Bengalo-Bürgerkrieg im Breisgau

Wer bisher gedacht hatte, der Tiefpunkt der Berichterstattung über Pyrotechnik in Stadien wäre schon längst erreicht gewesen, sieht sich seit vorgestern bitterlich enttäuscht. Der Südkurier, der „Mehr als Zeitung im Netz“ liefert, pulverisiert die nach unten offene Niveau-Skala mal eben im Vorbeigehen. Unter dem Titel „Plötzlich brennen die Pyros“ veröffentlicht der baldige Preisträger des Pulitzer-Preises Ingo Feiertag eine Satire Glosse „Reportage“, die wirklich ihresgleichen sucht.

Ingos erster Stadionbesuch hält einige Überraschungen für den hoffnungsvollen Nachwuchsjournalisten bereit und einige Dinge bringt er durcheinander, aber am Ende überwiegt die Freude, die Bengalo-Hölle Dreisamstadion überlebt zu haben. Ingo darf heute nämlich die Polizei begleiten: Alles beginnt mit der Verbringung der „sogenannten Problemfans“ in den Stehplatzkäfig, wo die Staatsgewalt wenigstens halbwegs in der Lage ist, Attilas Horden unter Kontrolle zu halten. Diese Geisteskranken vermummen und verbergen sich jedoch dreisterweise hinter Mützen und Schals:

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Das alles sind Puzzleteile, die zusammengesetzt ein perfektes Krimi-Drehbuch ergeben.

Bürgerkriegsähnliche Zustände brechen aus, die Lage eskaliert völlig, eine neue Qualität der Gewalt wird erreicht:

Plötzlich überstrahlt im BVB-Block das Licht von zig grell-roten Fackeln das Schwarz und Gelb der dicht gedrängten Fans, die schnell in Rauch gehüllt sind.

Entsetzen macht sich breit, Ingo und sein Freund von der Polizei sind menschlich zutiefst entsetzt und getroffen. Wer sowas macht isst auch kleine Kinder und wirft Hundewelpen in den Fluss. Denn eines weiß Ingo, Bengalos sind schlimmer als alles andere:

Die üblichen „kleineren Geschehnisse“, so Gabriel Winterer, wie Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Betrunkene, ein Diebstahl von Fanutensilien des Gegners oder das Anspucken eines Polizisten rücken an einem solchen Tag schnell in der Hintergrund. An einem Bundesliga-Spieltag im beschaulichen Freiburg, der so ganz normal und friedlich begonnen hatte.

Alle Zitate aus: Südkurier – „Plötzlich brennen die Pyros“

Bild: Malik_Braun@flickr

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Loudspeaker

Freiheit für Hoffenheim

Verfahren eingestellt, Unschuld bewiesen. „Viel Lärm um Nichts“ um Shakespeare zu bemühen, nur ein „Altherren-Streich“? Fest steht, die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat die „Schallaffäre“ und damit das Verfahren wegen Körperverletzung eingestellt. Fünf Zeilen war der Presseabteilung der Heidelberger Staatsanwaltschaft die Erkenntnis wert, dass ein Lärmgutachten zweifelsfrei festgestellt hätte, dass durch die Schallkanone des Hoffenheimer Stadionhausmeisters zu keiner Zeit Gefahr für Leib und Leben bestanden hätte. Erreiche sie doch maximal einen Pegel von 90 Dezibel, in einem Stadion herrschten aber normalerweise mehr als 100 Dezibel. Das Verfahren sei deshalb wegen „erwiesener Unschuld“ einzustellen. Fünf Zeilen, die leider noch nicht ihren weg ins Internet und auf die Seiten des Staatsanwaltschaft gefunden haben.

