Die deutsche Presse, oder: Wie entsteht eine Sage?

Wappen VfL BochumSeit sich der VfL Bochum am Sonntag von Trainer Marcel Koller getrennt hat, kann man in vielen Medien sehr gut verfolgen, wie die deutsche Presselandschaft arbeitet. Die Arbeitsweise erinnert an Schüler der Mittelstufe bei den Hausaufgaben. Einer schreibt was, alle anderen schreiben ab. Ungeprüft, natürlich.

Das beste Beispiel dafür ist der Artikeln der Frankfurter Rundschau:

Man fragt sich: Was wollen die eigentlich?

Vor dem Spiel hatten einige Befragte im Radio gesagt, sie seien es leid, dass der VfL immer nur im unteren Mittelfeld herumkrebse.

Und alle anderen Medien stoßen ins gleiche Horn. Auf spiegel.de zum Beispiel schreibt Christoph Biermann, bisher als VfL-Fan bekannt, dem eigentlich das Umfeld des Klubs bekannt sein sollte:

Für Außenstehende ist schwer zu verstehen, warum Koller, der den VfL Bochum in die Bundesliga führte und drei Jahre dort hielt, derartigen Hass des Publikums auf sich gezogen hat.

und

Doch viele Fans hat das Leben im Grenzgebiet zwischen Erster und Zweiter Liga tief verbittert.

Doch das trifft die Stimmung der Bochumer Fans nichtmal ansatzweise.

Die eigentlich richtige Antwort darauf gab Iterimstrainer Frank Heinemann in der Bild:

Kampf ist ganz wichtig. Das wollen die Menschen in unserer Region sehen.

Doch das ist nicht der einzige Punkt. Koller war einfach abgenutzt. Seine Entscheidungen wurden immer weniger nachvollziehbar, er stellte sich immer mehr als stur heraus:

Das Spielsystem und dessen Besetzung:

Koller war offensichtlich ein Fan der Raute im Mittelfeld. Anders ist es nicht zu erklären, dass er dieses Spielsystem immer wieder spielen lies, obwohl das Spielermaterial dafür absolut ungeeignet war.
Als Abräumer vor der Abwehr agierte Imhof, ein laufstarker Zerstörer, der aber im Spielaufbau jegliche Kreativität vermissen lässt. Auf den Aussenbahnen Dabrowski und Freier, ersterer viel zu langsam für die Aussenbahn, letzterer seit seiner Rückkehr völlig ausser Form und zu defensivschwach. Und als „Zehner“ hinter den Spitzen Epalle, der sicherlich lauf- und kampfstark ist, aber beileibe kein Spielmacher.
Dabrowski hatte einige gute Spiele in der letzten Saison, aber kein einziges davon auf der Aussenbahn.

Festhalten an Lieblingen

Auch hier sind als Sinnbild dafür Dabrowski und Freier zu nennen. Besonders Freier hat in der letzten Saison nicht ein gutes Spiel gemacht (Kicker-Notenschnitt 4.09, beste Note 3.0), durfte sich aber 28 Mal versuchen.
Pfertzel hat sicherlich einige ordentliche Spiele gemacht, aber insgesamt auch sehr schwache Spiele gemacht. Trotzdem hat sein Konkurrent Concha selten ne Chance bekommen und war nach dem ersten schwachen Spiel direkt wieder weg vom Fenster. Als weiteres Beispiel kann Kaptain Maltritz genannt werden.
Trotz teilweise unterirdischen Spielen durfte er grundsätzlich weiterspielen. Die stärkste Phase der letzten Saison war zufällig die, in der Maltritz verletzt war. Und um ihn danach dann wieder in die Startelf einzubauen, setzte er Anthar Yahia auf die linke Aussenbahn, und man merkte, dass dies überhaupt nicht seine Position ist. Im letzten Spiel gegen Mainz durfte Maltritz dann als rechter Verteidiger ran.

Der Nachwuchs

Gerade in dieser Saison wird deutlich, wie sehr Koller die Nachwuchsarbeit vernachlässigt hat:
Bei Nürnberg steht spielt Ilkay Gündogan, Güngör Kaya sitzt zumindest auf der Bank, bei Schalkes 1:2 am letzten Freitag stand Lukas Schmitz in der Startelf. Alle drei kommen aus der Bochumer Jugend oder von den Amateuren, haben aber nie eine Chance bei Koller bekommen. Kevin Vogt, Juniorennationalspieler aus der eigenen Jugend, hat bisher ebenfalls nur geringe Einsatzzeiten bekommen, trotz teilweise katastrophaler Leistungen seiner Konkurrenten im defensiven Mittelfeld.

