Rudelbildung in der Mixed Zone

„Rudelbildung“, einer der vielen Neologismen, bei denen man nicht so recht weiß, was zuerst da war. Das Wort oder die Tendenz der Spieler im Gros den Schiedsrichter nach umstrittenen Entscheidungen zu bestürmen. Wahrscheinlicher scheint es, dass Sportjournalisten den Begriff ihrer eigenen Arbeitswelt entlehnt haben. Das legt ein Artikel des SZ-Redakteurs Philipp Selldorf nahe, mit dem wir nicht immer einer Meinung sind, der in diesem Fall aber einige interessante Beobachtungen für die Branchenzeitung „journalist“ gemacht hat.

Die Ursache der Hysterie, mit der im Fußball bisweilen Nichtigkeiten aufgebauscht werden, liegt seiner Meinung nach in der mixed zone. Dort knubbeln sich seit diesem Jahr drei Nachrichtenagenturen, deren Geschäft es ist, News zu verkaufen. Doch echte News sind rar, wieso also nicht Nichtigkeiten als News tarnen?

„Die Rivalität der Dienste bringt Meldungen hervor, die nur deswegen zu Meldungen erhoben wurden, weil die anderen Dienste sie noch nicht auf den Markt gebracht haben. Das wiederum bewegt die anderen Dienste dazu, die Meldung ebenfalls auf den Markt zu bringen.“

Konkret:

„ So passiert es, dass alle drei nacheinander darüber berichten, dass Lukas Podolski den 1. FC Köln im Winter nicht verlässt, ungeachtet dessen, dass niemand zuvor behauptet hat, dass er das tun wollte.“

Dabei sind die drei großen deutschen Nachrichtenagenturen und ihr Wettbewerb beileibe nicht die einzigen Schuldigen an der Produktion des Nichtigen, die Spieler und ihre Berater tragen zu gleichen Teil dazu bei, dass es aus der mixed zone nichts Neues zu berichten gibt:

„Später schaut man dann in sein Notizheft und fragt sich, ob das die Anstrengungen und das Schubsen wert war: all die Floskeln, die gebügelten und gefönten rhetorischen Standards und die Binsenweisheiten, die einem während des Spiels schon selbst gekommen sind. Den Spielern ist kein Vorwurf zu machen. Sie sind durch die Verhältnisse geprägt und betreiben deshalb geübte Selbstzensur. Sie werden von ihren Beratern und den Pressechefs der Vereine geschult und eingestimmt auf die menschenfressende Öffentlichkeit, die den Fußball zur großen Sache macht.“

Wie es sich für einen Printredakteur gehört, spart sich Selldorf nicht einen kleinen Seitenhieb gegen seine Kollegen im Internet:

 „Das Internet stößt wie eine chinesische Fabrik tonnenweise Wegwerfware zum Thema Fußball aus, die Mitmachkultur in den Foren und Blogs trägt ihren Teil zur Unübersichtlichkeit bei“

Soweit Selldorfs Analyse, der ein kleiner Exkurs in die „Früher sind wir im Mannschaftsbus mitgefahren und haben trotzdem nicht darüber geschrieben“-Zeiten folgt. Ein entscheidender Kritikpunkt fehlt aber: Es wollen nicht nur zu viele Leute O-Töne von Spielern und Trainern sammeln. Viel zu viele von ihnen machen sich im Vorfeld zu wenig (also gar keine) Gedanken darüber, was sie die Spieler fragen möchten. TV-Journalisten, die einen Spieler nach einer Niederlage allen Ernstes mit der in sämtlichen Seminaren über Interviewführung verbotenen Frage „Wie fühlen Sie sich?“ konfrontieren, dürfen sich nicht wundern, wenn sich der Spieler in Allgemeinplätze flüchtet. Und Unsereins genervt abschaltet oder mit einem Blogartikel zur Unübersichtlichkeit beiträgt. Merke: Auch kickende Millionäre dürfen durchaus mit kritischen Fragen konfrontiert werden, auch wenn mancher Vereine dafür gerne Hausverbot erteilen würde …

