaltung und das soziale Leben.

Und dennoch gibt es zu diesem Thema keinerlei Debatte, ist doch das Vertreten einer „Null Toleranz“ Linie in Zeiten einer „neuen Dimension der Stadiongewalt“ deutlich leichter zu rechtfertigen als Verständnis gegenüber unschuldig Verurteilten.

Daher ist es besonders bemerkenswert, dass sich der VfL Bochum vor kurzem für gänzlich neues Vorgehen in Sachen Stadionverbote entschieden hat. Der Verein hat zu diesem Zweck eine fünfköpfige Stadionverbotskommission eingerichtet, die aus Prof. Dr. Thomas Feltes (Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum), Gerd Kirchhoff (Stadtdirektor und Dezernent a.D. sowie ehemaliges Aufsichtsratsmitglied VfL Bochum 1848), Norbert Kern (Bereichsleiter des Ordnungsdienstes im Gästebereich des Ruhrstadions und Polizeibeamter a.D.), Lothar Kessler (stellv. Leiter des Jugendamts Bochum und Abteilungsleiter Jugendförderung) sowie Frank Gutberger (Jugendrichter am Landgericht Bochum) besteht. Diese Kommission soll einen möglichst objektiven Blick auf den jeweiligen Vorfall richten, dem Betroffenen die Möglichkeit geben vorzusprechen und individuelle Maßnahmen festlegen, ohne sofort zum Stadionverbot zu greifen.

Man sollte meinen, dass ein solches Vorgehen in einem Rechtsstaat wie Deutschland selbstverständlich wäre. Leider aber muss man dem VfL Bochum für diese bundesweit bisher einzigartige Einrichtung ein besonderes Lob aussprechen. Man kann dem Club nur wünschen, dass die Pilotphase erfolgreich verläuft und für ein besseres Verhältnis zwischen Fans und Verein sorgt und Strafmaßnahmen rund um den Fußball gerechter und nachhaltiger gestalten kann. Wann und ob sich weitere Vereine daran ein Beispiel nehmen, ist leider noch längst nicht absehbar.

Weitere Informationen: Der Westen – In Sachen Stadionverbot ist der VfL nun Vorreiter

Foto: mkorsakov/flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Die Schande von Dresden – Eine andere Sichtweise

Ursprünglich sollte dies ein Kommentar zum Artikel von schneider3 werden. Aber nachdem der Kommentar länger und länger wurde, beschloss ich, einen eigenen Artikel daraus zu machen, der eine etwas andere Meinung zum Thema beinhaltet.

Ja, es findet in der Tat eine Ungleichbehandlung zwischen „kleinen“ und „großen“ Vereinen statt, das will ich nicht bestreiten und insofern gehe ich mit schneider 3 noch Hand in Hand. Und nochmals ja: Die ganze Berichterstattung ist derzeit furchtbar aufgepeitscht und zum großen Teil zynisch und nicht zu ertragen. Aber das Urteil für Dresden sehe ich weniger kritisch als viele andere. Warum?

Weil der Verein zuvor bereits 28 Mal (!!!) verurteilt und 16 Mal abgemahnt wurde – jeweils in Form von kleineren oder größeren Geldbeträgen. Von den vielen ungeahndeten Vorfällen mal ganz abgesehen (zuletzt bspw. die vom Dresdener Capo angefeuerten „Juden! Juden! Juden“-Rufe Teile der Anhängerschaft beim Heimspiel gegen Frankfurt). Alles das scheint leider nichts genutzt zu haben.

Das jetzige Urteil kommt also nicht „plötzlich“ (Guru von der Kreuzeiche) oder aus heiterem Himmel, sondern es ist der (vorläufige) Höhepunkt einer langen Entwicklung.

Wenn man sich als Veranstalter nicht vollkommen lächerlich machen will, muss man irgendwann die Härte der Bestrafung erhöhen. Und der DFB (den man ansonsten gerne und heftig attackieren darf) hat nun entschieden, dass der 45. (!!!) klar nachgewiesene Vorfall das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Zu früh? Keineswegs.

Jetzt kann man natürlich darüber streiten, was Dynamo Dresden für seine Fans kann. Das ist ein eigenständiges Thema. Aber vor dem Hintergrund, dass man die Täter im Block oder auch außerhalb des Stadions dank Kadergehorsam der Szene i.d.R. leider nicht zu fassen bekommt, hält man sich an den Verein und bestraft die Täter damit mittelbar.

Natürlich werden dadurch auch die vielen normalen Fans Großteils zu Unrecht mit bestraft, quasi in Sippenhaft genommen. Aber es sind eben auch genau die Fans, die nichts gegen die Chaoten im eigenen Block oder Stadion unternehmen, insofern durch unterlassene Hilfeleistung also zum Teil mitschuldig sind. Hier herrscht eher Solidarität und Abschottung nach außen, anstatt die eigenen Idioten zur Vernunft zu bringen.