Die Spielweise

Die Mannschaft spielte immer öfter behäbig, langsam, und für den Gegner sehr einfach auszurechnen. Davon, dass der Kader in dieser Saison nur ergänzt wurde, war zu keiner Zeit etwas zu bemerken. Vielmehr spielte das Team, als ob es das erste Mal zusammen auf einem Fussballplatz stand. Keine abgestimmten Laufwege, keine Spielzüge, kein Tempo. Auch der konditionelle Zustand erschien oft fragwürdig. Und der von Heinemann angesprochene Kampf war nur sehr selten zu beobachten.

Die Weiterentwicklung

Man hatte bei Koller nie das Gefühl, dass sich das Team weiter entwickelt. Ein langfristiges Konzept war nicht erkennbar. Kein einziger Spieler hat unter ihm einen deutlichen Leistungsschub erfahren, viele haben sich eher zurückentwickelt.

Ich könnte hier noch einige Punkte aufführen, aber ich denke, es reicht, um zu verdeutlichen, dass es vielen Bochum-Fans eben nicht darum ging, in obere Tabellenregionen vorstoßen zu wollen oder sich mit den Nachbarn messen zu wollen (obwohl Derbysiege natürlich schön sind).

Christian Heidel, Manager von Mainz:

Ich weiß nicht, was die Zuschauer erwarten. Die haben den Bezug zur Realität verloren.

Jetzt wissen sie es, Herr Heidel. Oder meinen Sie, jeder hat es verstanden, dass sie Ihren Aufstiegstrainer noch vor dem ersten Spieltag entlassen haben?

Ja, Koller hat hier mit bescheidenen Mitteln alle Saisonziele erreicht. Aber beispielsweise letzte Saison nur aufgrund der Tatsache, dass drei Mannschaften in der Lage waren, weniger als 32 Punkte zu holen.

Nein, in Bochum glaubt niemand, man könne dauerhaft um die internationalen Plätze mitspielen. Aber wir erwarten Kampf, Spielfreude und zumindest ne Idee einer Weiterentwicklung. Niederlagen sind wir gewöhnt, woran wir uns aber nie gewöhnen wollen, sind Niederlagen, die ohne Gegenwehr, ohne Mumm entstehen.
Mit nem Slogan „Wir sind unbeugsam“ und dreckig-designten Trikot zieht man nicht die Fans auf seine Seite, sondern mit einer unbeugsamen Spielweise und echtem Dreck. Hier, wo das Herz noch zählt.

Erschreckend finde ich, wie unreflektiert im Moment sämtliche Medien die Meinung über die ach so anspruchsvollen Bochumer Fans übernehmen, ohne sich dabei auch nur ein bisschen mit den Hintergründen zu beschäftigen. Ausser der WAZ geht kein Medium auf einen der oben genannten Punkte ein. Aber warum die Mühe, wenn es doch so schön ins allgemeine Bild passt?

Dass die Probleme beim VfL noch weitreichender sind als die Besetzung des Trainer-Postens, wird übrigens sehr gut im Blauen Blog beschrieben.

Über den Autor: Papa la Papp

Steht mit seinem Humor meistens abseits und mag den VfL Bochum und Chile. Stadionbesuche sind jedoch eher selten, da das seine Schwiegereltern nicht erlauben.

Steht mit seinem Humor meistens abseits und mag den VfL Bochum und Chile. Stadionbesuche sind jedoch eher selten, da das seine Schwiegereltern nicht erlauben.
24 comments
  1. Super-Artikel, der viele Probleme anspricht. Ich bin da als VfL-Sympathisant, der leider alles aus der Ferne betrachten muss, irgendwie geteilter Meinung.

    Ich seh es einerseits wie du: Koller hat viele fragwürdige Entscheidungen getroffen. Vor allem was „Leistungsträger“, Nachwuchst und Führungsspieler (die Sache mit Zdebel hast du noch gar nicht genannt“ angeht. Andererseits muss man auch echt anerkennen, dass er den Verein vier Jahre am Stück in der Bundesliga gehalten hat. Das ist für den VfL eine ziemlich lange Zeit.

    Und was man halt auch sagen muss: Koller hatte von Anfang an null Kredit bei den Fans. Und dass Bochum-Fans im Stadion seit jeher komische Reaktionen zeigen, ist auch bekannt. Das mit den anspruchsvollen Fans stimmt schon ein bisschen. Ich war schon oft im Stadion als es nicht lief. Ganz schnell ist man da dabei einzelne Spieler auszupfeifen oder den Kopf des Trainers zu fordern. Bei anderen Vereinen ist das nicht so ausgeprägt wie in Bochum, will ich meinen.

  2. Vielleicht wäre es das Beste abzusteigen und mal wirklich einen klaren Schnitt zu machen. Auch in der Führungsetage.

  3. Der Artikel fasst sehr gut und richtigerweise den sportlichen Teil zusammen. Die Sache mit den anspruchsvollen Fans kann ich als häufiger Stadiongänger und Nicht-Bochum-Fan allerdings nur bestätigen.

