WM: Die Vorrundenbilanz

Die Vorrunde ist so gut wie vorbei, Zeit, den bisherigen Verlauf des Turniers nochmals Paroli laufen zu lassen. Natürlich streng objektiv und mit dem Anspruch auf absolute Richtigkeit.

Gewinner:

#1 Kevin-Prince Boateng

Wohl kein Spieler bei dieser WM stand in den deutschen Medien derart im Fokus wie der „üble Treter“ Boateng. Schließlich hat der ja voller Absicht unserem „Capitano“ (Jürgen K., Bäcker) alle WM-Hoffnungen zertreten, es in der Bundesliga zu nix gebracht und ist ohnehin ein totaler Assi, der bevorzugt Außenspiegel von Autos holzt. Was der 23-Jährige allerdings in seinen A-Länderspielen zwei bis vier gezeigt hat, war extrem stark. Scheinbar hatte er keinerlei Probleme damit, sich in die junge Mannschaft Ghanas zu integrieren. Auf dem Platz strahlt er eine enorme Dominanz aus, ist defensiv sehr präsent und nach vorne vielseitig. Er kann sowohl den tödlichen Pass spielen als auch den Abschluss suchen. Ghana hat (nicht nur wegen ihm) gute Chancen auf das Viertelfinale, wenn die Mannschaft ihre eklatante Abschlussschwäche besiegt. Neben den ausgeschiedenen Mannschaften aus Algerien, Italien und Honduras ist Ghana das einzige Team, das noch keinen Treffer aus dem Spiel heraus erzielt hat.

#2 Ravshan Irmatov

Auch die Schiedsrichter haben sich im Verlauf der WM schon Einiges anhören müssen. Bei Schiris aus Saudi-Arabien oder von den Seychellen werden schlechte Leistungen dabei gerne mal mit ihrer Herkunft erklärt. Bei einer WM kommen die „Pfeifenmänner“ nicht nur aus den klassischen Fußballnationen, sondern aus aller Herren Länder. Ausgerechnet Usbekistan stellt nun bei dieser WM den bisher besten Schiedsrichter. Ravshan Irmatov wurde für das Eröffnungsspiel vom kicker sogar mit einer glatten „1“ bedacht und auch bei den beiden nachfolgenden Spielen, die er pfiff (Algerien-England, Greichenland-Argentinien) blieb er unauffällig. Und das ist ja, wie wir alle wissen, das größte Lob für einen Schiri.

#3 Amerika

Sieben der 16 Achtelfinal-Teilnehmer kommen vom amerikanischen Kontinent. Während Europa ein ziemliches Favoritensterben und -wackeln erlebt hat, haben sich alle amerikanischen Favoriten suverän durchgesetzt und auch die Mannschaften aus der zweiten Reihe haben guten Erfolge feiern können. Honduras ist das einzige Team aus Südamerika den beiden amerikanischen Verbänden, das sich nicht für die K.o.-Runde qualifizieren konnte. Ich lege mich fest, der Weltmeister 2010 kommt vom amerikanischen Kontinent.

Verlierer:

#1 Die Bildregie

Hat das Rahmenprogramm in den Stadien und im TV die Grenze des Erträglichen schon lange überschritten, ist spätestens mit dem aktuellen Turnier die Bildregie nachgezogen. Einerseits diese lächerlichen Superzeitlupen: Auf jede halbwegs interessante Bildauswahl kommen mindestens fünf Einstellungen in denen man Spieler einfach nur völlig irre Richtung Ball stieren oder Bälle an Latte/Pfosten/Aluminium/Gehäuse/Gebälk klatschen sieht. Weg mit dem Quatsch!
Weiterhin folgt die Darstellung von Fangruppen den allerletzten Klischees. „Neger“ tanzen und singen die ganze Zeit, Engländer sind fett und / oder tragen lustige Ritterkostüme, Südamerikanerinnen sehen alle weltklasse aus und haben praktisch nichts an, Skandinavier tragen Wikingerhelme und Osteuropäer sehen aus wie Hooligans auf Steroiden. Ach ja, alle Japaner winken verschämt in die Kamera und sind 1,10 m groß.
Ich will Fußball sehen, der von einer starren Schwarz-Weiß-Kamera aufgenommen wird, die mindestens fünf von 90 Minuten ausfällt!

