Gestatten, Mini-Krise!

2011 steht im Zeichen der Krise – der Krise im Finanzsystem, in Südeuropa, gar in der ganzen (Wirtschafts-)Welt. Momentan kommen uns die Folgen dieser Krise (noch) seltsam abstrakt vor, trotzdem würde man sie als global und umfassend bezeichnen. Schließlich dauert die Krisen-Situation schon ein, zwei, drei Jahre und ein Ende ist nicht in Sicht. Wäre die Weltpolitik doch nur so einfach wie die Welt des Sports, die gleichzeitig eine Welt der „Mini-Krise“ ist.

Rein in die Mini-Krise…

Selbst ein Josef Ackermann oder Hilmar „Peanuts“ Kopper kämen nie auf die Idee, die momentane Krise im Finanzsystem als Mini-Krise zu identifizieren. Sportjournalisten diagnostizieren sie aber am laufenden Band, von der Bundesliga bis zur Verbandsliga, im Eishockey, im Basketball, ja überall, wo zwei Mannschaften um Sieg oder Niederlage ringen. Derzeit am schlimmsten von der Mini-Krise gebeutelt: der glorreiche FC Bayern, darin ist sich die Presse weitgehend einig. Die Diagnose ist also getroffen, doch wie sieht es mit den Symptomen aus? Zwei Niederlagen in Folge und der Verlust der Tabellenführung, schon ist sie da: die Mini-Krise. Und will nicht wieder weg, mindestens bis zum nächsten Sieg.

… raus aus der Mini-Krise

Wie man aus der Mini-Krise wieder raus kommt, hat unlängst der VFB Stuttgart gezeigt, wenn auch ein wenig tiefer in der Tabelle. Wieder herrscht Einigkeit: „Dank Harnik: Stuttgart beendet Mini-Krise“. Was war passiert? Der VFB hatte in den letzten drei Spielen nur zwei Punkte geholt, dabei einmal gegen Dortmund Unentschieden gespielt, einen Kontrahenten gegen den eigentlich immer zwingend drei Punkte her müssen. Aber mit dem 2:1 gegen Augsburg war die Mini-Krise auch schon wieder beendet, „dank Harnik“.

Eine Frage muss allerdings erlaubt sein: Ist die Niederlage gegen Augsburg nicht schon der Beginn einer neuen Mini-Krise oder befindet sich das Team von Bruno Labbadia damit sogar wieder mitten in der nächsten Mini-Krise? Und weiß es vielleicht noch gar nicht, weil keiner der vielen schlauen Sportjournalisten qua Artikel Bescheid gesagt hat, dass die Mini-Krise die Klinke schon in der Hand hält und nur allzu gerne die (große) Krise durch bitten würden? Wie gut, dass es den VFB Stuttgart nicht so hart getroffen hat, wie die Handballer des HC Sulzbach, dem im Duell mit dem TSV Haunstetten doch die Spieler ausgehen. Die Folge: „Mit Mini-Kader aus der Mini-Krise“ und die Hoffnung stirbt zuletzt.

Noch mehr Krise

Was hat die Mini-Krise mit der ureigenen Definition der Krise zu tun? Nämlich „Die Krise bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation“ (Wikipedia) Vor welcher Entscheidung steht ein Sportverein in der Mini-Krise? Mehr als Sieg oder Niederlage kann es nicht sein. Spielabbruch dürfte kaum eine Option sein… Wie steht es um die Verwandschaftsverhältnisse zwischen Mini-Krise und Ergebniskrise. Wann führt letztere in eine Formkrise? Sicher ist nur, die Krise kann Mini sein, sie ist in jedem Fall Anlass genug um hysterische Nachrichten zu verbreiten.

Foto: schoschie/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Die Schande von Dresden – Eine andere Sichtweise

Ursprünglich sollte dies ein Kommentar zum Artikel von schneider3 werden. Aber nachdem der Kommentar länger und länger wurde, beschloss ich, einen eigenen Artikel daraus zu machen, der eine etwas andere Meinung zum Thema beinhaltet.

Ja, es findet in der Tat eine Ungleichbehandlung zwischen „kleinen“ und „großen“ Vereinen statt, das will ich nicht bestreiten und insofern gehe ich mit schneider 3 noch Hand in Hand. Und nochmals ja: Die ganze Berichterstattung ist derzeit furchtbar aufgepeitscht und zum großen Teil zynisch und nicht zu ertragen. Aber das Urteil für Dresden sehe ich weniger kritisch als viele andere. Warum?

Weil der Verein zuvor bereits 28 Mal (!!!) verurteilt und 16 Mal abgemahnt wurde – jeweils in Form von kleineren oder größeren Geldbeträgen. Von den vielen ungeahndeten Vorfällen mal ganz abgesehen (zuletzt bspw. die vom Dresdener Capo angefeuerten „Juden! Juden! Juden“-Rufe Teile der Anhängerschaft beim Heimspiel gegen Frankfurt). Alles das scheint leider nichts genutzt zu haben.

Das jetzige Urteil kommt also nicht „plötzlich“ (Guru von der Kreuzeiche) oder aus heiterem Himmel, sondern es ist der (vorläufige) Höhepunkt einer langen Entwicklung.

Wenn man sich als Veranstalter nicht vollkommen lächerlich machen will, muss man irgendwann die Härte der Bestrafung erhöhen. Und der DFB (den man ansonsten gerne und heftig attackieren darf) hat nun entschieden, dass der 45. (!!!) klar nachgewiesene Vorfall das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Zu früh? Keineswegs.

