Fußballdeutschland im Verstärkungs- und Prognosewahn

Quelle: www.lundbeck.deJedes Jahr das Gleiche: In den Wochen vor dem Anpfiff zur neuen Bundesligasaison balgen sich die Vereine um die Spieler. Sie wollen sich verstärken. Dabei reagieren Fans immer sehr sensibel. Wenn nicht mindestens zwei Wochen nach Beendigung der alten Serie die ersten Neuverpflichtungen bekannt gegeben werden, wird der ein oder andere Fan so nervös, dass er sich schon innerlich mit dem Abstieg anfreundet. Stehen dann die 18 Bundesligakader fest, treten die Fußballexperten auf den Plan: Es wird fröhlich prognostiziert, wobei jährlich eine erstaunliche Phantasielosigkeit gezeigt wird.

„Wir müssen uns für die neue Saison verstärken“, ist ein Lieblingssatz von Bundesligamanagern. „Wir müssen mehr Qualität in den Kader bringen“, ein anderer. Was für Worthülsen. Natürlich ist eine Erhöhung der Qualität immer gut. Aber die Vereine „müssen“ es nicht. Denn oftmals zeigt sich, dass die vermeintliche Erhöhung der Qualität im Endeffekt nur eine Steigerung der Quantität ist.

Kurz vor Start einer neuen Bundesligasaison erfreut sich jede Neuverpflichtung des Attributs „Verstärkung“. Da tut es nichts zur Sache, ob Bayern München die Verpflichtung von Miroslav Klose für 15 Millionen Euro bekannt gibt, oder ob Energie Cottbus mal wieder das Sparschwein geplündert hat und für 50.000 Euro („Für Energie Cottbus ist das eine Riesenmenge Geld, über deren Ausgabe wir lange nachgedacht haben“ – Lieblingssatz Petrik Sander) einen Spieler aus Rumänien, Anatolien, der Mongolei oder Aserbaidschan verpflichtet hat. Zunächst sind neue Spieler erstmal eins: eine „Verstärkung“.

Dabei definieren die Bundesligamanager Verstärkung natürlich mit: Erhöhung der Qualität. Militärisch gesehen ist Verstärkung aber zunächst einmal eine Erhöhung der Truppenstärke, also der Quantität. Nichts anderes. Und so ist es auch oft in der Bundesliga. Vermeintliche Verstärkungen, die hochgelobt wurden, bevor sie auch nur einmal für den neuen Verein gegen den Ball getreten haben, entpuppen sich häufig als Rohrkrepierer. Jahrhunderttalente als nette Kicker, die es aber einfach nicht packen. Als Paradebeispiel der Saison 2006/2007 kann das Duo Nigel de Jong und Steven Pienaar genannt werden. Wahre Wunderdinge erzählte man sich von dem kongenialen Kickerduo aus Amsterdam. Beim HSV und Borussia Dortmund konnten sie nur in ganz seltenen Momenten zeigen, dass sie tatäschlich so gut sind, wie gedacht.

Ein Fehler, den vor allem Fans machen, ist folgender: Der Verein, der schon relativ früh viele Neuverpflichtungen bekannt gibt, wird als gut aufgestellt gesehen für die neue Saison. Der Verein, der auf den aktuellen Kader setzt, als zu schlecht. Ein Trugschluss. Es ist natürlich ein Vorteil, mit einer eingespielten Mannschaft in die Saison zu gehen. Der VfL Bochum hat lange gebraucht, um zu erkennen, wie Theofanis Gekas gewinnbringend eingesetzt werden kann. Und der HSV war schon so gut wie abgestiegen, bis die ungefähr 2 Mio. Neuverpflichtungen plötzlich zusammen Fußball spielten und Punkte sammelten. Deswegen wird es ein Vorteil sein für Eintracht Frankfurt, nicht bei jedem Angebot sofort „Hier“ zu brüllen und mit einem Vertrag zu wedeln, sondern sich punktuell zu verstärken und ansonsten auf bewährte Kräfte zu setzen. Der VfL Bochum aber wird wiederum lange brauchen, bis sich die neu aufgestellte Mannschaft findet.

Und dann ist irgendwann von „guter“ oder „schlechter“ Verstärkung die Rede. Völliger Blödsinn. Man kann sich nicht schlecht verstärken. Entweder ein Verein verstärkt sich oder er verstärkt sich nicht. Der Zusatz „gut“ oder „schlecht“ hat sich im Fußball aber so eingebürgert, wie der Eishockey-Begriff „Stockfehler“, der natürlich für den Sport mit dem Lederball nicht anwendbar ist.