#2 Superstars

Große Spekulationen wurden vor dem Turnier angestellt: Wer wird Torschützenkönig? Torres oder Rooney? Wer führt sein Team weiter? Christiano „die andern tun mir so dolle weh“ Ronaldo oder Lionel Messi? Bisher hat keiner der ganannten herausragen können. Messi hat bisher einige gute Spiele abliefern können und auch Ronaldo hat beim 7:0 gegen Nordkorea sein erstes Länderspieltor seit 158 Jahren erzielt. Es bleibt aber festzuhalten, dass bisher noch kein einzelner Spieler besonders herausragend gespielt hat. Es dominieren die Kollektive. Seien es kollektive Spiellust (Deutschland), kollektive Effizienz (Brasilien), kollektives Versagen (Frankreich) oder kollektiver Kollektivismus (Nordkorea). Was sich in der Champions-League mit dem Sieg von Inter Mailand schon angedeutet hat, findet hier seine Fortsetzung.

#3 Raymond Domenech

Von zahlreichen französischen Vollversagern war der Trainer wohl der größte. Frankreich war bereits bei der EM 2008 als Gruppenletzter ausgeschieden, was Domenech nicht davon abhielt, das gleiche zwei Jahre später eindrucksvoll und unter noch erbärmlicheren Umständen zu wiederholen. Die Mannschaftsführung glitt ihm vollständig aus den Händen, was seinen Gipfel in der Verlesung der Mannschaftserklärung zum Trainingsboykott fand. Abgesehen davon, dass die Mannschaft innerlich offenbar vollkommen zerstritten war, wurden die letzten Hoffnungen auf ein Weiterkommen durch Mangelerscheinungen im Bereich der Taktik und desolate Ein- und Auswechslungen (Malouda, Henry) begraben.

Favoriten:

#1 Brasilian

Besonders große Sympathien hege ich nicht für die Kicker „vom Zuckerhut“ (S. Simon und / oder kicker), man muss ihnen allerdings attestieren, dass die Mannschaft die bisher beste Gesamtleistung abgeliefert hat. Die Siege gegen Nordkorea und die Elfenbeinküste waren verdient und stets ungefährdet. Wenn das Team weiterhin defensiv sicher steht und nach vorne eine derartige Effizienz an den Tag legt wie bisher, dürfte Brasilien nur extrem schwer zu besiegen sein.

#2 Argentinien

Die (nominell) beste Offensive des Turniers. 7:1 Tore und 9 Punkte aus drei Spielen sprechen eine deutliche Sprache und der 1:0 Sieg gegen Nigeria wäre auch noch deutlich höher ausgefallen, hätte Vincent Enyeama nicht das Spiel seines Lebens gemacht. Wenn Argentinien es schafft, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen, ist die starke Offensive so gut wie gar nicht zu verteidigen.

#3 Ghana

Zwar ist Ghana nur knapp ins Achtelfinale gekommen, dies darf über die Stärke des Teams allerdings nicht hinwegtäuschen. Bisher kam bei jeder der einen oder anderen WM der Titelträger vom Kontinent des Gastgebers. Außerdem haben die Ghanaer den bisher besten Spieler des Turniers in ihren Reihen. Wenn die jetzt irgendwann mal noch hütten, kann die jüngste Mannschaft des Turniers weit kommen.

Versager:

#1 Slowakei

Das Team um Erik „Fußballgot“ Jendrisek hat zwar Italien „rausgekegelt“ (kicker), wird aber gegen die Niederlande gnadenlos untergehen. Trotzdem ist das Achtelfinale ein Riesenerfolg für „Klein-Tschechien“ (S. Simon).

#2 USA

Landon Donovan ist der größte Unsympath des Turniers. Außerdem hat sein Team ein lächerliches Tor gegen England geschossen. Ghana wird diese Truppe so richtig erniedrigen.

#3 Deutschland

Die gewählte Überschrift wird diesem Team ganz und gar nicht gerecht. Aber die Truppe ist (noch) zu jung und instabil. Gelingt gegen England vielleicht noch ein Achtungserfolg, ist spätestens danach gegen Argentinien Schluss. Dennoch: in vier Jahren dürfte dieses Team eine sehr starke Rolle spielen. Außerdem spielt Deutschland endlich wieder richtig schönen Fußball. Das 4:0 gegen Australien war das bisher schönste Spiel des Turniers.