Jetzt kann man natürlich darüber streiten, was Dynamo Dresden für seine Fans kann. Das ist ein eigenständiges Thema. Aber vor dem Hintergrund, dass man die Täter im Block oder auch außerhalb des Stadions dank Kadergehorsam der Szene i.d.R. leider nicht zu fassen bekommt, hält man sich an den Verein und bestraft die Täter damit mittelbar.

Natürlich werden dadurch auch die vielen normalen Fans Großteils zu Unrecht mit bestraft, quasi in Sippenhaft genommen. Aber es sind eben auch genau die Fans, die nichts gegen die Chaoten im eigenen Block oder Stadion unternehmen, insofern durch unterlassene Hilfeleistung also zum Teil mitschuldig sind. Hier herrscht eher Solidarität und Abschottung nach außen, anstatt die eigenen Idioten zur Vernunft zu bringen.

Und das gilt nicht nur für die Fans im Stehplatzbereich, sondern auch sonst wo im Stadion, wie die Bilder aus Rostock zeigen, in denen Teile des Stadions applaudieren, als Leuchtraketen erfolgreich in den St.Pauli-Block gefeuert wurden.

Die These, dass man nur mit den Fans reden müsse und es würde sich alles ändern, ist auch eine Urban Legend, die ich nicht mehr hören kann. Ich beobachte das in Frankfurt, wo seit Jahren mit Engelszungen mit den Ultras geredet wird. Ergebnis: Gleich null. Die Hools machen weiter, was sie wollen und die Ultra-Szene übt Kadergehorsamkeit.

Meine persönlichen Erfahrungen sind die, dass genau diejenigen, die zuvor Böller auf Unbeteiligte geworfen haben, in der U-Bahn randaliert haben oder sonstige Sachbeschädigungen begangen haben, die ersten sind, die beim Anblick von Polizisten rufen: „Fußballfans sind keine Verbrecher!“

Ob das Urteil gegen Dresden etwas ändert, weiß ich nicht. Aber es ist ein neuer Weg. Natürlich werden sich die unmittelbar Betroffenen in ihrer eigenen Underdog-Mentalität bestätigt fühlen. Aber ich hoffe, dass die große Masse aufgerüttelt wird und mehr Zivilcourage zeigt, weil sie sieht, wohin das ganze führen kann. Aktuelle Beispiele gibt es ja schon. Auch hier von Fans eines Vereins, der als gebranntes Kind gelten darf. Zufall? Vielleicht, aber ich glaube es nicht.

Das Argument, dass früher alles noch schlimmer war, ist an Dummheit nicht mehr zu unterbieten. Früher gab es auch mehr Verkehrstote oder Schwulenfeindlichkeit oder Vergewaltigungen oder oder oder. Was soll das bitte für eine Argumentation sein? Das hier und jetzt zählt.

Und dieses hier und jetzt führte in Dortmund zu „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“, so Freunde, die vor Ort waren und das ganze live miterlebt haben. Dresdner Fans in großer Zahl, allesamt uniformiert mit speziell für den Anlass gedruckten T-Shirts und in der Regel maskiert, attackierten Unbeteiligte und Polizisten. Und im Stadion ging es munter weiter. Alles mit Vorsatz, alles, wie es scheint, lange geplant und von einem nicht geringen Teil der Fans aktiv oder passiv unterstützt.

Eine harte Strafe? Sicherlich.
Eine gerechte Strafe? Diskussionswürdig.
Eine Strafe aus heiterem Himmel? Nein, nein und nochmals nein.

Bild: wikipedia.org

Über den Autor: Don

Mag Bier und Heavy Metal genau so gerne wie Eintracht Frankfurt. Bis 5 Uhr in der Bochumer Pinte anzutreffen. Spinnt.

Hoffenheim? Kein Kommentar!

Angeblich war es der große Skandal der im August noch jungen Saison. Bei vier Heimspielen der TSG Hoffenheim beschallten ein Stadion-Hausmeister und sein Komplize den Fanblock der Gästefans mit einer Schallkanone. Seitdem ermittelt der DFB und die Staatsanwaltschaft.

Während die Mühlen der Justiz bekanntlich langsam mahlen, ist man beim DFB normalerweise schnell bei der Hand mit einer Bestrafung. Kleines Beispiel gefällig? Dynamo Dresden spielte am 25.10. im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund, die harte Strafe folgte vier Wochen später: Ausschluss aus dem DFB-Pokal in der nächsten Saison. Fans des HSV brannten im September beim Auswärtsspiel in Bremen Bengalos ab, und benahmen sich Ende Oktober beim Pokal-Spiel gegen Eintracht Trier „daneben“, gestern wurde der Verein zu einer 7000 Euro hohen Geldstrafe verurteilt, wegen „fortgesetzten unsportlichen Verhaltens“. Das Thema Hoffenheim wird dagegen weiterhin beim DFB verhandelt, die Presse hat das Interesse an dem Fall längst verloren.