Alle Zitate aus „Hinterm Absperrband geht’s weiter“, erschienen im Journalist 12/2011

Foto: manbeastextraordinaire/flickr.com (CC BY 2.0)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Die Menschlichkeit des Theo Zwanziger

Wer bislang völlig taub und blind durchs Leben ging, hat es wahrscheinlich endlich in den vergangenen Tagen und Wochen bemerkt: Dr. Theo Zwanziger ist nicht nur ein unglaublicher Demagoge, sondern auch ein echtes Desaster für den deutschen Fußball. Das desolate Handeln des DFB-Präsidenten im Fall Babak Rafati stellt in diesem Zusammenhang nur noch einen weiteren Tiefpunkt dar.

Ein Schiedsrichter begeht einen Suizidversuch und logischerweise weiß zunächst einmal keiner warum. Und das ist auch gut so. Die Gründe von Babak Rafati gehen nämlich die Öffentlichkeit überhaupt nichts an. Das einzige, was die Leute wissen müssen ist, dass das Spiel abgesagt wird und damit ist das Thema auch erst einmal erledigt.

Dass sich die elende Boulevardjournalisten-Meute dann die Informationen beschafft und wenige Minuten nach Entdeckung der Tat schon die ersten Details bekannt werden, muss man wohl hinnehmen. Um das Geschäftsgebaren von Bild und Co. soll es hier auch überhaupt nicht gehen. Aber dass Theo Zwanziger, seines Zeichens oberster Vorgesetzter von Babak Rafati und daher mit einer besonderen Sorgfaltspflicht für seine Mitarbeiter ausgestattet, sich allen Ernstes nach Köln begibt, um dort eine Pressekonferenz zu geben, die wirklich jeder Beschreibung spottet, zeigt die komplette Perversität seiner Führung des Verbands DFB.

Rücksichtnahme à la Zwanziger

Wenn man keine Ahnung hat, ist es manchmal besser, einfach mal die Fresse zu halten. Doch was macht Theo, Wächter über Fußballs Gnaden? Er sagt, dass sich alle Spekulationen verbieten würden und dass man Rücksicht nehmen müsse, um im gleichen Atemzug die wildesten Spekulationen zu verbreiten: Der Druck auf die Schiedsrichter sei zu groß, das wäre der Grund für den Suizidversuch. Natürlich der mediale Druck. Denn von dem Druck, den der DFB auf die Schiedsrichter über Bewertungen und Ranglisten aufbaut, war in diesem Zusammenhang logischerweise keine Rede. Minutiös schildert Zwanziger die Situation und den zeitlichen Ablauf im Hotel. Details wolle er allen ersparen, aber der Schiedsrichter habe in der Badewanne gelegen und es habe „viel Blut gegeben“. Auch von „Notizen“ im Hotelzimmer ist die Rede und auch über die Familiensituation informiert der DFB-Präsident sehr gerne: „Die Lebensgefährtin von Babak Rafati ist seine engste Angehörige.“

Wie verlogen kann man sein? Sich bestürzt und tieftraurig über den Suizidversuch zeigen, gleichzeitig bereitwillig über die  Details informieren und schon einmal die vermeintlichen Beweggründe offenlegen. Damit tut man natürlich dem Geschädigten einen echten Gefallen. Die Medien sprangen gerne auf den Zug aus. Denn es passte ja auch so schön ins Bild, in die so oft gezeichnete Linie Enke-Miller-Rangnick. Da war doch ein Rafati, der sich aufgrund des mörderischen Drucks der Bundesliga versucht, das Leben zu neben nur ein weiterer willkommener Mosaikstein in einer bescheuerten Argumentationskette. Jetzt ist allen Ernstes davon die Rede, die Schiedsrichter-Noten im Kicker abzuschaffen, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass Rafati private Gründe für sein Handeln hatte.

