Mit Anstand

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Wann ist eine Niederlage eigentlich eine „mit Anstand“? Kann man ein Spiel überhaupt „mit Anstand“ verlieren. Suggeriert das nicht eigentlich, man hat nicht alles versucht, um zu gewinnen. Unterstellt es nicht, dass weder das „nötige Quäntchen Glück“ (R.Völler) gefehlt hat, noch der Schiedsrichter Schuld hatte, noch der entfernteste und an den Haaren herbeigezogenste Grund irgendetwas mit der Niederlage zu tun gehabt hätte. Nein, die Niederlage war total und verdient, aber wenigstens „mit Anstand“. 

Konkret war es sogar ein „Abschied mit Anstand“, das gestrige Ausscheiden von Bayer Leverkusen, so ist es zumindest überall nachzulesen. Unisono ist sich die Presse einig, diese Niederlage gegen Paris Saint Germain sei eine „mit Anstand“ gewesen. Wikipedia definiert „Anstand“ wie folgt:

Anstand bezeichnet die „gute Sitte“ im Benehmen. Zweck des Anstands ist es, dem gesellschaftlichen Umgang durch Zügelung der individuellen Willkür Formen bereitzustellen, die als Ausdruck grundlegender Wertvorstellungen gelten sollen.

Wie kann eine Niederlage also mit Anstand erfolgen? Dass man sich nicht aufgegeben hat? Dass man sein Bestes versucht hat, aber feststellen muss, man hat einfach nicht das Zeug dazu, die Viertelmilliarden-Truppe aus Paris zu besiegen? Oder gilt im Fußball eine andere, als die gesellschaftlich akzeptierte Definition von Anstand? Kann man auch mit Anstand gewinnen? So wie Werder Bremen am letzten Spieltag, als Aaron Hunt darauf verzichtete, einen geschenkten Elfmeter anzunehmen? Oder sind nur Niederlagen „mit Anstand“ möglich?

Rhetorische Fragen! Wir alle wissen, dass diese Formulierung ein wahnsinnig hübscher Euphemismus für die Feststellung ist: „Wir haben eh keine Chance, aber einen Kantersieg der anderen müssen wir trotzdem verhindern!“ Akzeptiert!

Wirklich krude wird es aber doch, wenn man dann vorgibt, man habe aus dieser Niederlage „mit Anstand“ neues Selbstvertrauen ziehen können, da man seine „beste Rückrunden-Leistung“ als Team abgeliefert habe, wie Torhüter Bernd Leno in die Notizblöcke diktierte. Weitere Durchhalte-Parolen folgten:

Wir fahren nicht nach München, um ein netter Gast zu sein. Wir haben Respekt, aber keine Angst vor den Bayern. Warum sollen wir dort nicht etwas holen?

so der Torhüter, wieder einmal bester Mann seines Teams. Sein Trainer, der sonst so besonnen wirkende „finnische Schweiger“ Sami Hyypiä, bläst ins gleiche Horn:

Wer gegen Paris mithalten kann, kann auch bei den Bayern bestehen. Wir nehmen sehr viel Positives aus diesem Spiel mit.

Ist das noch Autosuggestion oder totale Verkennung der Lage, dass Leverkusen – zum wie vielten Mal eigentlich? – gewogen und für die Champions League für zu leicht befunden wurde? Was wäre denn eine Niederlage „mit Anstand“ gegen die derzeit unersättlichen Bayern? 0:1, 0:2 oder nur 0:4? Oder steht Bayer Leverkusen nach dem Spiel gegen die Bayern vor dem „nächsten Tiefpunkt“, vor dem es schon einen Tiefpunkt und einen noch viel tieferen Tiefpunkt gab, wie der Herr Sportdirektor des Vereins einst einem Weizenbiertrinker ins Mikro posaunte. „Mit Anstand“ hat das alles jedenfalls nichts zu tun, eher mit Angst. Und die isst bekanntlich Seele auf!

Zitate: abendblatt.de, stellvertretend auch sz-online.de

Foto: flickr.com/daskerst (unter CC BY 2.0)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

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5 comments
  1. Leverkusen bitte einfach aus Anstand auflösen.

  2. Vielleicht lässt sich daraus neues Selbstvertrauen ziehen?

  3. […] “Mit Anstand” – 5 Freunde im Abseits machen sich Gedanken über den Auftritt der Leverkusener in Paris. Abenteuer Fußball stellt ein […]

  4. Ich zitiere mal aus der Printausgabe der „Süddeutschen“ vom 20. Februar, also aus dem Spielbericht vom Hinspiel:

    „Der berühmte Schwede hat die Kunst entwickelt, beim Pass-Spiel genau so sanft gegen den Ball zu treten, dass die Gegner jedes Mal glauben, sie könnten ihn unterwegs erreichen – aber immer fehlen ihnen die entscheidenden Zentimeter und sie rennen vergeblich. Das sieht dann ungefähr so aus, als ob ein Mann seine fleißigen, aber doofen Hunde ständig ins Leere laufen lässt, indem er sie beim Stöckchenwerfen austrickst. Dieses Spielchen mag gemein und arrogant sein. Doch was soll man machen, wenn es so gut klappt und ein bisschen Spaß macht?“

    Weiterhin stellte der Beobachter „… ein banales, ängstliches Versagen der ganzen Mannschaft …“ fest, die Rede ist außerdem vom Verdacht, „… dass es sich um ein immanentes Phänomen handelt, ein spezifisches Bayer-04-Leverkusen – Problem“ oder um „… eine typische Bayer – Krankheit…“.

    Dem ist aus meiner Sicht nichts mehr hinzuzufügen, außer vielleicht, dass die einzige Möglichkeit, diese Vorführung vergessen zu machen, darin bestand, das Rückspiel 5:0 zu gewinnen.
    Ansonsten schließe ich mich dem Don an.

  5. Das ist ja reine Poesie! Wunderbar!

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