Reaktionäre Dialektik

Das Investigativblatt Kicker setzt einen neuen Themenschwerpunkt. „Fan-Problematik“ (siehe Bild) macht, wie es sich derzeit für Artikel dieser Art gehört, mit einem stimmungsvollen Bild des Lauterer Fanblocks in Stuttgart unter Pyrobeleuchtung auf. Eyecatcher für einen Artikel über die gestern ausgesprochene Geldstrafe gegen Kaiserslautern in Höhe von 12.000 Euro, der mit einem echten Kicker in der Headline aufwarten kann: „Feuer-Teufel: DFB bestraft auch den FCK“.

Darunter findet man einige weitere Artikel aus den letzten Tagen, in denen sich der Kicker den Urteilen des DFB widmet. Die nach Meinung des Kickers nicht nur jedes einen eigenen Artikel, sondern einen Themenschwerpunkt verdient haben. Dass darin munter heimtückische Angriffe wie der von Hooligans auf den Leverkusener Spieler Kadlec, die Frankfurter Aufstiegsfeierlichkeiten, die in einer Teilrenovierung des Aachener Tivoli endeten, und den Urteilen wegen des Einsatzes von Pyrotechnik durcheinander geworfen werden, muss man derzeit wohl als Kollateralschaden hinnehmen.

Doch das Highlight der neu geschaffenen Rubrik verbirgt sich hinter der harmlosen Überschrift „Kommentar: Das doppelte Zeichen der St.Pauli-Ultras“. Wer dahinter allerdings einen elaborierten Beitrag zu den Ereignissen rund um das Spiel am vergangenen Wochenende zwischen St. Pauli und Hansa Rostock erwartet hätte, wird enttäuscht. Kommentator Sebastian Wolff, der auf dem neben seinem Beitrag abgebildeten Foto wirkt, als würde ihm seine Arbeit richtig Spaß machen, hat sich mit viel Wohlwollen ganze sieben Sätze dazu abgerungen. Sieben Sätze, in denen er offenbart, dass er leider gar nicht verstanden hat, worum es den Ultras mit ihrem Protest ging. Sieben Sätze, die wir uns erlauben in voller Länge zu zitieren.

„Tausend St. Pauli-Ultras wollten ein Zeichen setzen mit ihrem Fernbleiben vom Spiel gegen Hansa Rostock (3:0). Das ist ihnen gleich in doppelter Hinsicht gelungen.

Dass der gemeinsame Protest ausgerechnet der rivalisierenden Fangruppen von St. Pauli und Hansa gegen den Ausschluss von Rostocker Anhängern zunächst friedlich verlief, ist bemerkenswert. Einerseits.

Andererseits dokumentierten die St. Pauli-Ultras mit ihrem Fernbleiben im Aufstiegsrennen auch, was für sie im Vordergrund steht: an erster Stelle die eigene Darstellung und nicht der Sport und die Liebe zum Verein. Vermisst wurden sie nicht.

Im Gegenteil: Das demonstrative Lob von Sportchef Schulte, dass diesmal spielbezogene Unterstützung geherrscht habe, ist ein deutliches Statement.“
(aus „Das doppelte Zeichen der St.Pauli-Ultras„)

Möglich, dass sich Sebastian Wolff Hoffnungen macht, beim Kicker der Franz-Josef Wagner des Sports zu werden, doch dazu braucht es schon ein wenig mehr sprachliches Feingefühl und – wenn einem schon die Expertise fehlt – wenigstens ein bisschen mehr Empathie und Emotionen. So bleibt ein hochnotpeinlicher Beitrag, der hinter seiner geheuchelten Dialektik nichts als reaktionäre Gedanken verbirgt.