Guantanamo in Hoffenheim

Soweit die rechtsstaatliche Abwicklung der „Schallaffäre“, die wohl stärker am Hoffenheimer Selbstverständnis genagt hat, als man öffentlich zugeben mag. Stellvertretend dafür sei ein Artikel des Lokaljournalisten Wolfgang Brück von der Rhein-Neckar-Zeitung zitiert, in dem auch einige der Hoffenheimer Verantwortlichen zu Wort kommen, in erster Linie aber Herr Brück seinem Unmut gegenüber all denen los werden muss, die Hoffenheim angeblich in Misskredit gebracht haben. Brück behauptet, ich zitiere, „Hoffenheim wurde in die Nähe von Guantanamo gebracht, als autoritäres System dargestellt, das mit folterähnlichen Methoden Andersdenkende zum Schweigen bringen will“. Besonders im Visier des Herrn Brück: die Kollegen vom Berliner Tagesspiegel, die im Rhein-Neckar-Raum eh als Personae non grata behandelt werden und wegen unliebsamer Äußerungen kurzzeitig mit einem Boykott belegt wurden: „Noch vor kurzem schrieb der Berliner Tagesspiegel von „krimineller Energie“ und nannte als mögliche Bestrafung den Zwangabsteig aus der Bundesliga“. Das ist natürlich aus dem Zusammenhang gerissen, wie ein kurzer Blick in den betreffenden Artikel zeigt:

 „Der FC St. Pauli wurde zum Beispiel in der vergangenen Saison wegen eines Becherwurfs eines Einzelnen mit einer Platzsperre belegt. Was müsste also nach einem vernünftigen Maß den Hoffenheimern drohen, die in ihrem Stadion weitaus mehr kriminelle Energie beherbergten als nur einen Becherwerfer, der sich spontan und einmalig zu einer Dummheit hinreißen ließ? Zwangsabstieg?“

 

„Eine Art Notwehr“

Auch wenn sich Dietmar Hopp in Brücks Artikel erleichtert zeigt und hofft, dass die Einstellung des Verfahrens eine Lehre für diejenigen sei, die Hoffenheim vorschnell verurteilt hätten, bleiben doch einige Fragen offen. Wohl kaum die nach der Bestrafung durch den DFB. Der wird die Vorlage der Staatsanwaltschaft wohl dazu nutzen, das Verfahren in der Winterpause geräuschlos gegen Zahlung einer geringen Geldbuße einzustellen. Genauso wie es die TSG Hoffenheim in Person von Ernst Tanner ja selbst vorgeschlagen hat. Moralisch bleibt die gesamte Affäre fragwürdig. Wenigstens soll arbeitsrechtlich gegen den Hausmeister vorgegangen werden, trotzdem versucht man bei Hoffenheim den Vorfall weiter zu bagatellisieren: „Der Geschäftsführer versicherte nochmals, dass die Führungsebene nicht informiert gewesen sein, dass es sich um eine „Art Notwehr“ des Hausmeisters gehandelt habe, der sehr unter den Pöbeleien gegen Hopp gelitten habe.“ Der Arme, hoffen wir das allerbeste für ihn und ein schnelles Ende seines Leidens.

Alle kursiven Zitate aus „Viel Lärm um Nichts“ (Link expired)aus der Rhein-Neckar-Zeitung

Bild: jan_krutisch/flickr.com

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Derbytime! Can’t Touch This!

Derby, Conneticut
Endlich Wochenende, endlich wieder Derbyzeit. Spannende Duelle stehen an, Teile der 5 Freunde sprechen seit Tagen nicht mehr miteinander, blanker Hass bestimmt die Kommunikation. Und dann steht am Montag auch noch der erste Teil des Wurstwasser-Double Features auf dem Programm. Die Spiele im einzelnen:

Fr, 20:30 Uhr:
Hertha BSC – FC Schalke 04 (Das Freitagsderby)

Bleibt er oder geht er? Tattoo-Babbel ziert sich derzeit, während Huub Stevens weiter grantiger aus der Wäsche schaut als Rinus Michels und Ernst Happel zusammen. Nicht nur auf dem Papier prädestiniert für ein Unentschieden auf niedrigem Niveau. Wer will schon Freitagabends nach Berlin? Buxe träumt derweil von Xavi und Raul vereint in „Ultrabeauty“.

Sa, 13 Uhr:
VfL Bochum – Fortuna Düsseldorf (Das 5 Freunde-Derby)

Auszüge aus dem Email-Verkehr der letzten Tage:
Goldschuhe aus: „Diese eklige Drecksbetrügertruppe aus Düsseldorf schaue ich mir maximal im Fernsehen an.“
Esleben: „Immer wenn ich nach Bochum komme, werde ich depressiv!“
Papa la Papp wie immer bei den Schwiegereltern, Buxe beim Pferdewetten und Don in der Pinte. Ein ganz normales Spiel also.

Sa, 15:30 Uhr:
1.FC Köln – SC Freiburg (Das Gotik-Derby)

Freiburg sollte spätestens in Köln mal wieder dreifach zu punkten, in der Winterpause kann man sich dann für die Cisse-Millionen endlich einen erstligatauglichen Trainer holen. Der Ulmer auf der Bank muss in jedem Fall weg.