Man muss sich bei Google schon auf die vierte Seite der News klicken, um einen Artikel zu finden, der die berechtigte Frage stellt, wann der DFB in der „Causa Hoffenheim“ denn ein Urteil zu sprechen gedenke. Der kurze Artikel (Danke an Trainer Baade für den Hinweis) stammt vom 19. November und ist im Tagesspiegel erschienen. Autor Benjamin Apitius ruft darin noch einmal das Motiv für den Einsatz der Schallkanone ins Gedächtnis: Rache. Rache wird im StGB als niederer Beweggrund angesehen: „Wer einen Menschen aus niedrigen Beweggründen heraus tötet, ist als Mörder – und nicht nur als Totschläger – zu bestrafen.“ (Wikipedia). Aus Rache wurde also die mögliche Verletzung von Auswärtsfans in gleich vier Begegnungen in Kauf genommen, man könnte also sowohl von einem geplanten Vorgehenm wie von einem Widerholungstäter sprechen, der seine Taten mit einer hohen kriminellen Energie ausführte und zumindest über Mittelsmänner in höheren Spähren des Vereins verfügen musste, denn zu übersehen war die Kanone nicht:

„(…) bei einer Größe von 1,30 Meter, auf einen rollbaren Untersatz geschraubt und mit 60 Kabeln an das Stromnetz des Stadions angeschlossen.“ (Hervorhebung von mir)

In meiner Rechtsauffassung sind dies alles Gründe, bei denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat, dass zügig ein Urteil gefällt wird und eine angemessen hohe Strafe gegen Hoffenheim ausgesprochen wird. Doch was passiert beim DFB:

„Aus der DFB-Zentrale werden Telefonanrufe zu diesem Thema freundlich abgewehrt, bitte schreiben Sie doch eine E-Mail, heißt es von dort. Und auf eine E-Mail hin erhält man die Antwort: Kein Kommentar während eines laufenden Verfahrens! Aber was hat die TSG als Strafe zu erwarten? – Kein Kommentar!“

Und weiter:

„Zumindest scheint das Verhältnis zwischen Verband und Verein von den laufenden Untersuchungen nicht belastet zu sein. Denn erst vor ein paar Wochen wurde bekannt gegeben, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre EM-Vorbereitung in einem südfranzösischen Hotel absolvieren wird, das Dietmar Hopp gehört. Hätte man nicht erst zu einem Urteil kommen sollen, bevor man wieder gemeinsam Geschäfte macht? – Kein Kommentar!“

Gleiches Recht für alle gilt offenbar nicht, wenn es um die Gerichtsbarkeit des DFB geht. Weder was die Verfahrensdauer angeht, noch das Strafmaß. Es scheint dem DFB noch nicht einmal merkwürdig vorzukommen, mit dem Repräsentanten eines Vereins Geschäfte zu machen, gegen den noch ein laufendes Verfahren anhängig ist. Man stelle sich nur einmal vor, ein Staatsanwalt würde ähnlich verfahren, seine Karriere wäre am Ende. Das letzte bisschen Glaubwürdigkeit hat sich der DFB spätestens mit dieser Posse verspielt, wer mehr über die Verstrickungen von DFB und Hoffenheim erfahren möchte, dem sei press-schlag.de empfohlen.

Zitate aus „Lange nichts gehört„, erschienen am 19.11. im Tagesspiegel

Foto: cosmonautirussi/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Die Kinder des Steffen Simon

Steffen Simon ist Redaktionsleiter der Bundesliga-Sportschau beim Westdeutschen Rundfunk. Insofern gebührt ihm offenbar das Privileg, sich aussuchen zu dürfen, welche Spiele er kommentiert, und welche nicht. Am Samstag hatte Steffen Simon beim Derby in Dortmund Platz genommen und musste leider fürchterliche Szenen schildern.

Es war die 80. Minute des Spiels zwischen Dortmund und Schalke, die Borussia führte 2:0, als im Schalker Blog Bengalos gezündet werden. Simon kommentiert:

„Aber zehn Minuten vor Schluss muss Schiedsrichter Meyer das Spiel unterbrechen.“

und weiter:

„Der Grund sind Randale in der Schalker Fanzone mit Pyrotechnik.“

Abgesehen von der „unzulässigen Gleichsetzung von Pyrotechnik und Randale“ kann man Simon in diesem Fall vielleicht sogar folgen. Das Argument, Pyros dienten dem Ausdruck von Emotionen, verfängt hier nicht. Es sei denn, sie sollen auch Frustration zum Ausdruck bringen, denn eine wirkliche Chance hatte Schalke zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Aber Simon ist noch nicht fertig mit den „Randalierern“ und legt jetzt richtig los:

„Liebe Kinder, das sind die Männer, bei denen ihr euch bedanken könnt, und die auch Raul nicht beruhigt bekommt, wenn ihr leider keine Stehplätze mehr vorfindet, wenn ihr groß seid. Einige wenige machen die über die Jahre gewachsene Fankultur der Bundesliga kaputt.“

Sagt der Mann, dessen Redaktion für eine Sendung verantwortlich ist, die im Vorfeld der laufenden Saison mit einer fragwürdigen Plakataktion beworben wurde, die eben die Verbindung zieht, welche die Pyrotechniker in den Kurven gerne auch dem DFB verkauft hätten: Pyros=Emotionen. Schaut man mal ins Archiv wird einem nicht ganz klar, welche gewachsene Fankultur Steffen Simon meint. Vor 20 Jahren gehörte Pyrotechnik für Kommentator Thomas Wehrle, bei der WM 2010 ARD-Programmchef Fernsehen und Redaktionsleiter Fußball beim SWR, noch zum „Gesamtkunstwerk Betzenberg“ und zu einem echten „Fußballfest“. Und wir sprechen hier über eine Zeit, in der die heute vorherrschende Fankultur der Ultras in deutschen Stadien noch keine Rolle spielte. Und sich die Frage stellt: Was war zuerst da – die Fankultur oder Steffen Simon?