Und das gilt nicht nur für die Fans im Stehplatzbereich, sondern auch sonst wo im Stadion, wie die Bilder aus Rostock zeigen, in denen Teile des Stadions applaudieren, als Leuchtraketen erfolgreich in den St.Pauli-Block gefeuert wurden.

Die These, dass man nur mit den Fans reden müsse und es würde sich alles ändern, ist auch eine Urban Legend, die ich nicht mehr hören kann. Ich beobachte das in Frankfurt, wo seit Jahren mit Engelszungen mit den Ultras geredet wird. Ergebnis: Gleich null. Die Hools machen weiter, was sie wollen und die Ultra-Szene übt Kadergehorsamkeit.

Meine persönlichen Erfahrungen sind die, dass genau diejenigen, die zuvor Böller auf Unbeteiligte geworfen haben, in der U-Bahn randaliert haben oder sonstige Sachbeschädigungen begangen haben, die ersten sind, die beim Anblick von Polizisten rufen: „Fußballfans sind keine Verbrecher!“

Ob das Urteil gegen Dresden etwas ändert, weiß ich nicht. Aber es ist ein neuer Weg. Natürlich werden sich die unmittelbar Betroffenen in ihrer eigenen Underdog-Mentalität bestätigt fühlen. Aber ich hoffe, dass die große Masse aufgerüttelt wird und mehr Zivilcourage zeigt, weil sie sieht, wohin das ganze führen kann. Aktuelle Beispiele gibt es ja schon. Auch hier von Fans eines Vereins, der als gebranntes Kind gelten darf. Zufall? Vielleicht, aber ich glaube es nicht.

Das Argument, dass früher alles noch schlimmer war, ist an Dummheit nicht mehr zu unterbieten. Früher gab es auch mehr Verkehrstote oder Schwulenfeindlichkeit oder Vergewaltigungen oder oder oder. Was soll das bitte für eine Argumentation sein? Das hier und jetzt zählt.

Und dieses hier und jetzt führte in Dortmund zu „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“, so Freunde, die vor Ort waren und das ganze live miterlebt haben. Dresdner Fans in großer Zahl, allesamt uniformiert mit speziell für den Anlass gedruckten T-Shirts und in der Regel maskiert, attackierten Unbeteiligte und Polizisten. Und im Stadion ging es munter weiter. Alles mit Vorsatz, alles, wie es scheint, lange geplant und von einem nicht geringen Teil der Fans aktiv oder passiv unterstützt.

Eine harte Strafe? Sicherlich.
Eine gerechte Strafe? Diskussionswürdig.
Eine Strafe aus heiterem Himmel? Nein, nein und nochmals nein.

Bild: wikipedia.org

Über den Autor: Don

Mag Bier und Heavy Metal genau so gerne wie Eintracht Frankfurt. Bis 5 Uhr in der Bochumer Pinte anzutreffen. Spinnt.

Hoffenheim? Kein Kommentar!

Angeblich war es der große Skandal der im August noch jungen Saison. Bei vier Heimspielen der TSG Hoffenheim beschallten ein Stadion-Hausmeister und sein Komplize den Fanblock der Gästefans mit einer Schallkanone. Seitdem ermittelt der DFB und die Staatsanwaltschaft.

Während die Mühlen der Justiz bekanntlich langsam mahlen, ist man beim DFB normalerweise schnell bei der Hand mit einer Bestrafung. Kleines Beispiel gefällig? Dynamo Dresden spielte am 25.10. im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund, die harte Strafe folgte vier Wochen später: Ausschluss aus dem DFB-Pokal in der nächsten Saison. Fans des HSV brannten im September beim Auswärtsspiel in Bremen Bengalos ab, und benahmen sich Ende Oktober beim Pokal-Spiel gegen Eintracht Trier „daneben“, gestern wurde der Verein zu einer 7000 Euro hohen Geldstrafe verurteilt, wegen „fortgesetzten unsportlichen Verhaltens“. Das Thema Hoffenheim wird dagegen weiterhin beim DFB verhandelt, die Presse hat das Interesse an dem Fall längst verloren.