Foto: Arran Edmonstone/flickr.com

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben unter Google+
11 comments
  1. Ich glaube inzwischen tatsächlich, dass der Fußballjournalismus das Einzige ist, was sich in den letzten Jahren negativ entwickelt hat. Wenn man mal das Beispiel der Eintracht sieht: Beim legendären Klassenerhalt damals gegen Kaiserslautern und beim letzten Aufstieg wurde völlig selbstverständlich der „Platz gestürmt“, schließlich wollten Mannschaft und Fans zusammen feiern. Dazu wurde als Souvenir Rasen und Tornetz mitgenommen. Emotionen. Fußball halt. Der Schaden wurde ersetzt, niemand störte sich. Nun führt die selbe Handlung zu Schlagzeilen wie „Randale nach dem Aufstieg“ etc. Da möchte ich nur noch brechen. Da wurden zigtausend Frankfurter vom Team Green davon abgehalten, den Aufstieg mit der Mannschaft zu feiern. Da gab es dann 4 Bengalos, etwas kaputten Rasen und ein kaputtes Tor. Dafür aber Tausende friedlich-freundliche Fans, die den Aufstieg gefeiert haben. Ja und?

  2. Na ja, mindestens genau so schlimm sind die Äußerungen von Helmut Schulte, der in der Morgenpost (zugegeben hochseriöses Blatt) von einer Stimmung wie in den 80er Jahren faselte. So kann man mit den eigenen Fans natürlich auch umgehen.
    http://www.mopo.de/fc-st–pauli/millerntor-draussen-krawalle–drinnen–stimmung-wie-in-den-80ern-,5067040,14975466.html

  3. Da ich letzte Saison das letzte Dortmunder Heimspiel gegen Frankfurt live sehen „durfte“, kann ich auch dort von jeder Menge Sachbeschädigung berichten: Der BVB-Platzsturm war nur möglich, weil während des Spiels klammheimlich ein Tor aufgebrochen wurde und nach innen weggebogen wurde. Auf dem Platz wurden im ersten Ansturm Ordner attackiert, die sich rasch formierten, während es von der Süd „Wir sind Dortmunder und Ihr nicht“ erschallte. Medienecho? Null. Passte ja auch nicht zu den lieben und netten Dortmundern, bei denen sich natürlich auch 99% der Fans ordentlich zu benehmen wussten.
    Bei aller Schuld, die das problematische Fanpotenzial von Frankfurt (und anderen) hat: Es wird medial einfach mit zweierlei Maß gemessen.

  4. @Esleben: Na, wo Schulte Recht hat, hat er Recht. Diese selbstbezogen-pseudo-elitäre Dauersingsangs ohne Bezug zum Spiel in den Kurven geht mir auch komplett auf die Nerven.

    @Don: Klar, letzte Saison haben sich unsere Fans teilweise auch desolat benommen. Aber das am Montag kann man halt überhaupt nicht in einem Atemzug nennen mit den Aktionen des letzten Jahres. Montag war eine friedliche Party.

  5. Zu Schulte: an den Äußerungen sehe ich nichts „schlimmes“. Er hat damit ja auch im doppelten Sinne recht, denn in den Stadien war es in den 80ern ausgelassen, fröhlich und laut, vor den Stadien (wie offensichtlich auch beim Pauli-Spiel), ausgelassen, gewalttätig und laut.
    @Esleben: als pingeliger Mediävist (ja, das gibt´s) muss ich Dich darauf hinweisen, dass das Wort „hochnotpeinlich“ nicht das bedeutet, was die Journaille sich darunter vorstellt. Eigentlich heißt es nichts anderes als „sehr streng“, keineswegs aber so etwas wie „übertrieben peinlich“. Ich weiß, ich bin ekelhaft.

  6. Du bist ekelhaft.

  7. Aber nicht hochnotpeinlich…Oder doch?

  8. Geil. Wir haben jetzt endlich die 160 voll! 160 facebook-Freunde! Goldschuhe aus, wenn Du Dich anmelden würdest, hätten wir endlich unseren ersten Feind!

  9. Wenn inzwischen angesehene Tageszeitungen „es macht Sinn“ schreiben dürfen, dann darf ich auch „hochnotpeinlich“ verwenden wie ich will, auch wenn es für Walther von der Vogelweide-Fans wie dich etwas anderes bedeutet, oder? Und ja, du bist ekelhaft.

  10. Hier übrigens mal ein Beispiel, wie es früher war:

    und Teil 2:

  11. Ja, das hatten wir sogar schon mal als Artikel in deinem Libelingsblog:
    http://www.5-freunde-im-abseits.de/2010/11/03/wohin_mit_dem_hass/

Kommentare sind geschlossen.