Simons Kommentar ist purer Populismus und gibt die Linie wieder, auf die sich die Sportschau in ihrer Berichterstattung geeinigt hat. Pyrotechnik hat in den Stadien nichts zu suchen, basta. Man folgt damit der Linie des DFB und erspart sich den Versuch, eine eigene Meinung zu bilden. Aber wäre das nicht die Pflicht eines Journalisten, dem Beruf, den Steffen Simon auf seiner Steuererklärung angeben dürfte? Aber wie Trainer Baade heute richtig bemerkt:

„Dass die Präsentation von Fußball nichts mehr mit neutralem Journalismus zu tun hat, weiß man nicht erst seit Steffen Simon bei jeder Torchance tausend kleine Tode stirbt (Darf man hinzufügen: Aber leider keinen echten? Nein, darf man nicht.), als hinge die nächste warme Mahlzeit der von ihm zu ernährenden Familie davon ab. Wir ahnen: In gewisser Weise ist dem sogar so. Vielleicht keine Mahlzeit, dann eben der nächste Porsche.“

Da ist es nur folgerichtig, dass Simon sich auf Stammtischniveau herab begibt und dabei auch noch so etwas wie Mitleid mit zukünftigen Generationen von Stadionbesuchern heuchelt.

Quelle (Zitate Steffen Simon): youtube.com

Bild: sportschau.de

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Die Schande von Dresden

Am Donnerstag, den 24. November hat das DFB-Sportgericht entschieden, Dynamo Dresden für die kommende Pokalrunde vom Spielbetrieb auszuschließen. Dieses Urteil ist in zweierlei Hinsicht ein Skandal. Einerseits bestätigt es die Tendenz, einige Clubs weniger streng zu bestrafen als andere. Andererseits bestätigt es den Eindruck, dass es der DFB hinsichtlich der teilweise vorherrschenden Gewaltproblematik im Fußball vorzieht, lieber medienwirksam anstatt nachhaltig zu agieren.

Eine „Geisterdebatte“

Das gefällte Urteil beruht auf den Vorfällen im Pokalspiel Borussia Dortmund gegen Dynamo Dresden. Den Fans aus Dresden wird, u.a., vorgeworfen, dass die Partie wegen ihres Einsatzes von Pyrotechnik mehrfach „kurz vor dem Abbruch stand“. Abgesehen von der unzulässigen Gleichsetzung von Pyrotechnik und „Hooligan-Terror“ (auf die bigotte Berichterstattung der Medien zu Pyrotechnik in Südeuropa und Deutschland will ich hier nicht erneut eingehen), fand ein Erklärungsansatz so gut wie keinen Eingang in die Berichterstattung: Monatelang hielt der DFB über 150 Ultragruppierungen hin, die sich in der Kampagne Pyrotechnik legalisieren! organisiert hatten. In dieser Zeit schafften es diese sogenannten „Chaoten“ einen ligaübergreifenden Konsens einzuhalten und mehrere Wochen lang keinerlei Pyrotechnik zu zünden. Am Ende wurde ihnen dann, nach zahlreichen Versprechungen und konkreten Gesprächen, eine kategorische Absage erteilt, und Reinhard Rauball erdreistete sich, von einer „Geisterdebatte“ zu sprechen. Dass die durchaus vorhandenen, moderaten Kräfte in den Kurven auf diese Weise nicht gerade gestärkt wurden, dürfte nachvollziehbar sein. Aber die Verlogenheit des DFB in dieser Frage lässt sich natürlich deutlich leichter unter den Teppich kehren als die Bilder brennender Bengalos, mit denen Quote gemacht wird, während man sie im gleichen Atemzug verurteilt.

Gewalt und Tote

Und auch in der Begründung des Urteils selbst finden sich zwei mindestens bemerkenswerte Aussagen:

„Nie war die Gewalt in unseren Fußballstadien größer als in diesem Jahr.“ – Eine Behauptung, die sich nicht nur statistisch widerlegen lässt, sondern angesichts mancher Anekdote aus den 80ern und 90ern gänzlich geschichtsvergessen erscheint. Es ist eine andere Qualität der Gewalt, wenn man am Bierstand verprügelt wird, weil man mit dem falschen Dialekt bestellt. Abgesehen davon, dass es die meisten Verletzten in den Stadien durch den Einsatz von Pfefferspray gibt.

„Tote gab es noch nie in unseren Stadien. Wenn es so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt.“ – Der letzte Fan, der in akuter Lebensgefahr schwebte, war 15 Jahre alt und wurde beinahe von einem Polizisten vom Oberrang des Niedersachsenstadions geworfen. Wohlgemerkt: Bei einem unberechtigten Polizeieinsatz, der ohne Ergebnis blieb.

Zweierlei Maß

Zudem steht die Schwere des Urteils in keinem Verhältnis zu anderen Urteilen. In Dortmund wird das Spiel „fast abgebrochen“ und Dresden wird vom DFB-Pokal ausgeschlossen. In St. Pauli wird das Spiel nach dem Bierbecherwurf auf einen Schiedsrichter-Assistenten abgebrochen und der Verein wird mit einem Geisterspiel bestraft. Im Westfalenstadion findet eine der größten Pyroaktionen der letzten Jahre statt und Dortmund muss 8.000 € zahlen. Rostock zündet Pyrotechnik in Frankfurt und die Eintracht wird zu 20.000 € Geldstrafe verurteilt. Anstatt gemeinsam mit den betroffenen Vereinen Lösungen zu erarbeiten, bleiben die Fanprojekte unterfinanziert und es wird mit dem Knüppel auf eine ganze Fanszene und einen ganzen Verein eingeprügelt. Anstatt den Dialog mit den Fans zu suchen, werden diese vom DFB entweder verarscht oder gar nicht erst eingeladen. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wächst beim DFB von Tag zu Tag. Man kann nur hoffen, dass das ganze Geld, das der DFB in das Marketing seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung steckt, irgendwann verwendet wird, diese tatsächlich einmal wahrzunehmen.