Man muss sich bei Google schon auf die vierte Seite der News klicken, um einen Artikel zu finden, der die berechtigte Frage stellt, wann der DFB in der „Causa Hoffenheim“ denn ein Urteil zu sprechen gedenke. Der kurze Artikel (Danke an Trainer Baade für den Hinweis) stammt vom 19. November und ist im Tagesspiegel erschienen. Autor Benjamin Apitius ruft darin noch einmal das Motiv für den Einsatz der Schallkanone ins Gedächtnis: Rache. Rache wird im StGB als niederer Beweggrund angesehen: „Wer einen Menschen aus niedrigen Beweggründen heraus tötet, ist als Mörder – und nicht nur als Totschläger – zu bestrafen.“ (Wikipedia). Aus Rache wurde also die mögliche Verletzung von Auswärtsfans in gleich vier Begegnungen in Kauf genommen, man könnte also sowohl von einem geplanten Vorgehenm wie von einem Widerholungstäter sprechen, der seine Taten mit einer hohen kriminellen Energie ausführte und zumindest über Mittelsmänner in höheren Spähren des Vereins verfügen musste, denn zu übersehen war die Kanone nicht:

„(…) bei einer Größe von 1,30 Meter, auf einen rollbaren Untersatz geschraubt und mit 60 Kabeln an das Stromnetz des Stadions angeschlossen.“ (Hervorhebung von mir)

In meiner Rechtsauffassung sind dies alles Gründe, bei denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat, dass zügig ein Urteil gefällt wird und eine angemessen hohe Strafe gegen Hoffenheim ausgesprochen wird. Doch was passiert beim DFB:

„Aus der DFB-Zentrale werden Telefonanrufe zu diesem Thema freundlich abgewehrt, bitte schreiben Sie doch eine E-Mail, heißt es von dort. Und auf eine E-Mail hin erhält man die Antwort: Kein Kommentar während eines laufenden Verfahrens! Aber was hat die TSG als Strafe zu erwarten? – Kein Kommentar!“

Und weiter:

„Zumindest scheint das Verhältnis zwischen Verband und Verein von den laufenden Untersuchungen nicht belastet zu sein. Denn erst vor ein paar Wochen wurde bekannt gegeben, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre EM-Vorbereitung in einem südfranzösischen Hotel absolvieren wird, das Dietmar Hopp gehört. Hätte man nicht erst zu einem Urteil kommen sollen, bevor man wieder gemeinsam Geschäfte macht? – Kein Kommentar!“

Gleiches Recht für alle gilt offenbar nicht, wenn es um die Gerichtsbarkeit des DFB geht. Weder was die Verfahrensdauer angeht, noch das Strafmaß. Es scheint dem DFB noch nicht einmal merkwürdig vorzukommen, mit dem Repräsentanten eines Vereins Geschäfte zu machen, gegen den noch ein laufendes Verfahren anhängig ist. Man stelle sich nur einmal vor, ein Staatsanwalt würde ähnlich verfahren, seine Karriere wäre am Ende. Das letzte bisschen Glaubwürdigkeit hat sich der DFB spätestens mit dieser Posse verspielt, wer mehr über die Verstrickungen von DFB und Hoffenheim erfahren möchte, dem sei press-schlag.de empfohlen.

Zitate aus „Lange nichts gehört„, erschienen am 19.11. im Tagesspiegel

Foto: cosmonautirussi/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Die Schande von Dresden

Am Donnerstag, den 24. November hat das DFB-Sportgericht entschieden, Dynamo Dresden für die kommende Pokalrunde vom Spielbetrieb auszuschließen. Dieses Urteil ist in zweierlei Hinsicht ein Skandal. Einerseits bestätigt es die Tendenz, einige Clubs weniger streng zu bestrafen als andere. Andererseits bestätigt es den Eindruck, dass es der DFB hinsichtlich der teilweise vorherrschenden Gewaltproblematik im Fußball vorzieht, lieber medienwirksam anstatt nachhaltig zu agieren.

Eine „Geisterdebatte“

Das gefällte Urteil beruht auf den Vorfällen im Pokalspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden. Den Fans aus Dresden wird, u.a., vorgeworfen, dass die Partie wegen ihres Einsatzes von Pyrotechnik mehrfach „kurz vor dem Abbruch stand“. Abgesehen von der unzulässigen Gleichsetzung von Pyrotechnik und „Hooligan-Terror“ (auf die bigotte Berichterstattung der Medien zu Pyrotechnik in Südeuropa und Deutschland will ich hier nicht erneut eingehen), fand ein Erklärungsansatz so gut wie keinen Eingang in die Berichterstattung: Monatelang hielt der DFB über 150 Ultragruppierungen hin, die sich in der Kampagne Pyrotechnik legalisieren! organisiert hatten. In dieser Zeit schafften es diese sogenannten „Chaoten“ einen ligaübergreifenden Konsens einzuhalten und mehrere Wochen lang keinerlei Pyrotechnik zu zünden. Am Ende wurde ihnen dann, nach zahlreichen Versprechungen und konkreten Gesprächen, eine kategorische Absage erteilt, und Reinhard Rauball erdreistete sich, von einer „Geisterdebatte“ zu sprechen. Dass die durchaus vorhandenen, moderaten Kräfte in den Kurven auf diese Weise nicht gerade gestärkt wurden, dürfte nachvollziehbar sein. Aber die Verlogenheit des DFB in dieser Frage lässt sich natürlich deutlich leichter unter den Teppich kehren als die Bilder brennender Bengalos, mit denen Quote gemacht wird, während man sie im gleichen Atemzug verurteilt.