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
17 comments
  1. „Bisher kam bei jeder WM der Titelträger vom Kontinent des Gastgebers.“ Echt? 2002? Japan/Südkorea? Brasilien? 1958? Schweden? Brasilien?

  2. Mal wieder knallhart recherchiert…

  3. Ja, soll ich hier schreiben „hin und wieder“ ? Hier müssen kontroverse Thesen auf den Tisch und die liefer ich ab ;-)

  4. Ja, aber gegen die normative Kraft des Faktischen ist jede These machtlos.

  5. Ghana als Favorit zu nennen, Chile aber nicht, zeugt vom vollkommenem Fussball-Unwissen.

  6. @5: Naja, erst gegen die USA antreten zu müssen und anschließend gegen Urugay ist eben einfacher, als sich mal eben mit Brasilien zu duellieren.

  7. Wer Weltmeister werden will, muss jeden schlagen. Wer schrieb mir das noch neulich per SMS?

  8. Ja, gut sicherlich. Da halte ichs wie der Kaiser: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.

  9. Die USA und Deutschland unter die Versager zu packen, kann man nur damit erklären, dass man Lautern verehrt.

    Den USA wurden zwei reguläre Tore aberkannt und sie haben dennoch nie aufgegeben. Weder gegen Slowenien noch gegen Algerien. Nun sind sie zwar raus, aber ihre Unbekümmertheit fand ich großartig.

    Und die Deutschen haben zwei Glanzpartien gegen das Commonwealth hingelegt und auch Serbien große Teile des Spiels in Unterzahl dominiert. Nur gegen Ghana war in der Tat Hängen im Schacht.

    Wie man hier jeweils zu Versager-Urteilen kommen kann, weiß allein der rote Teufel.

  10. Seh ich ja jetzt erst:

    „Honduras ist das einzige Team aus Südamerika…“

    Sensationell…

    und:

    „Neben den ausgeschiedenen Mannschaften aus Algerien, Italien und Honduras ist Ghana das einzige Team, das noch keinen Treffer aus dem Spiel heraus erzielt hat.“

    Was genau waren das nochmal für Tore von Italien gegen die Slowakei?

  11. @10: Habs korrigiert. Wusste nicht, dass der Nordamerikanische Verband so weit in den Süden reicht. Die italienischen Tore habe ich verdrängt ;-)

    @9: Ich gebe zu, das mit Deutschland ist etwas aus der Luft gegriffen, leider ist mir da nichts besseres eingefallen. Habs aber im Artikel auch deutlich relativiert…

  12. @11: Es gibt da etwas zwischen Nord- und Südamerika, das nennt sich Mittelamerika. Da ungefähr liegt Honduras.

  13. Unfassbar eigentlich, dass Baden-Württemberg bei den Pisa-Tests dennoch immer vorne ist.

    Die sollen mal nen Vergleichstest in Erdkunde machen.

  14. Es gibt überall schwarze Schafe…

  15. Ihr neunmalklugen Schwätzer habt ja anscheinend richtig Ahnung. Es ist zutreffend, dass es auf dem amerikanischen Kontinent zwei Fußballverbände gibt, oder? Der eine liegt tendenziell eher im Norden, der andere tendenziell eher im Süden. Diese vereinfachende Unterscheidung habe ich mich getraut zu übernehmen.

    Aber warum auch inhaltlich was beitragen, wenn man sich an solchen Nichtigkeiten aufhalten kann…

  16. @12: da hat der Autor schon recht, Mittelamerika gehört zum CONCACAF-Verband (http://de.wikipedia.org/wiki/CONCACAF). Was aber natürlich nix daran ändert, dass Honduras nicht in Südamerika liegt, sondern Mittelamerika.

    Um aber wunschgemäß auch inhaltlich was dazu beizutragen: #2 der Gewinner kann das morgen nachmittag gerne unter Beweis stellen.

  17. Verdammt! Da legt Schneider3 den Ball erneut und ohne Not auf den Elfmeterpunkt und ich komm zu spät, weil Papa la Papp das Ding schon trocken reingewichst hat. Das Leben ist so ungerecht.

    Für den Verfasser liegt Deutschland dann sicherlich auch in Nordeuropa, wir sind ja schließlich mit Norwegen und Finnland in einem Verband.

    Und inhaltlich habe ich den Beitrag bereits zerpflückt wie Schafwolle.

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