Gesamtgesellschaftliche Verantwortung

Tatsächlich ist das Urteil eine Kapitulation. Ja, Gewalt ist eine Begleiterscheinung des Fußballs. Gewalt ist allerdings eine Begleiterscheinung der gesamten Fußballgeschichte, ohne dass diese, generell betrachtet, überhand nehmen oder eine neue Dimension erreichen würde. Wenn man dann allerdings hört, dass in Dortmund sogar die Ordnungshüter vor einigen wenigen Dresdnern kapitulierten, sollte man diese Extremfälle nicht durch Ausschlüsse unter den Teppich kehren, sondern eine gemeinsame, zivilgesellschaftliche Lösung erarbeiten. Vielleicht sollte man es am Anfang aber zunächst mit V-Leuten in den Ultragruppen versuchen, die positiven Ermittlungsergebnisse sollten sich alsbald einstellen. Wie das geht, hat zuletzt ja der Verfassungsschutz eindrucksvoll bewiesen…

Bild: wikipedia.org

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

In den Herzen Berlins – Update –

Als ich im Juni nach Berlin gezogen bin, fiel mir kurze Zeit später das Sonderheft der Fußball-Woche in die Hände. Bis ins letzte Detail werden hier Kader und Saisonplanungen aller Berliner Vereine aufgeführt, bis runter in die Kreisklasse. Bald war im Freundeskreis die Entscheidung getroffen, in ein oder zwei Jahren so viele Stadien, Kampfbahnen und Sportplätze wie möglich zu besuchen. Raus aus den Arenen, ran an den Rasen! Wir wollen die Herzen Berlins erkunden und hoffen dort zu finden, was wir in den großen Stadien der Bundesrepublik vermissen: Seele, wahre Leidenschaft und Fußballsport ohne große Sperenzien.

Den Anfang machte vor einigen Wochen der Schlager Berliner SC : Hertha 03 Zehlendorf (Berlin-Liga), die Klatsche (0:5), die sich das Heimteam am wunderschönen Hubertussportplatz abholte, soll hier aber nur eine Randnotiz sein. Die Erinnerungen sind doch inzwischen allzu sehr verblasst.

Letztes Wochenende umgingen wir direkt unsere selbstauferlegte „Amateur-Pflicht“ und besuchten das Spiel SV Babelsberg 03 : SV Darmstadt 98 (3. Liga). 2.199 Zuschauer im Schnitt und die minimal linksorientierte Anhängerschaft der Babelsberger waren für uns aber Gründe genug, bis nach Potsdam zu fahren. Zudem hatten die Babelsberger mit Darmstadt einen Traditionsverein zu Gast, der sich so langsam wieder auf dem Weg nach oben zu bewegen scheint.

Kaum am S-Bahnhof angekommen, empfing uns auch schon die geballte Staatsmacht: Zwei sympathische (sic!) Uniform-Träger in ihren frühen 50ern wiesen uns den Weg: „Der Bus is scheiße, lauft lieber! Vielleicht werdet ihr ja begleitet.“ Unser Fußweg führte uns durch beschauliche Babelsberger Wohnhäuser, Fußball auf dem Dorf. Und plötzlich dann dieser magische Moment, wie er sich inzwischen leider nur noch selten einstellt: Hinter einer bemalten Häuserfront tauchen die Flutlichtmasten des Karl-Liebknecht-Stadions auf. Das Stadion ist eines der schöneren, die ich bisher besucht habe: ein reines Fußballstadion, wenig Platz zwischen Zaun und Auslinie, eine überdachte Haupttribüne mit Sitzplätzen und ansonsten Betonstufen. Ein Oldschool-Ground wie er im Buche steht.

Das Spiel selbst befand sich allerdings auf überschaubarem Niveau, mit leichten Vorteilen für Darmstadt. Eine der Angriffsbemühungen der Lilien wurde in der 37. Minute schließlich per Foul gestoppt, Elfemter und gelb! Marcus Steegmann „lies sich diese Chance nicht nehmen“. Die ohnehin eher durchwachsene Stimmung befand sich nun auf einem Tiefpunkt. Nur die beiden älteren Herren, die ihren Platz vor uns am Zaun nur ein einziges Mal, zum Bierholen natürlich, verließen, moserten mit der gleichen Intensität weiter und gelangten sich auch weiterhin in schöner Regelmäßigkeit in die Haare.

Die zweite Halbzeit gestaltete sich dann etwas spannender: kopflose Angriffsbemühungen auf beiden Seiten, plötzlich Rudelbildung, zwei Rote Karten (eine gegen Darmstadt, eine gegen Babelsberg) und, drei Minuten später, eine weitere Hinausstellung. Diese eingesprungene Vinnie-Jones-Gedächtnisgrätsche mit Anlauf ließ dem Schiedsrichter aber auch keine andere Wahl. Und tatsächlich, es ging ein Ruck durch die Babelsberger Mannschaft. Kick and Rush ersetzte die Brechstange (oder umgekehrt? Ich weiß es nicht mehr) und in der 84. Minute stocherte Anton Makarenko einen zuvor ungefähr tausendmal abgeprallten Ball über die Linie nahm sich Anton Makarenko ein Herz und jagte die Kugel aus 22 Metern flach ins rechte Eck des Darmstädter Tores. Wir, inzwischen überzeugt vom Bier und unseren neuen Freunden von der lokalen Antifa, hingen am Zaun und brüllten unseren Jubel über den Rasen. Wenigstens einen Punkt gerettet!

