Nachtrag: Saisonauftakt in Georgien

Nationalstadion TiflisWer diesen Blog aufmerksam liest, weiß, dass wir nicht davor scheuen, unsere Korrespondenten auch in die entlegenste (Fußball)provinz zu schicken, um über die dortige Fan- und Fußballkultur zu berichten. Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass unser Gastautor BizDanIshVili die Bemühungen georgischer Vereine auf dem „internationalen Parkett“ verfolgte. Dieses Jahr habe ich mich nun persönlich aufgemacht, um mir von der georgischen Liga und zwei ihrer Topvereine selbst ein Bild zu machen.

Ein guter Freund von mir arbeitet seit mehreren Jahren in der Kaukasus-Region und wie es der Zufall so wollte, sollte mein Besuch und Urlaub in Georgien zeitlich mit dem Saisonauftakt der dortigen ersten Liga zusammenfallen. Der amtierende Meister FC Dinamo Tiflis (oder, in der etwas obskuren Landessprache, FC Dinamo Tbilisi) war in den letzten Jahren immer wieder international vertreten und konnte 1981 sogar den Europapokal der Pokalsieger gewinnen. Auch der eine oder andere Spieler des SC Freiburg Bundesligaspieler begann seine Karriere bei diesem Verein. Zu nennen wären hier vor allem Alexander „das Dribbling“ Iashvili oder Lewan „fairster Spieler seit dem Zweiten Weltkrieg“ Kobiaschwili.

Wie auch immer, von einem Titelgewinn auf internationaler Ebene war Dinamo Tiflis in den letzten Jahren relativ weit entfernt und auch im Rahmen der nationalen Meisterschaft gab es zwischen 2008 und 2013 eine ungewohnt lange Durststrecke für den Rekordmeister. Erwähnter Saisonauftakt der Umaghlessi Liga fand jedenfalls zwischen Tiflis und dem Meister der Jahre 2011 und 2012, dem FC Sestaponi (Zestafoni in der Landessprache).

Wie in Tiflis üblich, ließen wir uns zu fünft von einem Taxifahrer mit Hang zum Wahnsinn, aber Sympathien für Deutschland („good beer, good girls“) für umgerechnet 4 € zum Stadion kutschieren. Sein „etwas“ heruntergekommener Opel entsprach dabei weder unseren noch seinen Vorstellungen („Mercedes, BMW, AMG“). Sicher ans Ziel brachte der junge Mann uns dennoch, auch wenn wir ca. 3 Stunden vor Abpfiff am Stadion waren. Auf der Seite des FC Sestaponi war die Anstoßzeit sowohl in mitteleuropäischer Zeit als auch falsch angegeben. Ein Spaziergang über den Basar von Tiflis vertrieb uns allerdings locker die Zeit.

Rechtzeitig kehrten wir zu unserem Bestimmungsort Boris-Paitschadse-Nationalstadion zurück, einer gigantischen Sowjet-Schüssel, welche sich mitten in der Stadt befindet. Der Besucherandrang war trotz des Eintrittspreises überschaubar. Auch wenn ein Ticket umgerechnet weniger als ein Euro kostete (auch für georgische Verhältnisse nicht viel Geld), fanden sich gerade mal 1.000 Zuschauer im „Rund“ ein. Recht wenig bei einer Kapazität von 55.000 Sitzplätzen. Bei Spielen auf internationaler Ebene spielt Dinamo jedoch vor deutlich mehr Leuten.

Das Publikum bestand hauptsächlich aus älteren Herren, die Sonnenblumenkerne kauten. Die Bewirtung im Stadion war ohnehin spärlich, auch wenn während der zweiten Halbzeit scheinbar ein Bierstand öffnete. Neben dem Publikum auf der Haupttribüne gab es schräg hinter dem Tor noch eine Art harten Kern, wo sich die „Boys from Tbilisi“ befanden und eine ganz ordentliche Stimmung machten. Gästefans gab es, handgezählt, 15 (inklusive, ebenfalls handgezählt, einer Trommel und fünf Luftballons), welche am anderen Ende des Stadions von einigen Ordnern bewacht wurden. Unser Ticket hingegen wurde nicht einmal kontrolliert und der Ordner unseres Blocks war auch eher mit seinem Handy als irgendetwas anderem beschäftigt. Das Sicherheitsrisiko bei diesem Spiel schien allerdings auch insgesamt überschaubar.