Gewalt und Tote

Und auch in der Begründung des Urteils selbst finden sich zwei mindestens bemerkenswerte Aussagen:

„Nie war die Gewalt in unseren Fußballstadien größer als in diesem Jahr.“ – Eine Behauptung, die sich nicht nur statistisch widerlegen lässt, sondern angesichts mancher Anekdote aus den 80ern und 90ern gänzlich geschichtsvergessen erscheint. Es ist eine andere Qualität der Gewalt, wenn man am Bierstand verprügelt wird, weil man mit dem falschen Dialekt bestellt. Abgesehen davon, dass es die meisten Verletzten in den Stadien durch den Einsatz von Pfefferspray gibt.

„Tote gab es noch nie in unseren Stadien. Wenn es so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt.“ – Der letzte Fan, der in akuter Lebensgefahr schwebte, war 15 Jahre alt und wurde beinahe von einem Polizisten vom Oberrang des Niedersachsenstadions geworfen. Wohlgemerkt: Bei einem unberechtigten Polizeieinsatz, der ohne Ergebnis blieb.

Zweierlei Maß

Zudem steht die Schwere des Urteils in keinem Verhältnis zu anderen Urteilen. In Dortmund wird das Spiel „fast abgebrochen“ und Dresden wird vom DFB-Pokal ausgeschlossen. In St. Pauli wird das Spiel nach dem Bierbecherwurf auf einen Schiedsrichter-Assistenten abgebrochen und der Verein wird mit einem Geisterspiel bestraft. Im Westfalenstadion findet eine der größten Pyroaktionen der letzten Jahre statt und Dortmund muss 8.000 € zahlen. Rostock zündet Pyrotechnik in Frankfurt und die Eintracht wird zu 20.000 € Geldstrafe verurteilt. Anstatt gemeinsam mit den betroffenen Vereinen Lösungen zu erarbeiten, bleiben die Fanprojekte unterfinanziert und es wird mit dem Knüppel auf eine ganze Fanszene und einen ganzen Verein eingeprügelt. Anstatt den Dialog mit den Fans zu suchen, werden diese vom DFB entweder verarscht oder gar nicht erst eingeladen. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wächst beim DFB von Tag zu Tag. Man kann nur hoffen, dass das ganze Geld, das der DFB in das Marketing seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung steckt, irgendwann verwendet wird, diese tatsächlich einmal wahrzunehmen.

Gesamtgesellschaftliche Verantwortung

Tatsächlich ist das Urteil eine Kapitulation. Ja, Gewalt ist eine Begleiterscheinung des Fußballs. Gewalt ist allerdings eine Begleiterscheinung der gesamten Fußballgeschichte, ohne dass diese, generell betrachtet, überhand nehmen oder eine neue Dimension erreichen würde. Wenn man dann allerdings hört, dass in Dortmund sogar die Ordnungshüter vor einigen wenigen Dresdnern kapitulierten, sollte man diese Extremfälle nicht durch Ausschlüsse unter den Teppich kehren, sondern eine gemeinsame, zivilgesellschaftliche Lösung erarbeiten. Vielleicht sollte man es am Anfang aber zunächst mit V-Leuten in den Ultragruppen versuchen, die positiven Ermittlungsergebnisse sollten sich alsbald einstellen. Wie das geht, hat zuletzt ja der Verfassungsschutz eindrucksvoll bewiesen…

Bild: wikipedia.org

Über den Autor: schneider3

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Zurück zum Sport…

500 mal 5 Freunde im Abseits – keine so schlechte Bilanz für etwas mehr als vier Jahre im Netz. Am 15.05.2007 ging der erste Artikel online, weil unsere ursprüngliche Idee, eine Art „Anti-DSF-Fußballstammtisch„- TV-Sendung auf die Beine zu stellen, aus unerfindlichen Gründen scheiterte… Was blieb war der Arbeitstitel der Sendung – „5 Freunde im Abseits“ – und der unbedingte Wille, alles, aber wirklich alles anders und besser zu machen als andere Blogs und die mediale Berichterstattung sowieso.

