FC Zestafoni: Die georgische Provinz in Europa

Unser Korrespondenten-Netz erstreckt sich auch in Zeiten von „online“ über den ganzen Erdball. Diesmal berichtet Gastautor BizDanIshVili aus Georgien:

Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Und da für mich der Besuch eines Euro-League-Qualispiels des sagenumwobenen FC Zestafoni in Tifils eine solch ungewöhnliche Situation darstellt und es dazu noch ein ziemlich außergewöhnliches Spiel werden sollte, lass ich mich (der sonst ausschließlich per Brieftaube mit der Außenwelt kommuniziert) hiermit auch mal zu einem Blogbeitrag hinreißen.

Der FC Zestafoni ist in der vergangenen Saison erstmals georgischer Meister geworden – keine ganz schlechte Leistung für ein Kaff mit 26.000 Einwohnern in der Nähe von Kutaisi, das selbst dem Lonely Planet keine Erwähnung Wert ist. Allerdings sieht man sich offensichtlich nach der Meisterschaft selbst nicht (mehr) als Underdog und war aufgrund des denkbar knappen Scheiterns in Champions-League-Quali gegen Sturm Graz (1:1; 0:1) so enttäuscht, dass der Meistertrainer kurzerhand das Handtuch warf. Die Qualifikation für die Euro League-Gruppenphase wurde also ohne Trainer angegangen.

Das Spiel wurde, vermutlich aufgrund von UEFA-Regularien, im Boris-Paitschadse-Stadion des georgischen Rekordmeisters Dinamo Tiflis ausgetragen. Eine riesige Sowjet-Betonschüssel aus den Siebzigern (hieß damals natürlich Wladimir-Iljitsch-Lenin-Stadion), das von außen nach mehr als 55.000 Plätzen aussieht. Das Zentral-Stadion Zestafoni mit seinen 8.000 Plätzen wird dagegen wahrscheinlich kaum für europäische Wettbewerbe zugelassen sein. Und da man sich in Georgien vor allem für Rugby interessiert, muss man sich auch für Spiele in europäischen Wettbewerben nicht frühzeitig um Karten kümmern. Und so kamen wir zehn Minuten vor Anpfiff am Stadion an, um uns Karten zu besorgen. Glücklicherweise war ich in Begleitung von Menschen mit Lokalkompetenz unterwegs, denn die Verkaufsstellen – winzige Löcher in der Stadionwand, die von anstehenden Menschen verdeckt wurden – hätte ich niemals gefunden. Die Karten für 5 Lari (etwa 2 Euro) mussten in dieser georgischen Schlange, die eher als Rudel mit Faustrecht zu bezeichnen ist, allerdings auch erst mal erkämpft werden. Pünktlich zum Anpfiff betraten wir aber dennoch das ehemals drittgrößte Stadion der Sowjetunion, um uns ein Bild von der Konkurrenzfähigkeit des georgischen Fussballs zu machen.

Gegner des FC Zestafoni war/ist der glorreiche FC Brügge, aktueller Tabellenführer der belgischen „Jupiter League“ und 13-facher belgischer Meister, dem die Region noch aus der vorherigen Runde bekannt ist. Da setzte man sich nämlich gegen den FK Karabakh Agdam aus Aserbaidschan durch (4:1; 0:1). Auf der einen Seite also ein westeuropäischer Traditionsclub (Gründung 1891), der in den Siebzigern sowohl im UEFA-Cup als auch im Pokal der Landesmeister das Finale erreichte und in den 2000er Jahren immerhin schon dreimal in der Champions League gespielt hat. Und auf der anderen Seite ein 2004 auf von dem Besitzer des Stahlwerks Zestafoni gegründete georgische Provinzclub, der ohne seinen besten Spieler antrat. Denn die Mannschaft von Zestafoni hatte Buba Daushvili nach Bekanntwerden seines bevorstehenden Wechsels nach Lemberg sofort aus der Mannschaft geworfen, obwohl er noch bis Saisonende für Zestofoni hätte spielen können. Über die Frage, wem in diesem Duell die Favoritenrolle zukam, muss man daher wohl nicht lange diskutieren.

