Sing When You’re Winning

Wer das gestrige EM-Finale gesehen hat, weiß was echte Sieger vor dem Spiel machen: Mit Inbrunst die Hymne ihres Heimatlandes schmettern. Und weil mit Spanien nun zum dritten Mal in Folge der Turniergewinn an das Land gegangen ist, deren Hymne über keinen Text verfügt, fordern Bild in Person von Franz-Josef Wagner und einige CDU-Politiker eine Hymnenmitsingpflicht für echte Nationalspieler.

Hand aufs Herz, aber hätten die deutschen Nationalspieler vor dem Halbfinale gegen Italien so inbrünstig wie die Italiener ihr „Einigkeit und Recht und Freiheit“ geschmettert, der Sieg wäre nur noch eine Formalität gewesen. „Ihr Spiel nach der Nationalhymne hatte keine Magie, keinen Glauben.“ salbaldert Wagner und unterstellt den Italienern sie hätten gesungen, „als hätten sie Blutdurst.“ Abgesehen davon, dass man es lieber nicht sehen möchte, dass eine deutsche Nationalmannschaft singt als hätte sie „Blutdurst“, unterstellt Wagner den Spielern, dass sie als echte Repräsentanten ihres Landes nicht taugen, wenn sie nicht die Hand aufs Herz legen und ihre Hymne schmettern. Bild macht also weiter mit ihrer unsäglichen „Wir – Die“-Kampagne der letzten Tage, der jeder sachliche Hintergrund fehlt.

Wo die Bildzeitung als Steigbügelhalter fungiert, ist ein Unionspolitiker aus den hinteren Reihen des Bundestages aus Hessen bzw. Bayern nicht weit, und sich Der Westen, das Onlineportal der WAZ-Gruppe, nicht zu schade, „Medienberichte“ zu zitieren, in denen die Pflicht zum Hymnensingen gefordert wird. „Wer in der Nationalmannschaft spielt, muss die Nationalhymne singen“ wird ein Hans-Peter Uhl zitiert, angeblich Innenexperte der CDU, der in seiner politischen karriere regelmäßig mit hochfundierten Einlassungen zu Terrorismus, etc. reüssiert. Die Quelle, wie könnte es anders sein, ist Bild. Volker „Wie sexy darf Politik sein“ Bouffier pflichtet bei und spricht davon, „dass es peinlich sei, dass die Spieler nicht von selbst darauf kämen mitzusingen“. Der Westen weiter:

Sein Innenminister Boris Rhein (CDU) sagte: „Ich habe mich schon sehr geärgert, dass nicht alle Spieler unsere Hymne mitgesungen haben. Hier kann das Team von anderen Nationen lernen.“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befand: „Zum Länderspiel und zur Nationalmannschaft gehört die Nationalhymne. Wer dazu keine Lust hat, sollte in seinem Verein bleiben.“

Spätestens nach der letzten Einlassung kann man sich nur noch an den Kopf greifen, welch tumbem Nationalismus und unterschwelligen Rassismus hier Vorschub geleistet wird. Es zeigt die ganze Widerwärtigkeit mit der hier versucht wird die erste Nationalmannschaft, die in Ansätzen die Multikulturalität Deutschlands widerspiegelt, in Mißkredit zu bringen. Und sie wird auch nicht besser durch den Versuch, sich mit dem Hinweis auf die Textlosigkeit der spanischen Hymne selbst ad absurdum zu führen. Ich bin sprachlos, ob der Auswüchse der ach so unverfänglichen „Schwarz-rot-Geilheit“…

Foto: manuel|MC/flickr.com

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

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12 comments
  1. Das ist so schlimm. „Menschen“ wie Boris Rhein wünsche ich….das sage ich jetzt hier besser nicht. Nur so viel: Rhein raus!

    Allen tumben Dummlaberern sollte man nochmal vor Augen führen, dass mit Khedira ein offensichtlicher Nichtsinger die mit Abstand beste Turnierleistung vollbracht hat und stets bissiger war als alle heuchlerischen Singer. Aber der einen oder anderen CDU-Spacke ist der halt einfach nicht deutsch genug. Schön, wenn man seine eigenen ausländerfeindlichen Gedanken so souverän unterbringen kann. Da ist es auch egal, wenn ein Zusammenhang konstruiert wird, der bei näherer (und eigentlich auch fernerer) Betrachtung sowas von lächerlich ist, dass man schon heulen möchte. Manchmal empfindet man soviel Hass auf dieses Land. Wegen Rhein. Nicht wegen Khedira.

  2. Vor allem hat es davor in den 15 Pflichtspielen, die alle gewonnen wurden, keinen von diesen Hampelmännern interessiert, ob die Hymne mitgesungen wird oder nicht. Denn die, die nicht mitsingen, haben das schon so gemacht, seit sie in der Nationalmannschaft spielen. Extrem traurig, dass ein verlorenes Spiel sofort solche ekelhaften Auswüchse zum Vorschein bringt.

  3. Ich denke auch, wir sollten alle morgens die Hymne singen. In der Schule, in der Uni, am Arbeitsplatz oder an der Trinkhalle. Und dann machen wir so Fackelzüge. Gemeinsame Symbole tragen auch zur Identifikation bei. Uniformen vielleicht auch? Und wenn uns etwas anderes nicht gefällt, dann verbrennen wir es einfach. My ass. Hass!

  4. Klassisches Sommerlochthema, regt mich trotzdem kolossal auf. Hohlbirnen, alles.

  5. Ich fürchte, dass das nicht einfach ein Sommerloch-Thema ist, sondern dass es ne ganze Menge Partypatrioten in Deutschland gibt, die da voll drauf anspringen.

  6. Wann singen wir denn mal wieder gemeinsam in der Düsseldorfer Altstadt?

  7. @ Don: Sobald ich umgezogen bin…

  8. Aha! Sag an, wenn ich helfen kann!

  9. Du Narr!

  10. Starker Artikel und sehr richtig!

  11. Uwe Schünemann natürlich auch mit dabei: http://www.taz.de/Kolumne-Besser/!96585/

    Im Endeffekt spiegelt die Debatte um die Hymne (bei der ja gerne auch das Beispiel Neuseeland angeführt wird und der Haka, was natürlich aufgrund des oftmaligen Scheiterns der All Blacks umso absurder ist) nur die Flucht aus der Realität wider. Nachdem Bundestrainer-Bashing ja nur kurzzeitig Spaß macht und erfolglos ist (Löw steht nunmal 2014 an der Seitenlinie und soll da auch wieder dafür sorgen, dass „wir“ alle schwarz-rot-geil werden) , wird die Debatte weg von einer sachlichen Analyse auf die emotionale Ebene gezogen. Ganz so, als könnte ein inbrünstiges Singen der Hymne taktische Defizite beheben und individuelle Fehler beseitigen. Insofern natürlich lächerlich, eklig wird das Ganze dadurch, das halt, wie schon geschrieben, an dumpfen Nationalismus appelliert wird und rassistische Untertöne in der Debatte mitschwingen, die man so vielleicht von der NPD oder der Jungen Freiheit erwartet, aber nicht unbedingt im Mainstream. Und wahrscheinlich wird dieser Dreck dann tatsächlich noch einige Zeit an den Fußball-Stammtischen der Republik wiedergekäut werden. Aber gut, ein weiteres Merkmal, um zu wissen, mit wem man diskutiert und mit wem nicht.

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