So, 15:30 Uhr:
Borussia Dortmund – 1.FC Kaiserslautern (Das Bier-Derby)

Die unsympathischen Bauern aus der Pfalz müssen beim deutschen Meister antreten, doch Schneider 3 treibt sich lieber auf den Plätzen der Berliner Amateurligen herum. So schnell kann’s vom Allesfahrer zum Fernsehfan gehen, wenn einem plötzlich der Job wegbricht und man meint studieren gehen zu müssen.

Mo, 20:15 Uhr:
Eintracht Frankfurt – Fürth (Das Wurstwasser-Derby, Teil I)

Erster Teil des Wurstwasser-Double Features. Der Don lädt wieder zu „Pilsetten“ und „Wurstspritzen“, die nicht Frankfurt affinen 5 Freunde glänzen entweder durch Abwesenheit (Papa La Papp, Esleben) oder schlafen in der Ecke des Don’schen Sofas (Buxe). Der Rest spricht Fiege und Wurst zu als gäbe es kein Morgen. Während Goldschuhe aus fortwährend seinen Verein madig macht, tänzelt Don brüllend vor der lächerlich kleinen Mattscheibe auf und ab, oder schreit Goldschuhe aus an, dass er keine Ahnung hätte. Die Frage, ob Gekas nun ein Stinkstiefel ist oder die Eintracht zum Aufstieg schießt, konnte bisher nicht abschließend beantwortet werden. Selten jedenfalls sind die 5 Freunde näher bei sich als hier. Nächste Woche gibt’s das Ganze nochmal.

Spielfrei: SSV Reutlingen 05

Bild: dougtone/flickr.com

Über den Autor: esleben

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Solidarität im Raum

Preisfrage: Was hat der FC Barcelona, was Manchester City nicht hat? Es gibt viele mögliche Antworten (Vereinsstatus, Erfolg, gutes Wetter, bekanntere Kooperationspartner, eine Nachwuchsabteilung, etc.).

Über den Autor: Buxe

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.

Die Ultras in den Wohnstuben

Nicht nur die Printmedien haben in den letzten Wochen die Ultrakultur für sich entdeckt, auch im Fernsehen kamen in den letzten Tagen gleich zwei Dokumentationen, die sich mit Ultras und Fußballkultur auseinandersetzten. Dass das Niveau der Berichterstattung dabei sehr unterschiedlich ausfällt, liegt wohl nicht zuletzt am jeweils ausstrahlenden Sender bzw. Produzenten.

ZDFneo: Wild Germany – Ultras

Die sehr sehenswerte Dokureihe Wild Germany, die leider nur im Nischensender ZDFneo versendet wird, erhebt für sich den Anspruch, nicht alltägliche Aspekte der Lebensrealität und Subkulturen in Deutschland zu betrachten und darzustellen. Und tatsächlich ist die Dokumentation über die Ultras interessant und differenziert ausgefallen. Dies liegt nicht zuletzt an dem Reporter Manuel Möglich, dessen ehrliche Neugier und Vorurteilsfreiheit sehr zum Gelingen der Dokumentation beiträgt. Allein etwas mehr Ausführlichkeit in Form einer längeren Sendungsdauer hätte man sich gewünscht. Möglich spricht im Rahmen der Sendung mit Mitgliedern der Ultras von Fortuna Düsseldorf und des Sechstligisten Chemie Leipzig, mit 11Freunde-Chefredaktuer Philipp Köster und einem Vertreter der Koordinierungsstelle Fanprojekte. Das dabei entstandene Bild geht weit über die undifferenzierte Berichterstattung hinaus, die man normalerweise zu diesem Thema gewohnt ist. Leider ist der Beitrag in der Mediathek wegen einer Freigabe ab 12 Jahre erst ab 20 Uhr abends zu sehen, aber vielleicht findet man die gesamte Doku ja auch anderswo.