    Ich kann mich an kein einziges Spiel erinnern (und ich habe etwa die Hälfte aller Heimspiele der letzten 4 Jahre gesehen), in der der Funke vom Publikum auf die Mannschaft übersprang. Echten, langanhaltenden, Support gab es immer nur dann, wenn die Mannschaft etwas tat bzw. führte.

    Das ist in anderen Stadion, bspw. Dortmund oder Frankfurt (wo sich mit Funkel allerdings zugegebenermaßen etwas ganz ähnliches abgespielt hat) komplett anders.

    Daher habe ich an die Kollegen in der Ostkurve, nachdem sie das Transparent „Andere haben Trophäen, wir haben nur Euch!“ (garniert mit den Konterfeis von Altegoer&Ernst&Koller) kurz und knapp eine SMS zurückgeschrieben: „Andere haben Stimmung, wir haben nur Euch!“

    Ich will nur ein einziges Beispiel geben, das ich live miterlebt habe und wo auch schon Koller (ungeliebter) Trainer in Bochum war: In der Saison 2006/2007 traf Bochum zu Hause auf Frankfurt, das nach nur 5 Minuten mit 0:2 führte (zwei Mal der heutige Schalker Edelreservist Streit jeweils nach Standardsituation). Die Ostkurve pfiff sich die Lunge aus dem Hals, skandierte „Trainer raus!“ und große Teile verließen gar das Stadion (!), anstatt den VfL zu supporten. Die Bochumer Mannschaft zog sich ganz alleine (und es spielten 11 Mann gegen 11 Frankfurter und über 21.000 Zuschauer) wieder aus dem Sumpf, führte zur Halbzeit mit 3:2, siegte am Ende mit 4:3 und wurde ab der Führung wieder unterstützt. Und das ist nur ein Beispiel unter vielen, die ich persönlich als unbeteiligter und objektiver Beobachter miterlebt habe.

    Sorry, aber das ist einfach ein ganz ganz armer Support.

  4. Wo die Außenstehenden tatsächlich Recht haben: Es ist – und das will ich nicht als (direkte) Schuldzuweisung verstanden wissen – in den vielen Jahren der Ära Altegoer eine Ohnmacht in Bochum entstanden, die zugleich Frustration und eine seltsame Leidenschaftslosigkeit nach sich gezogen hat.
    16.000 Zuschauer im Spiel gegen Mainz und eine fast ruhige Kurve gegen Ende des Spiels (wann wird einmal damit aufgeräumt, dass ein wütender Mob lautstark im Stadion Kollers Kopf gefordert hat???) sprechen eine traurige Sprache…

  5. Im großen und Ganzen hat der Berichterstatter Recht. Ich will dem Kritiker aus Kommentar #2 auch nicht absprechen, das er einige Mal Recht hat. Nun fragt man sich natürlich, wer steht in der Vorleistung zu begeistern? Das zahlende Publikum oder die Darsteller? Müßig darüber zu diskutieren. Gehe ich ins Theater und die darsteller vergessen laufend ihren Text, pfeife ich doch auch..?! Ich denke, die Enstscheidungen die jetzt passiert sind, sind die richtigen. Wichtig ist es jetzt, eine Identifikationsfigur zufinden, die das verkörpert, was den VfL eins groß machte: Unbändiger Kampfeswille und Leidenschaft. Dann wird das Publikum auch schon vor der ersten Minute hinter dem Team stehen.

  6. @3: Also zumindest ich habe lautstarke Koller-Raus-Rufe vernommen. Das mit der Leidenschaftslosigkeit kann ich allerdings nachvollziehen, die Dauerkartenverkäufe sind ja auch stark eingebrochen.

    @5: Natürlich muss die Mannschaft auch Leistung zeigen, keine Frage. Aber auch wenn es mal nicht läuft, sollte es Support geben. Ein Beispiel: BVB-Frankfurt in der letzten Saison. Frankfurt lässt sich abschlachten und liegt nach 20 Minuten bereits mit 3:0 zurück, aber nach einer Schockstarre geben die Fans alles, feiern und feuern das Team so sehr an, dass mich viele BVBler fragen, was die da denn genommen hätten oder ob Offenbach Konkurs gegangen sei. Gegenbeispiel Frankfurt-Bochum letzte Saison. Frankfurt führt nach Rot am Goalie schnell mit 1:0, Bochum trotzdem in der 1. Halbzeit besser, obwohl in Unterzahl. Trotzdem gab es aus dem Gästeblock Unmutsäußerungen und so gut wie keinen Support (außer ab und an mal „VfL“). Nachdem in HZ2 dann weitere Eintracht-Tore fallen, fällt auch das komplett in sich zusammen und die Pfeiferei obsiegt.