Und exakt so begann das Spiel auch. Es war hinsichtlich taktischer Disziplin und technischen Fähigkeiten doch ein deutlicher Unterschied zwischen den Teams auszumachen, der nach einer kurzen Abtastphase zu einer Reihe sehr guter Torchancen für den FC Brügge führte. Beim FC Zestafoni konnte man die Abwesenheit eines Trainers deutlich spüren, z.B. wenn sich etwa Spieler der Mannschaft nach einem Fehlpass lieber gegenseitig die Meinung sagten, als den nun ballführenden Spieler des Gegners zu attackieren. Kurz: die Führung für den FC Brügge schien eine Frage der Zeit und kam dann auch in Form eines Doppelschlags in der 27. und 31. Minute. Der nigerianische Nationalstürmer Joseph Akpala (15) – auch sonst überragender Mann auf dem Platz – erzielte den ersten Treffer und der isrealische Neuzugang Lior Rafaelov (8) legte wenig später nach.

Die bislang mäßige Stimmung im mäßig gefüllten Stadion kippte nun vollends. Bereits zuvor hatte man gemerkt, dass nur wenige wirkliche Anhänger des FC Zestaponi den Weg nach Tiflis auf sich genommen hatten und die meisten Zuschauer eher des Spektakels wegen gekommen waren. Sofort nach dem 0:2 wurde das durch laute „Dinamo, Dinamo“-Rufe deutlich. Der Provinzclub wurde von den Haupstädtern jetzt nur noch belächelt. Die Spieler antworteten mit teils aberwitzigen Fehlpässen, vom Publikum mit höhnischem Applaus quittiert. Nach einem besonders miesen Spielzug des FC Zestaponi verließ die komplette Reihe vor uns, aufgrund einer wohl ausgiebigen nullten Halbzeit wankend und schimpfend, das Stadion (im Stadion gibt es keinen Alkohol, was von einem Großteil des Publikums offensichtlich durch intensives Vorglühen kompensiert wurde).

Diese Atmosphäre führte dazu, dass niemand – inklusive der Spieler beider Mannschaften – den FC Zestafoni noch ernst nahm und so vertändelte der FC Brügge noch vor der Pause eine Reihe von Torchancen, die für ein 5:0 oder 6:0 zur Pause ausgereicht hätten. Dementsprechend fielen dann auch unsere Halbzeitprognosen des Endergebnisses aus: sie reichten von 4:1 bis 5:0 für den FC Brügge.

Als wären sie fest entschlossen, unsere Prognosen zu bestätigen, spielten die jetzt komplett lustlos wirkenden Spieler von Zestafoni den Anstoß zur zweiten Halbzeit gleich mal direkt zum gegnerischen Torwart. Allerdings erst im zweiten Versuch. Dann wie auch schon beim Anstoß nach dem 0:2 wurde dieser erstmal falsch ausgeführt, wie auch diverse Einwürfe von Zestafoni abgepfiffen werden mussten. Weiterhin gab also Brügge den Ton an, weiterhin vergaben sie hundertprozentige Torchancen auf teilweise lächerliche Art und Weise. Das Spielt hatte nun den Charakter einer Katerkicks am Sonntag im Park. Besonders deutlich wurde das am Kapitän des FC Zestafoni, Tornike Aptsiauri, dem man einen leichten Hang zur Selbstdarstellung nachsagen kann. Die Nummer 55 auf dem Rücken, hielt sich dieser technisch mit Abstand beste Spieler der Georgier an keinerlei taktische Vorgaben (gab es aufgrund der Abwesenheit des Trainers ja vermutlich auch nicht): er wechselte die Seiten nach Lust und Laune (immer riesige Lücken hinterlassend) und spielte ausschließlich mit Außenrist und Hacke.

So plätscherte das Spiel unaufgeregt und unattraktiv vor sich hin und die Zuschauer konzentrierten sich auf das Kauen von Sonnenblumenkernen oder auf ihre Planungen für die dritte Halbzeit – bis zur 59. Minute. Da führte ein erstaunlich durchdachter und gut ausgespielter Spielzug zum 1:2 Anschlusstreffer durch Zestafoni-Stürmer Gelashvili (9). Plötzlich doch ein Hauch von Stimmung und Hoffnung im Stadion, doch so recht traute noch niemand dem Ganzen. Gelashvili feierte sein Tor komplett ohne die Mannschaftskameraden und auch die Zuschauer waren eher ungläubig als euphorisiert – zu deutlich war der Klassenunterschied bislang gewesen. Aber den FC Brügge schien das Tor etwas aus der Bahn zu werfen und so spielte plötzlich nur noch der FC Zestafoni. Insbesondere Kapitän Aptsiauri (55) und der mit Abstand schlechteste Mann der ersten Halbzeit, Shota Grigalashvili (13), leiteten nun aus dem Mittelfeld einige gut aussehende Angriffe ein. Und einer dieser Angriffe führte dann in der 65. Minute zum Ausgleich, der ein Fall für das Tor des Monats wäre, wenn dieses Spiel denn jemand in Deutschland gesehen hätte. Der bislang nur in Sachen Hauptbehaarung, Gestik und Eigensinnigkeit an Arjen Robben erinnernde Djaba Dvali (11) wurde am Sechzehner schön angespielt und hielt aus der Drehung aus 20 Metern einfach drauf. Dabei gelang ihm ein wahnsinniges Geschoss, das am rechten Innenpfosten landete und von dort im Tor. Der belgische Torwart konnte nicht mal zucken.