Wild Germany – Ultras in der ZDF-Mediathek (ca. 30 Minuten)

RTL II: Kuhnigk und die Hooligans

In eine etwas andere Kerbe schlägt hingegen die Dokumentation des „investigativen Journalisten“ Wolfram Kuhnigk, der für RTL II „drängende Gesellschaftsthemen“ untersucht. Er wirft fröhlich Ultras und Hooligans, Gewalt und Pyrotechnik in einen Topf und mixt daraus einen sensationsheischenden Film zum Thema Fußball und Gewalt zusammen. Neue Erkenntnisse oder Einblicke erhält man dabei eher weniger, hierfür bleibt der Beitrag doch allzusehr an der Oberfläche. Vielleicht wäre es zum Beispiel interessanter gewesen, bei dem seltsam reulosen Frank Renger etwas länger nachzuhaken, anstatt irgendwelchen Lok Leipzig Fans eine Plattform für ihre dümmliche Asozialität zu bieten.

Kuhnigk und die Hooligans in der Mediathek von RTL II (ca. 45 Minuten)

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Keiner mag Wolfsburg

Keiner mag Wolfsburg! Das sagen nicht nur wir, die wir dem erratischen Treiben des Herrn Magath und seinem fahrlässigen Umgang mit Geld naturgemäß skeptisch eingestellt sind, das sagt auch die Statistik. Nicht irgendeine Statistik, sondern die der Zuschauerzahlen beim Pay-TV-Sender Sky. Dort wollen laut Meedia gerade einmal 20.000 Zuschauer im Schnitt ein Spiel mit Wolfsburger Beteiligung sehen, wenn der Gegner nicht Bayern München heißt.

Damit liegt Wolfsburg sogar hinter Augsburg und Leverkusen. VW Wolfsburg kann sich aber damit trösten, dass die „Fuggerstädter“ und die „Werkself“ noch weniger Menschen sehen möchten als den VfL Wolfsburg, wenn die beiden Genannten samstags um 15:30 Uhr antreten müssen. Deshalb kommt Leverkusen, dank internationaler Spiele und vielen Sonntagsterminen in der Gesamtzuschauertabelle doch noch auf einen respektablen fünften Platz.

Für Wolfsburg bleibt da nur der Abstiegskampf, momentan liegt man knapp vor der TSG aus Hoffenheim, die in dieser Saison nicht mehr als 110.000 Leute im Schnitt live spielen sehen wollten, und dem SC Freiburg, der auf einen ähnlich traurigen Wert kommt. Legt man die Zuschauertabelle neben das Ergebnis der Zuschauer bei Sky ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch im eigenen Stadion ziehen Freiburg, Wolfsburg, offenheim und Leverkusen die wenigsten Zuschauer. Sogar Augsburg und Mainz liegen da vor dem Champions League-Teilnehmer. (Ich weiß, dass das eine unzulässige Verkürzung ist, mach’s aber trotzdem…)

Als durchaus sensationell darf man die Platzierung von Hannover 96 in der Statistik von Meedia bezeichnen. Bei der Gesamtzuschauerzahl rangieren die „Roten“ auf dem vierten Platz, profitieren dabei aber ebenfalls davon, dass sie bisher erst sieben Mal Samstagnachmittags antreten mussten, Leverkusen kommt hier gerade mal auf fünf Spiele. Interessant wäre es jetzt zu erfahren, wie viele Leute die Partien zwischen Freiburg und Wolfsburg am 10.02. um 20:30 verfolgen werden. Oder beim Zuschauer-Abstiegsduell Freiburg Hoffenheim am 14.04. Ich fürchte, das Ergebnis kann nur eines sein: Quote nicht meßbar…

Quelle: meedia.de

Bild: thecrypt/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Über den Autor: esleben

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Rudelbildung in der Mixed Zone

„Rudelbildung“, einer der vielen Neologismen, bei denen man nicht so recht weiß, was zuerst da war. Das Wort oder die Tendenz der Spieler im Gros den Schiedsrichter nach umstrittenen Entscheidungen zu bestürmen. Wahrscheinlicher scheint es, dass Sportjournalisten den Begriff ihrer eigenen Arbeitswelt entlehnt haben. Das legt ein Artikel des SZ-Redakteurs Philipp Selldorf nahe, mit dem wir nicht immer einer Meinung sind, der in diesem Fall aber einige interessante Beobachtungen für die Branchenzeitung „journalist“ gemacht hat.

Die Ursache der Hysterie, mit der im Fußball bisweilen Nichtigkeiten aufgebauscht werden, liegt seiner Meinung nach in der mixed zone. Dort knubbeln sich seit diesem Jahr drei Nachrichtenagenturen, deren Geschäft es ist, News zu verkaufen. Doch echte News sind rar, wieso also nicht Nichtigkeiten als News tarnen?