Unser weiterer Weg führte uns im Anschluss an das Spiel noch in den Fanladen in der Nähe des Stadions. Der schwarze Block, junge Mütter mit ihren Kindern, einige Rentner und Bier für 1,20 € überzeugten uns nun gänzlich: Babelsberg ist ein hochgradig sympathischer Verein, irgendwo zwischen Provinz und Großstadt, aber einer hochgradig freundlichen Atmosphäre. Auf dem Rückweg trafen wir erneut die beiden Kollegen von der Polizei, die den S-Bahnsteig immer noch eisern überwachten. Die Jungs wollten alles über das Spiel wissen und ob Babelsberg „wieder gezündelt“ hätte. Denn: „Auch wenn wir’s eigentlich nicht sagen dürfen: Pyro sieht ja schon geil aus.“

3. Liga, 2011/2012, 17. Spieltag, Samstag, 19. November, SV Babelsberg 03 : SV Darmstadt 98 – 1:1 (0:1). Karl-Liebknecht-Stadion, 2.033 zahlende Zuschauer.

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Die Menschlichkeit des Theo Zwanziger

Wer bislang völlig taub und blind durchs Leben ging, hat es wahrscheinlich endlich in den vergangenen Tagen und Wochen bemerkt: Dr. Theo Zwanziger ist nicht nur ein unglaublicher Demagoge, sondern auch ein echtes Desaster für den deutschen Fußball. Das desolate Handeln des DFB-Präsidenten im Fall Babak Rafati stellt in diesem Zusammenhang nur noch einen weiteren Tiefpunkt dar.

Ein Schiedsrichter begeht einen Suizidversuch und logischerweise weiß zunächst einmal keiner warum. Und das ist auch gut so. Die Gründe von Babak Rafati gehen nämlich die Öffentlichkeit überhaupt nichts an. Das einzige, was die Leute wissen müssen ist, dass das Spiel abgesagt wird und damit ist das Thema auch erst einmal erledigt.

Dass sich die elende Boulevardjournalisten-Meute dann die Informationen beschafft und wenige Minuten nach Entdeckung der Tat schon die ersten Details bekannt werden, muss man wohl hinnehmen. Um das Geschäftsgebaren von Bild und Co. soll es hier auch überhaupt nicht gehen. Aber dass Theo Zwanziger, seines Zeichens oberster Vorgesetzter von Babak Rafati und daher mit einer besonderen Sorgfaltspflicht für seine Mitarbeiter ausgestattet, sich allen Ernstes nach Köln begibt, um dort eine Pressekonferenz zu geben, die wirklich jeder Beschreibung spottet, zeigt die komplette Perversität seiner Führung des Verbands DFB.

Rücksichtnahme à la Zwanziger

Wenn man keine Ahnung hat, ist es manchmal besser, einfach mal die Fresse zu halten. Doch was macht Theo, Wächter über Fußballs Gnaden? Er sagt, dass sich alle Spekulationen verbieten würden und dass man Rücksicht nehmen müsse, um im gleichen Atemzug die wildesten Spekulationen zu verbreiten: Der Druck auf die Schiedsrichter sei zu groß, das wäre der Grund für den Suizidversuch. Natürlich der mediale Druck. Denn von dem Druck, den der DFB auf die Schiedsrichter über Bewertungen und Ranglisten aufbaut, war in diesem Zusammenhang logischerweise keine Rede. Minutiös schildert Zwanziger die Situation und den zeitlichen Ablauf im Hotel. Details wolle er allen ersparen, aber der Schiedsrichter habe in der Badewanne gelegen und es habe „viel Blut gegeben“. Auch von „Notizen“ im Hotelzimmer ist die Rede und auch über die Familiensituation informiert der DFB-Präsident sehr gerne: „Die Lebensgefährtin von Babak Rafati ist seine engste Angehörige.“

Wie verlogen kann man sein? Sich bestürzt und tieftraurig über den Suizidversuch zeigen, gleichzeitig bereitwillig über die  Details informieren und schon einmal die vermeintlichen Beweggründe offenlegen. Damit tut man natürlich dem Geschädigten einen echten Gefallen. Die Medien sprangen gerne auf den Zug aus. Denn es passte ja auch so schön ins Bild, in die so oft gezeichnete Linie Enke-Miller-Rangnick. Da war doch ein Rafati, der sich aufgrund des mörderischen Drucks der Bundesliga versucht, das Leben zu neben nur ein weiterer willkommener Mosaikstein in einer bescheuerten Argumentationskette. Jetzt ist allen Ernstes davon die Rede, die Schiedsrichter-Noten im Kicker abzuschaffen, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass Rafati private Gründe für sein Handeln hatte.