Das Stadion schien plötzlich zu platzen. Binnen Sekunden wurden die gelangweiltesten Dinamo-Anhänger zu glühenden Zestafoni-Fans und im Stadion kam jetzt eine wirklich euphorisch-aggressive Stimmung auf. Und der FC Zestafoni ließ sich davon nach vorne peitschen und spielte zielstrebige und präzise Angriffe, die kein Zeitzeuge der ersten Halbzeit je für möglich gehalten hätte. Gute Einwechslungen belebten das Spiel zusätzlich, vor allem der junge Alex Benashvili (7) leitete über die rechte Seite viele Angriffe ein und schlug ziemlich gefährliche Flanken.

Mitten in diese Drangphase schlich sich aber eine völlig unnötige Disziplinlosigkeit in Form eines absichtlichen Handspiels, das zu einem Freistoß für Brügge aus gefährlicher Distanz führte. Und wie es so oft ist, resultierte aus der Freistoßflanke ein Gewühl im Strafraum, aus dem Carl Hoefkens in der 73. Minute das 2:3 für Brügge erzielte. Auf das gesamte Spiel gesehen, bis dahin vielleicht noch ein gerechter Zwischenstand, aber in dieser Phase völlig unverdient. Dementsprechend ernüchtert war das zuvor lärmende Publikum und es wurde kurz vollkommen still. Dann aber war die Reaktion vollkommen anders als nach dem letzten Tor: anstatt sich mit „Dinamo, Dinamo“-Rufen vom georgischen Team zu distanzieren, wurde es jetzt weiter angefeuert: „Zestafoni, Zestafoni!“. Das Team hatte sich die Unterstützung des Publikums mittlerweile verdient.

Und dementsprechend spielte es auch nach dem Gegentor weiter wie zuvor und kam zu etlichen guten Torchancen. Eine davon führte dann zehn Minuten später zum mittlerweile verdienten Ausgleich. Kapitän Aptsiauri (55) flankte von rechts scharf vor das Tor, Torjäger Gelashvili (9) nahm den Ball gut runter und erzielte per Flachschuss aus der Drehung das 3:3. Danach blieben mit Nachspielzeit noch etwa zehn Minuten, die weiterhin vor allem Zestafoni bestimmte und auf den Siegtreffer drängte. Das führte aufgrund der teilweise undisziplinierten Defensivarbeit zu dem einen oder anderen Konter der Belgier, aber Torwart Kvaskhvadze (89) musste nur einmal parieren. Zestofoni konnte noch einige gefährliche Flanken in Richtung Brügger Tor schlagen und hätte mit etwas Glück den Siegtreffer erzielen können, aber am Ende blieb es beim gerechten 3:3 nach zwei vollkommen unterschiedlichen Halbzeiten.

So würde dem FC Zestafoni nächste Woche ein 1:0-Sieg in Brügge zur sensationellen Qualifikation für die Gruppenphase der Europe League reichen, den ich der Mannschaft von Herzen gönnen würde. Allein mir fehlt der Glaube…

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen

Gestern Abend übertrug die ARD das Freundschaftsspiel Deutschland – Brasilien und der 19-Jährige Mario Götze hat ein überragendes Spiel abgeliefert. Er war in der letzten Saison schon extrem gut und scheint diese Leistung ohne Probleme fortsetzen zu können. Er ist wohl das, was man einen Hoffnungsträger nennt. Ein junger Spieler an den besonders hohe Erwartungen gestellt werden, seitens des Publikums und seitens der Medien. Solche „Hoffnungsträger“ gibt es immer wieder.