Ein Spielbericht des Duells zwischen Real Madrid und Espanyol Barcelona war unser erstes Lebenszeichen, unsere Erfüllung haben wir aber erst in der zunehmenden Unterhaltungssucht der Fußballberichterstattung gefunden. Seither ein willkommener Sparringspartner, dessen Entwicklung in den letzten vier Jahren ebenso rasant nach unten ging, wie sich der Fußball zu einem „Theater für alle“ – Männer, Frauen, Kinder – entwickelt hat. Selbst beim Zahnarzt werde ich inzwischen von der Sprechstundenhilfe auf das gestrige Europapokalspiel angesprochen. Das kann selbst der Kaiser Franz nicht gewollt haben, der – mit Unterstützung der Titanic – die WM 2006 nach Deutschland brachte.

Womit wir bei der entscheidenden Zäsur der letzten Jahre angelangt sind. Die Folgen des Fußballhypes im Zuge des Sommermärchens 2006 kann man wieder und wieder in diesem Blog nachlesen: Die zunehmende Entfremdung zwischen Ultras, Fans und Vereinen, die sich 2011 auch in handfesten Zusammenstößen zwischen Fans, Polizei und anderen Fans manifestiert. Gewalt scheint hier das letzte Mittel zu sein, um doch noch etwas von dem Fußball zu retten, den es niemals gab. Die Zustände der 80er Jahre will kein Mensch zurück haben, von den 90er Jahren, in denen Fußball zunehmend als Kultur betrachtet wurde, sind wir aber auch meilenweit entfernt.

Inzwischen spricht jeder ungeniert vom „Produkt Fußball“, dessen massenhafter Verkauf durch eine zunehmende Normierung geebnet werden soll: Austauschbare Stadionnamen, austauschbare, Arenen mit dem Flair einer zu groß geratenen Turnhalle, austauschbare Gesänge, austauschbares „Catering“, austauschbare Währungen, Tor-Jingles, die Inszenierung vor, während und nach dem Spiel. Dass die Mannschaft nach dem Spiel zu den Fans läuft ist heute ebenso fester Bestandteil der Inszenierung, wie das immerwährende und austauschbare Singen der Ultras, die damit unbewusst ihren eigenen Beitrag zur Normierung geleistet haben. Und jetzt verzweifelt versuchen aus diesem Teufelskreis herauszukommen, allerdings um den Preis, als „Chaoten“ abgestempelt zu werden, die den Fußball kaputt machen. Die Frage ist nur welchen Fußball…

Damit einher geht eine normierte, rein affirmative und kritiklose Berichterstattung, der weder an Differenzierung liegt, noch an Information. Was hierzulande das Werk von Chaoten ist, gilt südlich der Alpen als südländische Atmosphäre. Oder wird wie im Fall der ARD benutzt, um mit emotionalen Bildern für das Produkt „Sportschau“ zu werben. Unterhaltung ist das oberste Ziel, das aus einer der besseren Sportsendungen im Fernsehen die mittlerweile unerträglichste gemacht hat. Die Rede ist von unserem Liebling, dem Aktuellen Sportstudio.

So könnte man weiter lamentieren, kommt aber doch zum gleichen Schluss: Fußball, wie ich ihn kennen gelernt habe, gibt es nicht mehr. Die bisweilen obsessive Beschäftigung mit Fußball ist bei mir einer Gleichgültigkeit gewichen, die dazu führt, dass ich zwischenzeitlich ganze Spieltage verpasse. Weil ich darin nicht mehr das finde, was mich unter anderem dazu motiviert, diesen Blog mit Artikeln zu füttern. Stattdessen Ungewissheit, wann eine Partie angepfiffen wird, Ungewissheit beim Kartenkauf. Schlechte Wurst, schales Bier, Einlaufkids, Eröffnungsfeiern, Separees für die Reichen, Nichtraucherblocks, von all dem einfach viel zu viel, was für mich noch nie zum Fußball gehört hat. Die Erkenntnis, dass die 90 Minuten auf dem Rasen Inszenierung genug sind (und sich dankenswerterweise standhaft der Normierung widersetzen), ist im Hype verloren gegangen. Ist für mich aber nach wie vor, der einzige Grund ein Stadion zu betreten.

Hört sich in der Masse vielleicht nach einem Schlussstrich unter die Bloggerkarriere an, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Es soll und muss hier weitergehen, um des Fußballs Willen, um der 5 Freunde Willen. Für Stehplätze! Für Alkohol im Bier! Freiheit der Bratwurst! Zurück zum Sport!

Über den Autor: esleben

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In Wolfsburg brennt der Baum. In Istanbul auch.