Emotionen schaffen Fakten

Aber die Moralmaschine war schon wieder heißgelaufen. Munter wurden Zusammenhänge gesucht konstruiert und Verbindungen geschaffen, wo keine sind. Sogar von einer eigentlichen Qualitätssendung wie Sport Inside, die den Umgang mit dem Schiedsrichter aus dem Freiburg-Spiel verurteilte. Sinngemäßes Zitat: „Wenige Stunden nach dem Selbstmordversuch von Schiedsrichterkollege Babak Rafati wurde Wingenbach von Spielern und Zuschauern massiv angegangen.“ Man möchte diesen Journalisten an die Stirn klopfen und „Hallo, jemand zuhause?“ (H. Strunk) zurufen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Für einen Bericht, der ordentlich auf die Tränendrüse drückt und Empörung für diesen unmenschlichen Fußball wecken soll, werden halt auch beim WDR gerne Fakten missachtet. Die Quote nimmt man ja gern mit. Aber die Absurdität ist schon bemerkenswert. Folgendes Szenario: Angenommen, ein Mitarbeiter eines DAX-Unternehmens begeht einen Selbstmordversuch und schreibt in seinem Abschiedsbrief, dass seine Frau ihn verlassen habe und dass er zudem nach dem Tod seiner Eltern auch keinen Grund mehr sähe, weiterzuleben. Wer würde auf die Idee kommen und davon sprechen, dass der Druck auf der Arbeit dazu geführt hätte und dass man jetzt auch wirklich einmal die Geschäftspraktiken dieses Unternehmens zu untersuchen habe?

Zwanzigers Realität

Doch zurück zu Zwanziger, dem es gelingt, jede noch so starke Verlogenheit spielend zu toppen. Der DFB-Präsident spricht immer gerne von Menschlichkeit, Rücksichtnahme und Fairness. Davon, dass der Fußball nicht alles ist, dass man Druck von den handelnden Personen nehmen müsse, dass vieles im Leben doch wichtiger wäre. Gerade nach den Fällen Enke, Rangnick und Rafati wird eben diese Menschlichkeitskeule gerne geschwungen. Alles völlig richtig. Doch in der gelebten Realität von Theo Zwanziger sieht es immer etwas anders aus. Oder bin ich der einzige, der sich noch an den geradezu brutalen Umgang mit seinem Vize-Präsidenten Rainer Koch erinnert, dem – nachdem dieser  sich wohl auf Geheiß Zwanzigers mit Manfred Amerell und Bischof Huber getroffen hatte, um in der Schiedsrichter-Affäre zu schlichten – er in Form einer Pressemitteilung massiv eins überzog. Das Ende vom Lied: Koch musste sich allen Ernstes entschuldigen und  zudem noch zahlreiche Kompetenzen abgeben. Ist das der menschliche Umgang, den Zwanziger meint? Mitarbeiter öffentlich zu demütigen? Ist das ein Vorgehen, das Druck von den handelnden Personen nimmt?

Theo Zwanziger hat sich in seiner Amtszeit schon so viel Ungeheuerliches geleistet, dass jede einzelne Episode eigentlich zwingend einen Rücktritt nach sich ziehen müsste. Angedroht hat er es ja lächerlicherweise schon oft. Wenn es ihm jetzt wirklich endlich ernst ist mit der Menschlichkeit im Fußball, wäre spätestens jetzt der Zeitpunkt für den Rücktritt gekommen.

Bildquelle: © Manuel Heinrich / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-2.5

Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.

Zurück zum Sport…

500 mal 5 Freunde im Abseits – keine so schlechte Bilanz für etwas mehr als vier Jahre im Netz. Am 15.05.2007 ging der erste Artikel online, weil unsere ursprüngliche Idee, eine Art „Anti-DSF-Fußballstammtisch„- TV-Sendung auf die Beine zu stellen, aus unerfindlichen Gründen scheiterte… Was blieb war der Arbeitstitel der Sendung – „5 Freunde im Abseits“ – und der unbedingte Wille, alles, aber wirklich alles anders und besser zu machen als andere Blogs und die mediale Berichterstattung sowieso.

Ein Spielbericht des Duells zwischen Real Madrid und Espanyol Barcelona war unser erstes Lebenszeichen, unsere Erfüllung haben wir aber erst in der zunehmenden Unterhaltungssucht der Fußballberichterstattung gefunden. Seither ein willkommener Sparringspartner, dessen Entwicklung in den letzten vier Jahren ebenso rasant nach unten ging, wie sich der Fußball zu einem „Theater für alle“ – Männer, Frauen, Kinder – entwickelt hat. Selbst beim Zahnarzt werde ich inzwischen von der Sprechstundenhilfe auf das gestrige Europapokalspiel angesprochen. Das kann selbst der Kaiser Franz nicht gewollt haben, der – mit Unterstützung der Titanic – die WM 2006 nach Deutschland brachte.

Womit wir bei der entscheidenden Zäsur der letzten Jahre angelangt sind. Die Folgen des Fußballhypes im Zuge des Sommermärchens 2006 kann man wieder und wieder in diesem Blog nachlesen: Die zunehmende Entfremdung zwischen Ultras, Fans und Vereinen, die sich 2011 auch in handfesten Zusammenstößen zwischen Fans, Polizei und anderen Fans manifestiert. Gewalt scheint hier das letzte Mittel zu sein, um doch noch etwas von dem Fußball zu retten, den es niemals gab. Die Zustände der 80er Jahre will kein Mensch zurück haben, von den 90er Jahren, in denen Fußball zunehmend als Kultur betrachtet wurde, sind wir aber auch meilenweit entfernt.