Richtig ärgerlich wird es, wenn dann so genannte Experten den Verlauf der Saison prognostizieren. Jedes Jahr das Gleiche. Ich imitiere nun mal einen Experten: Meisterschaftsfavorit Nummer 1? Natürlich Bayern München. Und danach wird systematisch die Tabelle abgearbeitet von oben nach unten. Verfolger der Bayern im Kampf um Meisterschaft und CL-Plätze? In dieser Reihenfolge: Stuttgart, Schalke, Bremen. Wer bolzt um die UEFA-Cup-Plätze? Leverkusen, Nürnberg, der HSV, Borussia Dortmund und Berlin. Und wahrscheinlich Wolfsburg. Da wird ja Magath alles richten, der hat immerhin schon mit Bayern München Erfolge gefeiert. Wer tummelt sich im Mittelfeld? Bochum – die haben natürlich nichts mit dem Abstieg zu, dafür waren sie letztes Jahr zu gut, im UEFA-Cup haben sie aber nichts verloren, dafür trauen dem VfL die Experten zu wenig zu. Hannover ist noch im Mittelfeld, und Frankfurt (für mehr verstärken die sich ja zu wenig). Und dann die Absteiger: Wie immer Bielefeld, Cottbus und die drei Aufsteiger. Fertig ist die Prognose. Klingt toll, ist aber völlig phantasielos und die Abschlusstabelle zeigt auch jedes Jahr, dass es anders verlief. Aber bis dahin sind die Prognosen vom Vorjahr ja schon längst vergessen.

In der Psychologie wird Verstärkung übrigens mit „Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens“ definiert. Ich prognostiziere: Die Auftretenswahrscheinlichkeit des oben beschriebenen Verhaltens ist höher als die Wahrscheinlichkeit, dass Bayern München tatsächlich Deutscher Meister wird.

Über den Autor: Vollspann!

Optimistischer Pessimist und Schöngeist aus dem Ruhrgebiet (Herne). Als hochtalentierter Passivsportler und Dauergast beim BVB kennt er Höhen und Tiefen des Fußballsports.

Optimistischer Pessimist und Schöngeist aus dem Ruhrgebiet (Herne). Als hochtalentierter Passivsportler und Dauergast beim BVB kennt er Höhen und Tiefen des Fußballsports.
4 comments
  1. Ich frage mich besonders bei Aufsteigern immer, wieso die dann 6-7 meist abgehalfterte Neuzugänge holen. ich meine, da kann man doch mal sagen: „Die Jungs sind offensichtlich gut genug, wenn wir mit ihnen aufgestiegen sind.“ ich denke, Du hast vor allem damit Recht, dass die Leute echt eher auf Quantität als auf Qualität setzen. Das hat aber auch wiederum mit fehlendem Scouting zu tun. Wenn man sich sicher ist, dass jemand weiterhilft, dann reicht der. Wenn man natürlich nur nach Videoausschnitten einkauft, holt man eben 5 Leute in der Hoffnung, dass einer davon einschlägt.

  2. Trägt auch immer gut zur berühmt-berüchtigten „Stimmung in der Mannschaft“ bei, wenn die Aufstiegsgaranten in der Bundesliga plötzlich einen Platz auf der Ersatzbank einnehmen, weil die Ailtons es richten sollen. Ich we߸ auch nicht, wieso die Hürde in den Köpfen der Macher in den Aufstiegsvereinen regelmäßig so groß ist. Der Unterschied zwischen Platz 3 der 2. Liga und Platz 15 der 1. Liga ist nicht so gewaltig.

  3. Eben, und der Unterschied zwischen den Abstiegskandidaten der Bundesliga und den Zweitligisten ist in den letzten Jahren noch deutlich geringer geworden.

  4. Dann kommt noch dazu, dass die Aufsteiger zwischen übertriebener Demut und Größenwahn schwanken. Bestes Beispiel Alemannia Aachen. Erst trauen sie sich nichts zu, so dass sie erstmal die Hucke voll kriegen. Als es dann lief, sahen sie sich im UEFA-Cup und ließen die besten Leute mal eben auf der Tribüne. Das Ergebnis ist bekannt.

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