Es war klar, dass das Pulverfass VfL Wolfsburg über kurz oder lang explodieren würde. In und um die Volkswagen-Arena brodelte es ja schon länger, nun scheint das Tischtuch zwischen Management und den fanatisierten Anhängermassen endgültig zerschnitten. Ausschlaggebend war die Auflösung des Vertrages mit Arne Friedrich, die auch die Treuesten der Treuen verärgert hat. Im Nachgang brach ein Sturm der Entrüstung los, der selbst für einen Verein wie Wolfsburg ungewöhnliche Ausmaße angenommen hat. 5 Freunde im Abseits, der Günter Wallraff der Fußballblogs, hat einen exklusiven Einblick in das Herz der Wolfsburger Fan-Seele erhalten und zeigt an dieser Stelle, wie viel Hass in manchen Fußballfans steckt. Wogen des Zorns brechen über den VfL herein und keiner kann sagen, wie lange der Traditionsverein dieser Zerreißprobe noch standhalten kann.

Damit gar nichts zu tun hat das Folgende, ungefähr Gegenteilige und somit Großartige: Weil sich die Fans von Fenerbahce in letzter Zeit mal wieder minimal daneben benommen haben („fußball-beklopp“, R. Calmund) müssen sie aktuell mal wieder eine Stadionsperre erleiden, was zu einer absolut einzigartigen und sensationellen Idee, mit noch sensationellerem Ergebnis geführt hat: Das Stadion wurde für das Spiel gegen Manisaspor nur für Frauen und Kinder unter 12 Jahren geöffnet. Hier und anderswo hinsichtlich Fußball meist nur belächelt, haben es sich die Damen nicht nehmen lassen, auch ohne ihre Typen für eine sensationelle Atmosphäre zu sorgen. Statt der kalkulierten 10.000 Zuschauerinnen kamen 41.663 und haben es krachen lassen. Und ich will endlich nach Istanbul zum Fußball kucken!

Via: El Fútbol

Über den Autor: schneider3

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Ein Déjà-vu namens Friedhelm Funkel

Friedhelm Funkel wurde beim VFL Bochum als Trainer entlassen, die Wenigsten weinen dem knorrigen Rheinländer mit der natürlichen Affinität zum Kölner Karneval eine Träne nach. Zu wenig erfolgreich war der unattraktive Angsthasenfußball funkel’scher Prägung in den letzten Wochen, dass die eh schon kritischen VFL-Fans wirklich traurig sein müssten. Hätte man so alles auch schon vorher ahnen können, ein Blick in unseren Blog hätte genügt.

Am 7. Oktober 2008 musste der erboste Goldschuhe aus seinem Ärger Luft machen. „Eine abschließende Betrachtung vor dem Trainerwechsel: Fairness für Freidhelm Funkel oder die Alliteration des Tages“ hat er sein Pamphlet etwas arg gespreizt überschrieben und darin die Frage nach dem Zeitpunkt einer Trennung zwischen Funkel und Eintracht Frankfurt gestellt. Die Argumente ähneln sich denen, mit denen die Bochumer Fans in den letzten Wochen dafür sorgten, dass sich Aufsichtsratsboss Ernst-Otto Stüber zu der Aussage genötigt sah: „Wir verlieren immer mehr Zustimmung in der Öffentlichkeit und bei unseren Sponsoren“.

Was wirft man Funkel vor, damals wie heute?

Lange hat es kaum jemand gemerkt, da die Ergebnisse merkwürdigerweise stimmten, aber der Fußball, der in Frankfurt seit Beginn der Saison 2007/2008 gespielt wird, ist leider immer grauenhafter geworden.

schreibt Goldschuhe aus und findet, dass

Funkel die Mannschaft so gut kennen (würde), dass er vor lauter differenzierter Fehlerdiagnose ihre Stärken vergisst und nur noch die Schwächen wahrnimmt. So ist auch das immer defensiver werdende Spiel zu erklären, das entgegen des Klischees über den Trainer Funkel eine relativ neue Entwicklung darstellt.

und weiter

Gegen Hoffenheim mit sechs Spielern der erweiterten Kategorie „Verteidiger“ aufzulaufen ist schon merkwürdig, gelinde gesagt. So gibt man keiner Mannschaft das Gefühl, sie könne mithalten.(…) Die Qualität des Kaders stagniert und die Siegermentalität strebt gegen null. Es geht so nicht weiter.

Seine Hoffnung klang 2008 ganz ähnlich wie das, was die Bochumer Fans mit der Demission Funkels verknüpfen – Veränderung und mehr Attraktivität:

Wir brauchen einen neuen Trainer, der in der Lage ist, erneut das Mittelmaß als Ziel zu erreichen ohne es so zu formulieren. Sonst steigen wir in dieser Saison ab und reißen damit alles ein, was man in den letzten Jahren aufgebaut hat.