Emotionen schaffen Fakten

Aber die Moralmaschine war schon wieder heißgelaufen. Munter wurden Zusammenhänge gesucht konstruiert und Verbindungen geschaffen, wo keine sind. Sogar von einer eigentlichen Qualitätssendung wie Sport Inside, die den Umgang mit dem Schiedsrichter aus dem Freiburg-Spiel verurteilte. Sinngemäßes Zitat: „Wenige Stunden nach dem Selbstmordversuch von Schiedsrichterkollege Babak Rafati wurde Wingenbach von Spielern und Zuschauern massiv angegangen.“ Man möchte diesen Journalisten an die Stirn klopfen und „Hallo, jemand zuhause?“ (H. Strunk) zurufen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Für einen Bericht, der ordentlich auf die Tränendrüse drückt und Empörung für diesen unmenschlichen Fußball wecken soll, werden halt auch beim WDR gerne Fakten missachtet. Die Quote nimmt man ja gern mit. Aber die Absurdität ist schon bemerkenswert. Folgendes Szenario: Angenommen, ein Mitarbeiter eines DAX-Unternehmens begeht einen Selbstmordversuch und schreibt in seinem Abschiedsbrief, dass seine Frau ihn verlassen habe und dass er zudem nach dem Tod seiner Eltern auch keinen Grund mehr sähe, weiterzuleben. Wer würde auf die Idee kommen und davon sprechen, dass der Druck auf der Arbeit dazu geführt hätte und dass man jetzt auch wirklich einmal die Geschäftspraktiken dieses Unternehmens zu untersuchen habe?

Zwanzigers Realität

Doch zurück zu Zwanziger, dem es gelingt, jede noch so starke Verlogenheit spielend zu toppen. Der DFB-Präsident spricht immer gerne von Menschlichkeit, Rücksichtnahme und Fairness. Davon, dass der Fußball nicht alles ist, dass man Druck von den handelnden Personen nehmen müsse, dass vieles im Leben doch wichtiger wäre. Gerade nach den Fällen Enke, Rangnick und Rafati wird eben diese Menschlichkeitskeule gerne geschwungen. Alles völlig richtig. Doch in der gelebten Realität von Theo Zwanziger sieht es immer etwas anders aus. Oder bin ich der einzige, der sich noch an den geradezu brutalen Umgang mit seinem Vize-Präsidenten Rainer Koch erinnert, dem – nachdem dieser  sich wohl auf Geheiß Zwanzigers mit Manfred Amerell und Bischof Huber getroffen hatte, um in der Schiedsrichter-Affäre zu schlichten – er in Form einer Pressemitteilung massiv eins überzog. Das Ende vom Lied: Koch musste sich allen Ernstes entschuldigen und  zudem noch zahlreiche Kompetenzen abgeben. Ist das der menschliche Umgang, den Zwanziger meint? Mitarbeiter öffentlich zu demütigen? Ist das ein Vorgehen, das Druck von den handelnden Personen nimmt?

Theo Zwanziger hat sich in seiner Amtszeit schon so viel Ungeheuerliches geleistet, dass jede einzelne Episode eigentlich zwingend einen Rücktritt nach sich ziehen müsste. Angedroht hat er es ja lächerlicherweise schon oft. Wenn es ihm jetzt wirklich endlich ernst ist mit der Menschlichkeit im Fußball, wäre spätestens jetzt der Zeitpunkt für den Rücktritt gekommen.

Bildquelle: © Manuel Heinrich / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-2.5

Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.

Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen

Gestern Abend übertrug die ARD das Freundschaftsspiel Deutschland – Brasilien und der 19-Jährige Mario Götze hat ein überragendes Spiel abgeliefert. Er war in der letzten Saison schon extrem gut und scheint diese Leistung ohne Probleme fortsetzen zu können. Er ist wohl das, was man einen Hoffnungsträger nennt. Ein junger Spieler an den besonders hohe Erwartungen gestellt werden, seitens des Publikums und seitens der Medien. Solche „Hoffnungsträger“ gibt es immer wieder.