Bevor das Spiel angepfiffen werden konnte, war es jedoch den beiden Kapitänen und Torhütern (Rückennummern: 77 bzw. 89) vorbehalten, die georgische Flagge am Rande des Spielfelds zu hissen während die Nationalhymmne abgespielt wurde. Es folgte eine Schweigeminute (Anlass unbekannt) und dann endlich „rollte das Leder“. Besonders gespannt waren wir natürlich auf den vermeintlichen Starspieler Dijilly Arsene Dit Patrick Vouho (Rückennummer: 99), den Dinamo Tiflis vor der Saison aus der ersten zyprischen Liga verpflichtet hatte. Der junge Mann enttäuschte unsere Erwartungen jedoch recht bald und wurde unsererseits bis zu seiner Auswechslung mit dem Spitznamen „Körper-Klaus“ bedacht.

Was uns jedoch nicht enttäuschte war das Niveau des Spiels. Klar, es wurde viel gedribbelt und noch mehr brutal rumgetreten. Andererseits gab es jedoch auch zahlreiche schöne Spielzüge zu sehen. Sestaponi dominierte die ersten zwanzig Minuten und war besonders über die linke Seite gefährlich, was Einzelne von uns dazu verleitete zu überlegen, wie man wohl schnellstmöglich Toni Schumacher erreichen könnte („der Flügelflitzer, das ist einer für den FC!“). Sestaponi brach danach jedoch ziemlich ein und kassierte „folgerichtig“ in der 27. das 1:0. Dinamo schien das Spiel im Griff zu haben, legte sich allerdings in der 47. das Ding auf derart absurde Weise selbst rein, dass das gesamte Publikum in höhnisches Gelächter ausbrach. Ohnehin ist der Dinamo-Zuseher as solcher nicht gerade das, was man loyal nennen würde, sondern eher vom Typ „Fähnchen im Wind“.

Der Beginn der zweiten Halbzeit schien also wieder eine Stärkephase von Sestaponi zu sehen, bis, ja bis bei den Spielern ab der 60. Minute (sic!) die ersten Krämpfe auftraten. Zwei der drei Auswechslungen in der Schlussphase gingen auf ebensolche zurück und ohnehin lagen die Spieler des ehemaligen Meisters öfters als sie standen oder liefen, was dem Schiedsrichter immerhin fünf Minuten Nachspielzeit wert war. Die brauchte Tiflis allerdings auch, um nach ewigem Anrennen in der 94. endlich die Hütte zu treffen und als verdienter Sieger vom Platz zu gehen. Ein versöhnliches Ende für den nicht ganz neutralen Beobachter.

Da sich das Stadion innerhalb von Sekunden leerte, verließen auch wir unsere Plätze. Unsere Hoffnungen, irgendwo eines der, sehr schicken, Dinamo-Trikots zu erstehen wurden allerdings ziemlich bald enttäuscht. Im Stadiongebäude befanden sich fast ausschließlich Möbelläden (spezialisiert auf türkische Möbel, antike Möbel oder auch rumänische Möbel) und der einzige Sportladen verkaufte vorrangig gefälschte Trikots davon genau eines von Dinamo Tiflis. Sachdienliche Hinweise, wo es das wunderschöne „Jersey“ zu kaufen gibt, werden gerne entgegengenommen!

Was bleibt zu sagen? Die georgische Liga ist nicht so schlecht, wie man sie sich vorstellt (im Gegensatz zur norwegischen, über die der Autor sich weigerte zu berichten). Im Stadion lenkt wenig von der eigentlichen Hauptsache, dem Fußballspiel, ab. Und, vor allem, Georgien ist in jedem Fall eine Reise wert!

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
4 comments
  1. Ein schöner Bericht. Noch schöner wäre er, wenn die vor/während/nach dem Spiel jeweils ausgeschenkten Biermarken nicht im Nebel der Zeit verschwunden wären.

  2. Welche Möbelstücke hast du denn dann erworben?

  3. Sehr schöner Bericht. Georgien als Reiseland steht bei mir ganz oben auf der Liste.

  4. Und am Ende wird es doch wieder nur Malle.

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