Wohin der Weg der Eintracht unter Skibbe führte, dürfte allseits bekannt sein, hoffen wir, dass Bochum ähnliches erspart bleibt.

Foto: Steffen Ewald/wikipedia.org

Über den Autor: esleben

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FDP gewinnt Preis für die dümmste Fußballanalogie

Schluss, aus, vorbei. Die Konkurrenz kann einpacken. Die FDP holt sich, bereits im August, souverän den Pokal für die dümmste Fußballanalogie. Selbst die Konkurrenz muss zugeben, dass die FDP derzeit in einer eigenen Liga spielt.
Für ihren Coup hat sich die FDP auf internationales Parkett gewagt und den Wahlkampf in der Weltstadt Berlin genutzt, um jegliche Hoffnungen der Mitbewerber im Keim zu ersticken. Bevor wir das grandiose Meisterwerk enthüllen, freuen wir uns, wieder einmal, exklusive Einblicke erlangt zu haben und an dieser Stelle die Laudatio des Zweitplazierten im laufenden Wettbewerb Norbert Walter-Borjans (SPD) wiedergeben zu können. Seine klassische Analogie des „Balls in der gegnerischen Hälfte“, diesmal angewandt auf die Weltfinanzkrise, war zwar gut, aber nicht gut genug. Walter-Borjans hat sich aufgrund der Überlegenheit des Gegners jedoch sofort bereit erklärt, für den Festakt als Redner zur Verfügung zu stehen. Die Preisverleihung findet traditionell am 31. Dezember im Rahmen der Veranstaltung „Danke, DFB!“ im Mercedes-Benz Museum, Stuttgart statt.

Hier nun der Text im Wortlaut:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren,

dies soll eine Lobrede sein, aber, bitte, verzeihen Sie mir, wenn ich bisweilen ins Elegische abschweife. Denn: Wir Politiker haben es schwer. Ich stehe hier als Janus vor Ihnen, zwei Herzen schlagen in meiner Brust, zwei Gesichter zieren mein Haupt. Einerseits bin ich Politiker und löse Probleme, andererseits bin ich Fan. Fußballfan. Und ich bin nicht der einzige, nein, wir sind Legion! Und dennoch werden wir angefeindet. Mein Genosse Kurt Beck zum Beispiel ist Fan des 1. FC Kaiserslautern und des 1. FSV Mainz. Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D. mag Schalke und Dortmund. Und Angela Merkel ist, wie viele, nicht erst seit 2006 fanatischer Anhänger der deutschen Nationalmannschaft. Ausgerechnet diese Leidenschaft, die tiefste aller Leidenschaften wird uns oftmals nicht als solche abgenommen und das erschüttert mich.

Ohnehin, 2006, und jetzt gerate ich wieder ins Schwärmen, 2006! 2006 hat den Fußball in die Mitte der Gesellschaft getragen. Endlich kann jede_r, auch ohne irgendeine Art von Vorwissen oder Verbindung zum Fußball, ekstatisch und als Depp verkleidet Länderspiele bejubeln und das Halbwissen der Sportschauredakteure verbreiten. 2006 war mir ein innerer Reichsparteitag und ich denke, damit war ich nicht der Einzige.

Apropos, Reichsparteitag. In Berlin findet bald eine Wahl statt und damit komme ich auch zu denjenigen, um die es eigentlich gehen soll an diesem Abend: Die Kollegen von der FDP, politische Gegner aber Brüder im Geiste. Im Handstreich haben sie die Fußball-Analogie auf ein ganz neues Niveau gehoben. Aber gehen wir der Reihe nach vor. Was zeichnet eine gelungene Analogie aus?

1.) Das verwandte Fußballbild muss grotesk falsch sein. Was ich mit dem Ball in des Gegners Hälfte andeutete führt die FDP zur Perfektion: „Einheitsliga“ ist ein Begriff der vollkommen sinnlos im Raume steht und keinerlei Bezug zu den Verhältnissen in realiter besitzt. Weder gibt es eine Forderung nach einer „Einheitsliga“ noch kann man sich darunter irgendetwas vorstellen. Was soll das überhaupt sein, eine „Einheitsliga“? Ich stottere jetzt, weil ich mir unter diesem Begriff tatsächlich überhaupt nichts vorstellen kann, wie man es dreht und wendet, es kommt nichts Brauchbares dabei heraus. Deswegen, rasch, zum nächsten Punkt:

2.) Die Sprache. Sie muss zum jugendlich-flippigen Image des Fußballs passen und auch hier treffen die WirtschaftsLiberalen den Nagel auf den Kopf. „Doof“, so reden Sie einfach die jungen Wähler, die Fans und überhaupt alle. Und auf einem Wahlplakat sorgt das Wort letztendlich auch für die nötige Ernsthaftigkeit. Um im Bild zu bleiben: 3 Punkte für die FDP auch in diesem Punkt.

