Helmut Markwort vom Focus

Fakten, Fakten, Fakten über Ultras

Ich bin tatsächlich erschüttert, was mir eigentlich selten passiert, wenn ich einen Bericht oder einen Artikel zum Thema Fußball lese. Aber was der Focus diesen Mittwoch an „Journalismus“ abgeliefert hat, nimmt tatsächlich eine neue Dimension an, im Gegensatz zu vielem Anderen in der jüngeren Vergangenheit.

Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, erneut ein Fass aufzumachen und zu fordern, die aktuelle Pyro- und Gewaltdebatte zu trennen, auf die ungenaue und unzureichende Berichterstattung über Ultras und ihr Umfeld hinzuweisen oder gar das dümmliche Gelalle einzelner Interessensvertreter zu verurteilen. Dies wurde an anderer Stelle schon ausführlich und wahrscheinlich auch besser geleistet.

Man kann Herrn Watzke, der mir bisher eher positiv als negativ aufgefallen war, nur wünschen, dass er falsch zitiert wurde, als er angeblich sagte:

„Einige unserer Ultras, die oft kritischer gesehen werden, als sie sind, waren zuletzt auf Einladung des Vereins in Auschwitz. Dort haben alle vor Augen geführt bekommen, wo Gewaltexzesse hinführen“

Sich für diesen Satz sich nicht allein beim Lesen schon zu schämen fällt mir schwer. Allein auf die Idee zu kommen, den Massenmord an Millionen europäischer Juden in einem Atemzug mit angeblich zunehmender Stadiongewalt zu nennen, ist schlicht nicht zu fassen. Bestenfalls ist das geschichtsvergessener Populismus, schlimmstenfalls zynisch, schamlos und dumm. Die Shoa war kein spontaner Gewaltexzess Einzelner, die in der Emotion über die Stränge geschlagen haben, sondern die industrialisierte Vernichtung unzähliger Existen

zen.

Schlimmer ist dann nur noch die Überschrift des Artikels, bei dessen Formulierung der zuständige Redakteur offensichtlich jeglichen gesunden Menschenverstand hat vermissen lassen:

Zeichen gegen Gewalt – Dortmund schickt Ultras nach Auschwitz

Abgesehen davon, dass diese freiwilligen Bildungsfahrten von den Ultras und dem Fanprojekt des BVB selbst organisiert werden, ist diese Überschrift einfach ein Skandal (meine Beschwerde beim Deutschen Presserat ist anhängig). Eine derartige Entgleisung menschlichen, emotionalen, empathischen und Vernunftsversagens ist mir im Bereich „Journalismus“ bisher noch nicht untergekommen.

Wie gesagt, ich bin fassungslos.

Zum Focus-Artikel (auf eigene Gefahr)

Bildquelle

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
8 comments
  1. Hier noch der Auszug aus meiner Beschwerde an den Presserat:

    Ich sehe in diesem Beitrag einen Verstoß gegen mehrere Ziffern des Pressekodex:

    Ziffer 1: Das wiedergegebene Zitat Herrn Watzkes, dass die Shoa in einen Vergleichszusammenhang mit einem „Gewaltexzess“ würdigt Opfer angesichts dervon ihnen erlebten Schrecken unzulässigerweise herabt. Insbesondere dadurch, dass die Shoa nicht Ergebnis eines „Gewaltexzesses“ war, sondern ein industrialisierter Massenmord.

    Ziffer 2: Überschrift und Text suggerieren, dass die Fahrten Dortmunder Fans eine Art „Strafmaßnahme“ des Vereins für jugendliche „Übeltäter“ ist. Dies ist falsch, da diese Fahrten als freiwillige Bildungsfahrten vom Fanprojekt des BVB und den Ultras/Fans selbst organisiert werden.

    Ziffer 11: Die Überschrift ist eine Zuspitzung teilweise falscher Behauptungen, die weder dem Thema an sich noch den Inhalten des Berichtes gerecht wird.

  2. Bin mal gespannt, ob es eine Antwort gibt. Da bekommt übrigens das „schöne“ Lied von der U-Bahn eine ganz neue Wendung.

  3. Mein Kommentar unter dem Focus-Artikel, in dem ich die Beschwerde erwähne und diesen Artikel verlinke wurde jedenfalls nicht freigegeben.

  4. hardcorest. da faellt mir nix mehr ein, nichtmal dazu, dass die headline bis jetzt unveraendert so steht. das schafft doch selbst das sturmgeschuetz des iterativen journalismus problemlos. feiern die die headline?

  5. Markwort und seinesgleichen sind eben unglaubliche Demagogen.

  6. Manchmal denke ich wirklich, wir haben das Maximum an Dummheit erreicht, die das menschliche Hirn zu leisten im Stande ist. Wenn es einen Gott gibt, dann sollte er erkennen, dass wir aus Dummheit endgültig vernichtet gehören. Alle.

    Ich kann echt kaum fassen, was ich hier lesen muss. Und das Zitat von Watzke ist wirkich erschreckend, wenn man bedenkt, dass er noch zu den Vernünftigeren im Fußball gehört.

  7. Dass ein derartiger Kommentar unter dem Beitrag nicht freigeschaltet wird, ist noch mal ein zusätzlicher Skandal zu den ansonsten schon äußert ungeschickten und inakzeptablen Vorgängen.

  8. Auch Philipp Selldorf, Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, lässt sich nicht lumpen: http://www.publikative.org/2011/12/01/heiopei-der-woche-brandstifter/

Kommentare sind geschlossen.