„Die Rivalität der Dienste bringt Meldungen hervor, die nur deswegen zu Meldungen erhoben wurden, weil die anderen Dienste sie noch nicht auf den Markt gebracht haben. Das wiederum bewegt die anderen Dienste dazu, die Meldung ebenfalls auf den Markt zu bringen.“

Konkret:

„ So passiert es, dass alle drei nacheinander darüber berichten, dass Lukas Podolski den 1. FC Köln im Winter nicht verlässt, ungeachtet dessen, dass niemand zuvor behauptet hat, dass er das tun wollte.“

Dabei sind die drei großen deutschen Nachrichtenagenturen und ihr Wettbewerb beileibe nicht die einzigen Schuldigen an der Produktion des Nichtigen, die Spieler und ihre Berater tragen zu gleichen Teil dazu bei, dass es aus der mixed zone nichts Neues zu berichten gibt:

„Später schaut man dann in sein Notizheft und fragt sich, ob das die Anstrengungen und das Schubsen wert war: all die Floskeln, die gebügelten und gefönten rhetorischen Standards und die Binsenweisheiten, die einem während des Spiels schon selbst gekommen sind. Den Spielern ist kein Vorwurf zu machen. Sie sind durch die Verhältnisse geprägt und betreiben deshalb geübte Selbstzensur. Sie werden von ihren Beratern und den Pressechefs der Vereine geschult und eingestimmt auf die menschenfressende Öffentlichkeit, die den Fußball zur großen Sache macht.“

Wie es sich für einen Printredakteur gehört, spart sich Selldorf nicht einen kleinen Seitenhieb gegen seine Kollegen im Internet:

 „Das Internet stößt wie eine chinesische Fabrik tonnenweise Wegwerfware zum Thema Fußball aus, die Mitmachkultur in den Foren und Blogs trägt ihren Teil zur Unübersichtlichkeit bei“

Soweit Selldorfs Analyse, der ein kleiner Exkurs in die „Früher sind wir im Mannschaftsbus mitgefahren und haben trotzdem nicht darüber geschrieben“-Zeiten folgt. Ein entscheidender Kritikpunkt fehlt aber: Es wollen nicht nur zu viele Leute O-Töne von Spielern und Trainern sammeln. Viel zu viele von ihnen machen sich im Vorfeld zu wenig (also gar keine) Gedanken darüber, was sie die Spieler fragen möchten. TV-Journalisten, die einen Spieler nach einer Niederlage allen Ernstes mit der in sämtlichen Seminaren über Interviewführung verbotenen Frage „Wie fühlen Sie sich?“ konfrontieren, dürfen sich nicht wundern, wenn sich der Spieler in Allgemeinplätze flüchtet. Und Unsereins genervt abschaltet oder mit einem Blogartikel zur Unübersichtlichkeit beiträgt. Merke: Auch kickende Millionäre dürfen durchaus mit kritischen Fragen konfrontiert werden, auch wenn mancher Vereine dafür gerne Hausverbot erteilen würde …

Alle Zitate aus „Hinterm Absperrband geht’s weiter“, erschienen im Journalist 12/2011

Foto: manbeastextraordinaire/flickr.com (CC BY 2.0)

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Derby, Conneticut

Die Derbys der Woche

Tausend kleine Derbys. Jedes Wochenende werden in den Redaktionsstuben von TV und Print neue, noch absurdere Derbys konstruiert. Das können wir schon lange. Deshalb gibt es ab jetzt jeden Freitag unsere ganz subjektive Sicht auf die Derbys des kommenden Wochenendes. Eine Spieltagsvorschau unter besonderer Berücksichtigung jener absoluten Top-Vereine, an denen unser Herz hängt – egal in welcher Liga und zu welchen Familien unfreundlichen Zeiten deren Spiele angestoßen werden.