3.) Der Vergleich darf sich keinerlei Sinnlosigkeit zu schade sein. Und da muss ich sagen, huiuiui, in der Hinsicht haben die Jungs und Mädels aber alles rausgeholt. Bildung und Fußball ergänzt sich ja wirklich allerfeinst! Bildung ist ja, wie der Fußball, ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Die Sieger sind Champions, die Verlierer sind Versager und uninteressant, wer’s nicht schafft hat Pech gehabt.

Liebe Berlin-FDP, ihr habt die Latte wirklich hoch gelegt, aber glaubt mir, im nächsten Jahr werden auch wir und die anderen wieder alles tun, diese zu überspringen. Wir werden uns weiter anbiedern, die Schals tragen, wie sie sonst keiner trägt, die Vereine wechseln wie andere die Unterwäsche, in Kabinen eindringen und den Sport auf alle erdenklichen Arten und Weisen missbrauchen. Wir freuen uns drauf!“

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Die Pyro-Sportschau am Samstag

Die Vollmüllung der TV-Apparate und sonstiger Medienkanäle durch vollkommen nebensächliche „Fußballevents“ (ganz ehrlich, Spox, ein Live-Ticker für das Spiel Guangzhou Evergrande – Real Madrid, gehts noch?!) wird weniger, ab dem Wochenende wird endlich richtiger Fußball gespielt. „Der Ball rollt wieder“ (kicker) und ganze Horden zu Hause gebliebener Fußballfans versammeln sich vor den Empfangsgeräten, um die gute, alte Sportschau zu schauen.

Eigentlich sollte samstags um 18.00 Uhr ein gewisser Automatismus einsetzen und der erste Kronkorken von der Pulle gehebelt werden. Jedoch sind nicht jedem_r, der_ie 2006 zum „Fan“ geworden ist, die Rahmendaten der 1. Bundesliga bekannt oder gar bewusst. Da Einschaltquoten aber das Wichtigste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind, wird nochmal ordentlich die Werbetrommel gerührt, schließlich will der Bildungsauftrag ja unters Volk gebracht werden.

Also, rasch bei Jung von Matt angerufen und Plakate in Auftrag gegeben. Die hängen jetzt an jeder Bushaltestelle Deutschlands und beschwören sich wöchentlich wiederholende Heldenmythen. Und wer jetzt geglaubt hat, ekelhafter und heuchlerischer als bisher wird die Sportschau schon nicht werden, sieht sich eines besseren belehrt: Die sogenannten Helden posieren in Jubelgesten vor einer Fankurve, in die ein gänzlich talentfreier Photoshop-Praktikant gefühlte tausend bengalische Fackeln reinkopiert hat.

Abgesehen von der miserablen Optik dieses Machwerks ist die Falschheit dieser Aktion kaum noch in Worte zu kleiden. Die Moralapostel der Sportschau wurden in der Vergangenheit niemals müde, „Randale“ und „Chaoten“ zu identifizieren, sobald auch nur ein Rauchtopf gezündet wurde: „Moralisch ist das alles ganz falsch, die Verletzungsgefahr ist gleich eine Million und ohnehin ist das alles strafrechtlich relevant.“ Doch plötzlich ist dieser, an Entsetzlichkeit kaum zu übertreffende Ausbruch von Aggression die geeignete Kulisse für eine Werbekampagne. Aber wahrscheinlich zahlen die so transportierten Emotionen direkt auf die Marke ein und die Herren Entscheider waren so abgelenkt davon, zum ersten Mal in ihrem Leben eine PowerPoint-Präsentation zu sehen, dass Ihnen die tausendfach begangenen Verbrechen im Hintergrund ihrer „Stars“ gar nicht aufgefallen sind.

Wenn allerdings alles gut geht, müssen die professionellen Empörer ohnehin bis zum 22. August warten, um sich wieder aufregen zu können. Ein Großteil der organisierten Fans in Deutschland hat sich verpflichtet, bis zu diesem Datum auf das Abbrennen von Pyro zu verzichten. Hintergrund dessen sind die,bisher wohl gut verlaufenden, Gespräche zwischen Fans, Polizei und dem DFB. Gemeinsam soll eine Lösung gefunden werden, Pyrotechnik in den Stadien zu legalisieren und trotzdem als Ausdruck von Emotionen zu belassen.

Einen Bericht über dieses Thema sucht man auf sportschau.de allerdings vergeblich…

Bildquelle: kopane.de

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.