Inzwischen spricht jeder ungeniert vom „Produkt Fußball“, dessen massenhafter Verkauf durch eine zunehmende Normierung geebnet werden soll: Austauschbare Stadionnamen, austauschbare, Arenen mit dem Flair einer zu groß geratenen Turnhalle, austauschbare Gesänge, austauschbares „Catering“, austauschbare Währungen, Tor-Jingles, die Inszenierung vor, während und nach dem Spiel. Dass die Mannschaft nach dem Spiel zu den Fans läuft ist heute ebenso fester Bestandteil der Inszenierung, wie das immerwährende und austauschbare Singen der Ultras, die damit unbewusst ihren eigenen Beitrag zur Normierung geleistet haben. Und jetzt verzweifelt versuchen aus diesem Teufelskreis herauszukommen, allerdings um den Preis, als „Chaoten“ abgestempelt zu werden, die den Fußball kaputt machen. Die Frage ist nur welchen Fußball…

Damit einher geht eine normierte, rein affirmative und kritiklose Berichterstattung, der weder an Differenzierung liegt, noch an Information. Was hierzulande das Werk von Chaoten ist, gilt südlich der Alpen als südländische Atmosphäre. Oder wird wie im Fall der ARD benutzt, um mit emotionalen Bildern für das Produkt „Sportschau“ zu werben. Unterhaltung ist das oberste Ziel, das aus einer der besseren Sportsendungen im Fernsehen die mittlerweile unerträglichste gemacht hat. Die Rede ist von unserem Liebling, dem Aktuellen Sportstudio.

So könnte man weiter lamentieren, kommt aber doch zum gleichen Schluss: Fußball, wie ich ihn kennen gelernt habe, gibt es nicht mehr. Die bisweilen obsessive Beschäftigung mit Fußball ist bei mir einer Gleichgültigkeit gewichen, die dazu führt, dass ich zwischenzeitlich ganze Spieltage verpasse. Weil ich darin nicht mehr das finde, was mich unter anderem dazu motiviert, diesen Blog mit Artikeln zu füttern. Stattdessen Ungewissheit, wann eine Partie angepfiffen wird, Ungewissheit beim Kartenkauf. Schlechte Wurst, schales Bier, Einlaufkids, Eröffnungsfeiern, Separees für die Reichen, Nichtraucherblocks, von all dem einfach viel zu viel, was für mich noch nie zum Fußball gehört hat. Die Erkenntnis, dass die 90 Minuten auf dem Rasen Inszenierung genug sind (und sich dankenswerterweise standhaft der Normierung widersetzen), ist im Hype verloren gegangen. Ist für mich aber nach wie vor, der einzige Grund ein Stadion zu betreten.

Hört sich in der Masse vielleicht nach einem Schlussstrich unter die Bloggerkarriere an, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Es soll und muss hier weitergehen, um des Fußballs Willen, um der 5 Freunde Willen. Für Stehplätze! Für Alkohol im Bier! Freiheit der Bratwurst! Zurück zum Sport!

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

Helmut Markwort vom Focus

Fakten, Fakten, Fakten über Ultras

Ich bin tatsächlich erschüttert, was mir eigentlich selten passiert, wenn ich einen Bericht oder einen Artikel zum Thema Fußball lese. Aber was der Focus diesen Mittwoch an „Journalismus“ abgeliefert hat, nimmt tatsächlich eine neue Dimension an, im Gegensatz zu vielem Anderen in der jüngeren Vergangenheit.

Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, erneut ein Fass aufzumachen und zu fordern, die aktuelle Pyro- und Gewaltdebatte zu trennen, auf die ungenaue und unzureichende Berichterstattung über Ultras und ihr Umfeld hinzuweisen oder gar das dümmliche Gelalle einzelner Interessensvertreter zu verurteilen. Dies wurde an anderer Stelle schon ausführlich und wahrscheinlich auch besser geleistet.

Man kann Herrn Watzke, der mir bisher eher positiv als negativ aufgefallen war, nur wünschen, dass er falsch zitiert wurde, als er angeblich sagte:

„Einige unserer Ultras, die oft kritischer gesehen werden, als sie sind, waren zuletzt auf Einladung des Vereins in Auschwitz. Dort haben alle vor Augen geführt bekommen, wo Gewaltexzesse hinführen“

Sich für diesen Satz sich nicht allein beim Lesen schon zu schämen fällt mir schwer. Allein auf die Idee zu kommen, den Massenmord an Millionen europäischer Juden in einem Atemzug mit angeblich zunehmender Stadiongewalt zu nennen, ist schlicht nicht zu fassen. Bestenfalls ist das geschichtsvergessener Populismus, schlimmstenfalls zynisch, schamlos und dumm. Die Shoa war kein spontaner Gewaltexzess Einzelner, die in der Emotion über die Stränge geschlagen haben, sondern die industrialisierte Vernichtung unzähliger Existen

zen.

Schlimmer ist dann nur noch die Überschrift des Artikels, bei dessen Formulierung der zuständige Redakteur offensichtlich jeglichen gesunden Menschenverstand hat vermissen lassen:

Zeichen gegen Gewalt – Dortmund schickt Ultras nach Auschwitz

Abgesehen davon, dass diese freiwilligen Bildungsfahrten von den Ultras und dem Fanprojekt des BVB selbst organisiert werden, ist diese Überschrift einfach ein Skandal (meine Beschwerde beim Deutschen Presserat ist anhängig). Eine derartige Entgleisung menschlichen, emotionalen, empathischen und Vernunftsversagens ist mir im Bereich „Journalismus“ bisher noch nicht untergekommen.

Wie gesagt, ich bin fassungslos.

Zum Focus-Artikel (auf eigene Gefahr)

Bildquelle

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.