Sa, 13 Uhr:
Eintracht Frankfurt – Karlsruher SC (Kurpfalz-Hessen-Derby)

Glückliche Fügung des Schicksals, aber dieses Wochenende fängt das Wochenende nicht schon am Freitag um 18 Uhr an. Stattdessen ausschlafen und zum Frühstück in die Commerzbank-Arena. Vehs Mannen empfangen den KSC zum traditionsreichen Kurpfalz-Hessen-Derby, hüstel. Zur Erinnerung: Frankfurt steckt in einer veritablen Mini-Krise, gabs zuletzt doch die erste Saisonniederlage gegen 1860 München. Karlsruhe befindet sich dagegen eigentlich seit Menschengedenken in der Krise, zumindest aber seit Euro-Eddy nicht mehr für die Badener aufläuft und lieber für die Lotto-Traditionself Rheinland-Pfalz auf Torejagd geht. Mein Tipp: 3:0 und Bushido-Köhler mal wieder der überragende Mann auf dem Platz, nur keiner weiß warum.

Sa, 14 Uhr:
FSV Hollenbach – SSV Reutlingen (Winterpausen-Derby)

Weiter gehts um 14 Uhr in Hollenbach. Hollenbach? Ja, gleich bei Mulfingen und Ailringen. Wieso uns das interessieren muss? Weil der glorreiche SSV Reutlingen dort zu seinem letzten Spiel vor der Winterpause antritt. Klarer Fall von Winterpausen-Derby. Die, die Winterpause nämlich, dauert in den Niederungen der baden-württembergischen Oberliga mal schön bis Anfang März. Muckelige Stadionheizungen gibt es in dieser Liga nämlich nicht, dafür mit wenig Glück ordentlich „Schnaps auf’m Platz“, natürlich schwarz gebrannter „Obschdler“.

Sa, 15:30 Uhr:
SC Freiburg – Hannover 96 (Nord-Südwest-Derby),
1.FC Kaiserslautern – Hertha BSC (Provinz-Metropolen-Derby)
Borussia M’Gladbach – Borussia Dortmund (Borussia-Derby)

Gleich drei Derbys stehen um 15:30 Uhr an, also zur einzig wahren Zeit. Echten Spitzenfußball darf man vielleicht beim Borussia-Derby erwarten. Normalerweise fühlen wir uns in diesen Tabellenregionen eher unwohl, Stichwort: Schwindel. Wie gut, dass es bei den Duellen zwischen Freiburg und Hannover bzw. Lautern und Berlin eigentlich nur eins zu erwarten gibt: schlechten, unterdurchschnittlichen Bundesliga-Fußball, ganz so, wie man es mag.

So, 13:30 Uhr:
VFfL Bochum – Erzgebirge Aue (Malocher-Derby)

Zeit zu verschnaufen und für die beste Sportsendung im deutschen Fernsehen bleibt nicht, bereits um 13:30 Uhr muss das Mittagessen, bestehend aus einer lauwarmen, halb durchgebratenen und trotzdem verbrannten Aramak-Wurst und köstlichem Fiege Pils im schönsten Stadion Deutschlands verdrückt werden. Malocher-Fußball steht an, bei dem die Bochumer Depressionsskala wie immer nach unten völlig offen ist. Auch wenn man das nach der letzten 0:4 Niederlage nicht glauben mag.

So, 17:30 Uhr:
FC Schalke 04 – FC Augsburg (FC-Derby)

Was haben wir Augsburg eigentlich zu verdanken, der „Fugger-Stadt“, mit ihren „Fugger-Städtern“? Nicht, dass die ausnehmend hässliche Stadt Gelsenkirchen eine größere Bedeutung als die Metropole des bayerischen Teils von Schwaben hätte. Also, was haben wir Augsburg zu verdanken? Außer Helmut Haller meine ich? Okay, Bernd Schuster, der konnte auch noch was am Ball, aber jetzt im Jahr 2011? Der dreifache Preisträger für absurde Bartmode auf der Bank, „Power-Mischi“ Thurk auf der Tribüne und Simon Jentzsch, der einzige Torwart aus der Gerry Ehrmann-Schule, der nicht bei Gerry persönlich gelernt hat. Aber sonst ist da doch nichts, außer 20 weiteren Spiele dieses Teams in der Bundesliga, die man nicht sehen möchte.

Foto: dougtone/flickr.com

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Gerechte Stadionverbote?

„Ein Stadionverbot ist gegen eine Person zu verhängen, die im Zusammenhang mit dem Fußballsport […] innerhalb oder außerhalb einer Platz- bzw. Hallenanlage in einer die Menschenwürde verletzenden Art und Weise oder sicherheitsbeeinträchtigend aufgetreten ist.“

So sieht es zumindest die entsprechende DFB-Richtlinie vor, die zudem konkrete Beispiele für ein solches „Auftreten“ nennt: Gewaltdelikte, Landfriedensbruch oder auch Raub.