  7. Bravo. Ein hervorragender Artikel. Vieles habe ich mir ganz ähnlich gedacht bei der Lektüre der Medien zu diesem Thema. Besonders, dass der doofe Heidel sich mal wieder nicht zu dumm ist, seinen Senf dazuzugeben, der keinen interessiert, ist ärgerlich. Der Mann soll einfach Autos verkaufen und mich mit seinem Gelaber in Ruhe lassen.

  8. Wie war denn die Stimmung gestern? Außer dem Ergebnis habe ich nichts mitbekommen…

  9. In Sky haben sie von toller Stimmung gesprochen, aber so richtig viel gehört hat man jetzt nichts. Das Spiel war ja wohl eher bescheiden…

  10. Die Stimmung gestern war gut! Man hat gemerkt, dass die Bochum-Fans jetzt wieder bereit sind zum Support. Vor dem Spiel liefen auf der Anzeigentafel die Tore von den letzten, starken Spielen gegen Schlacke … da hat man echt gemerkt, wie die Ostkurve sich nach Emotionen gesehnt hat … das war wie Balsam auf die geschundene VfLer-Seele!
    Auch das frühe Gegentor war kein großes Problem. Natürlich hat das 0:2 echt geschmerzt – vor allem, weil es mitten in der Drangphase des VfL fiel – aber selbst danach ging es noch weiter. Gut, klar … das Eigentor zum 0:3 hat dann die Stimmung gekillt – aber das wäre wohl überall so gewesen.

    Dass der Artikel oben ziemlich ins Schwarze trifft, zeigt vor allem die Reaktion nach Spielende: Es war ein klarer Sieg für abgezockte Schalker, die Bochumer Defizite in Sachen Kreativität und Tempo waren mal wieder nicht zu übersehen, aber die Fans bauen ihre Mannschaft auf und zollen Respekt, indem sie skandieren „Ihr habt gekämpft, wir ham’s geseh’n!“. Darum geht’s! Und das kann man auch erwarten! Kein Schwein redet doch von höheren Tabellenregionen oder sowas, es geht um die Einstellung … und selbst wenn die passt, wir das eine ganz harte Saison für den VfL.

  11. @11: Allerdings. Frank Goosen ist ein Guter.

  12. An Frank Goosen stört mich massiv seine Überpräsenz in Bochum. Es scheint nur einen zu geben, der in Bochum irgendwie etwas zu sagen hat – okay, und der Redelings, aber der ist nicht so omnipräsent.

    Goosen ist sicherlich ein Guter, als Teil von Tresenlesen war er aber noch besser.

  13. Lies mal einen seiner beknackten Romane und du bist geheilt. Ganz schlimmer Typ.

  14. @15: Ist klar. Kommt halt nicht aus Düsseldorf.

  15. Ich hab den neulich live im Zeltfestival gesehen. Sensationell!

    Wenn hier einer nen ganz schlimmer Typ ist, dann Esleben. „Wer wohnt schon in Düsseldorf?“

  16. @17: Das ist bekannt. Ich habe aber nicht von mir gesprochen.

  17. Der Artikel will also besser sein wie all die blöden, einander abschreibenden, neutralen Medien? Dabei fast der Autor einfach das VFL Forum der letzten 3 Jahre zusammen.
    Kein Fortschrit, Spieler haben sich rückentwickelt, keine Junioren eingebaut, usw. Dass die Wenigen die etwas können jedes Jahr den Verein verlassen, die Flaschen aber bleiben wird einfach ausgeblendet.
    Sich als kleiner Verein in der obersten Liga zu behaupten, kann nunmal nicht Atraktiv sein. Junioren Förderung geht auch besser wenn man nicht am Tabellen ende steht.
    Viel spass und atraktiven kampf Fussball in der 2. Buli wünsch ich jedenfalls.

  18. Auf jeden Fall habe ich heute im Ruhrstadion erlebt, dass man die Leute auch begeistern kann, wenn man fußballerisch limitiert ist.

  19. Heiko Herrlich solls jetzt also richten. Mutige Entscheidung, die aber vor allem wohl auf mangelnder Finanzkraft fußt.

  20. Lautern wollte herrlich auch haben, hat anfangs der Saison aber keine Freigabe bekommen, Bochun jetzt schon. Auf irgendwie seltsam…

  21. Ich halte es für ne sehr gute Wahl und keinesfalls auf mangelnde Finanzkraft fußend. Oder meint ihr, Herrlich wechselt aus Nächstenliebe vom sicheren DfB-Platz in den Abstiegskampf?

    Seine Konzepte klingen gut, bin sehr gespannt und optimistisch.

  22. Naja, der Start war ja wohl mehr als desolat…

  23. Sein Vergleich mit den beißenden Tieren war auf jeden Fall höchst peinlich.

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