Zum Beispiel vor zehn Jahren. Damals hießen Sie Sebastian Deisler, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Broich. Schweinsteiger und Lahm spielen immer noch in der Nationalmannschaft, Deisler beendete seine Karriere aufgrund von Depressionen und Broich spielt inzwischen in der australischen A-League. Aber nur letzterer wurde acht Jahre lang von einem Dokumentarfilmer begleitet.

Herausgekommen ist dabei ein sehr gelungener Film, der tiefe und interessante Einblicke gewährt: Einerseits in die Funktionsmechanismen des Profifußballs und der dazugehörigen Medienlandschaft in Deutschland, andererseits in die Psyche eines, im Wortsinne, außergewöhnlichen Fußballspielers. Mir war gar nicht mehr bewusst, welcher Hype einst um Broichs Leistungen bei Wacker Burghausen und Borussia Mönchengladbach gemacht wurde und wie nah er in frühen Jahren an der Nationalmannschaft war.

Wie es dazu kam, dass er dieses Ziel nie erreichen konnte und inzwischen (glücklich und erfolgreich) in Brisbane kickt, erzählt der Film in ruhigen (manchmal etwas zu ruhigen) Bildern und ohne aufdringlich oder belehrend zu wirken. Die chronologisch aufeinanderfolgenden Stationen und Aussagen werden immer wieder vom heutigen Thomas Broich kommentiert und reflektiert. Es ist das Portrait eines Spielers, der sich sich seinen Traum vom Profikicker ganz anders vorgestellt hatte, als dieser dann tatsächlich war. Der aber auch oft genug sich selbst und seinem möglichen Erfolg im Weg stand. Man kann Mario Götze nur wünschen, dass es bei ihm besser läuft.

Wer sich auch nur minimal für (deutschen) Fußball interessiert, dem sei dieser Film ans Herz gelegt. Besonders das ausführliche Portrait des Verhältnisses zwischen Christoph Daum und Broich weiß zu fesseln und reicht eigentlich schon als Berechtigung für diesen Film aus. Also, Programmkino raussuchen und reingehen!

Bild: tommeetszizou.com

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Das Urgestein

 

Friedhelm Funkel wurde hier im Blog schon immer überdurchschnittlich gewürdigt. Besonders als er noch Trainer bei der Eintracht war, rang ihm unsere SGE-Fraktion so manches Bonmot ab.

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Die Liga der außergewöhnlich Erfolglosen

32 Punkte nach 33 Spielen und eine Tordifferenz von 32:58. Mit dieser „Punkteausbeute“ (Kicker) ist man nicht sicher aus der Bundesliga abgestiegen, damit schafft man einen Spieltag vor Ablauf der Saison den Klassenerhalt. Freiburgs verdienter, aber letzendlich „schmeichelhafter“ (Kicker) Verbleib in der Bundesliga macht eines deutlich: Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen oben und unten klafft nicht nur in der Gesellschaft auseinander.

Über den Autor: esleben

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Zitat des Tages (VII)

Christoph DaumNach dem 14-stündigen Verhandlungsmarathon und seiner anschließenden Heiligsprechung und Ver-Genscherung durch die anwesenden Fans und die örtliche Presse hat Christoph Daum offensichtlich schwer Selbstvertrauen getankt. Köln, das ist wie Champions League, und Jugendliche müssen dringend vor Schwulen geschützt werden, so Daum sinngemäß in einem Bericht des DSF, der am Mittwoch über den Äther gehen soll.

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M’r losse de Daum in Kölle

Christoph DaumDie Nerven in Köln liegen mal wieder blank. Trotz Aufstieg, trotz des greifbar nahen Champions League Sieges. Was ist los? Trainer-Guru Christoph Daum will nur noch so vielleicht Trainer in Köln bleiben. Wie gut, dass der Kölner Express extra einen Live-Ticker für die harten Verhandlungen eingerichtet hat. Ausschnitt und Link nach dem Klick.

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