Es herrscht wohl größtmöglicher Konsens, dass ein Stadionverbot als Strafe für die genannten Delikte durchaus angemessen ist. Bei bundesweit ca. 3.500 erlassenen Stadionverboten in den letzten drei Jahren fällt es allerdings schwer zu glauben, dass jeder dieser Sanktionen eine (schwere) Straftat vorangegangen ist. Und tatsächlich, ähnlich wie bei der Aufnahme in die „Datei Gewalttäter Sport“, reicht es manchmal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um jahrelang unter den Folgen leiden zu müssen.

Nicht zuletzt deswegen schwelt seit Jahren ein Streit zwischen Vereinen, DFB und Fans hinsichtlich der Vergabepraxis von Stadionverboten. Die einen sehen diese als notwendige Maßnahme zum Schutz anderer Zuschauer, die anderen als willkürlichen Ausdruck von Repression. 2007 schließlich fand ein erster Bundesweiter Fankongress mit Vertretern aller genannten Gruppen statt. Dabei wurde unter anderem beschlossen, die maximale Laufzeit eines Stadionverbotes von fünf auf drei Jahre zu reduzieren. An den Umständen, wie Stadionverbote zustande kommen hat sich seitdem jedoch nichts Wesentliches geändert: Eine Anhörung des Betroffenen oder gar eine Überprüfung des Urteils findet so gut wie nie statt.

Wegweisend sollte deswegen die Klage eines Bayernfans sein, dessen Stadionverbot trotz eines eingestellten Ermittlungsverfahrens aufrecht erhalten wurde. Der BGH urteilte schließlich, dass dieses Vorgehen rechtens sei. Entscheidend sei das Hausrecht der Vereine, ein Anspruch auf ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren bestehe nicht. Dabei kann sich wohl jeder vorstellen, was ein ungerechtfertigtes Stadionverbot für den Betroffenen bedeuten kann: Einerseits ein bitteres Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem undurchdringbaren Entscheidungsapparat. Andererseits, besonders bei Jugendlichen, ein wesentlicher Eingriff in die Freizeitgestaltung und das soziale Leben.

Und dennoch gibt es zu diesem Thema keinerlei Debatte, ist doch das Vertreten einer „Null Toleranz“ Linie in Zeiten einer „neuen Dimension der Stadiongewalt“ deutlich leichter zu rechtfertigen als Verständnis gegenüber unschuldig Verurteilten.

Daher ist es besonders bemerkenswert, dass sich der VfL Bochum vor kurzem für gänzlich neues Vorgehen in Sachen Stadionverbote entschieden hat. Der Verein hat zu diesem Zweck eine fünfköpfige Stadionverbotskommission eingerichtet, die aus Prof. Dr. Thomas Feltes (Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum), Gerd Kirchhoff (Stadtdirektor und Dezernent a.D. sowie ehemaliges Aufsichtsratsmitglied VfL Bochum 1848), Norbert Kern (Bereichsleiter des Ordnungsdienstes im Gästebereich des Ruhrstadions und Polizeibeamter a.D.), Lothar Kessler (stellv. Leiter des Jugendamts Bochum und Abteilungsleiter Jugendförderung) sowie Frank Gutberger (Jugendrichter am Landgericht Bochum) besteht. Diese Kommission soll einen möglichst objektiven Blick auf den jeweiligen Vorfall richten, dem Betroffenen die Möglichkeit geben vorzusprechen und individuelle Maßnahmen festlegen, ohne sofort zum Stadionverbot zu greifen.

Man sollte meinen, dass ein solches Vorgehen in einem Rechtsstaat wie Deutschland selbstverständlich wäre. Leider aber muss man dem VfL Bochum für diese bundesweit bisher einzigartige Einrichtung ein besonderes Lob aussprechen. Man kann dem Club nur wünschen, dass die Pilotphase erfolgreich verläuft und für ein besseres Verhältnis zwischen Fans und Verein sorgt und Strafmaßnahmen rund um den Fußball gerechter und nachhaltiger gestalten kann. Wann und ob sich weitere Vereine daran ein Beispiel nehmen, ist leider noch längst nicht absehbar.

Weitere Informationen: Der Westen – In Sachen Stadionverbot ist der VfL nun Vorreiter

Foto: mkorsakov/flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.