Zum Beispiel vor zehn Jahren. Damals hießen Sie Sebastian Deisler, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Broich. Schweinsteiger und Lahm spielen immer noch in der Nationalmannschaft, Deisler beendete seine Karriere aufgrund von Depressionen und Broich spielt inzwischen in der australischen A-League. Aber nur letzterer wurde acht Jahre lang von einem Dokumentarfilmer begleitet.

Herausgekommen ist dabei ein sehr gelungener Film, der tiefe und interessante Einblicke gewährt: Einerseits in die Funktionsmechanismen des Profifußballs und der dazugehörigen Medienlandschaft in Deutschland, andererseits in die Psyche eines, im Wortsinne, außergewöhnlichen Fußballspielers. Mir war gar nicht mehr bewusst, welcher Hype einst um Broichs Leistungen bei Wacker Burghausen und Borussia Mönchengladbach gemacht wurde und wie nah er in frühen Jahren an der Nationalmannschaft war.

Wie es dazu kam, dass er dieses Ziel nie erreichen konnte und inzwischen (glücklich und erfolgreich) in Brisbane kickt, erzählt der Film in ruhigen (manchmal etwas zu ruhigen) Bildern und ohne aufdringlich oder belehrend zu wirken. Die chronologisch aufeinanderfolgenden Stationen und Aussagen werden immer wieder vom heutigen Thomas Broich kommentiert und reflektiert. Es ist das Portrait eines Spielers, der sich sich seinen Traum vom Profikicker ganz anders vorgestellt hatte, als dieser dann tatsächlich war. Der aber auch oft genug sich selbst und seinem möglichen Erfolg im Weg stand. Man kann Mario Götze nur wünschen, dass es bei ihm besser läuft.

Wer sich auch nur minimal für (deutschen) Fußball interessiert, dem sei dieser Film ans Herz gelegt. Besonders das ausführliche Portrait des Verhältnisses zwischen Christoph Daum und Broich weiß zu fesseln und reicht eigentlich schon als Berechtigung für diesen Film aus. Also, Programmkino raussuchen und reingehen!

Bild: tommeetszizou.com

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

FDP gewinnt Preis für die dümmste Fußballanalogie

Schluss, aus, vorbei. Die Konkurrenz kann einpacken. Die FDP holt sich, bereits im August, souverän den Pokal für die dümmste Fußballanalogie. Selbst die Konkurrenz muss zugeben, dass die FDP derzeit in einer eigenen Liga spielt.
Für ihren Coup hat sich die FDP auf internationales Parkett gewagt und den Wahlkampf in der Weltstadt Berlin genutzt, um jegliche Hoffnungen der Mitbewerber im Keim zu ersticken. Bevor wir das grandiose Meisterwerk enthüllen, freuen wir uns, wieder einmal, exklusive Einblicke erlangt zu haben und an dieser Stelle die Laudatio des Zweitplazierten im laufenden Wettbewerb Norbert Walter-Borjans (SPD) wiedergeben zu können. Seine klassische Analogie des „Balls in der gegnerischen Hälfte“, diesmal angewandt auf die Weltfinanzkrise, war zwar gut, aber nicht gut genug. Walter-Borjans hat sich aufgrund der Überlegenheit des Gegners jedoch sofort bereit erklärt, für den Festakt als Redner zur Verfügung zu stehen. Die Preisverleihung findet traditionell am 31. Dezember im Rahmen der Veranstaltung „Danke, DFB!“ im Mercedes-Benz Museum, Stuttgart statt.

Hier nun der Text im Wortlaut:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren,

dies soll eine Lobrede sein, aber, bitte, verzeihen Sie mir, wenn ich bisweilen ins Elegische abschweife. Denn: Wir Politiker haben es schwer. Ich stehe hier als Janus vor Ihnen, zwei Herzen schlagen in meiner Brust, zwei Gesichter zieren mein Haupt. Einerseits bin ich Politiker und löse Probleme, andererseits bin ich Fan. Fußballfan. Und ich bin nicht der einzige, nein, wir sind Legion! Und dennoch werden wir angefeindet. Mein Genosse Kurt Beck zum Beispiel ist Fan des 1. FC Kaiserslautern und des 1. FSV Mainz. Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D. mag Schalke und Dortmund. Und Angela Merkel ist, wie viele, nicht erst seit 2006 fanatischer Anhänger der deutschen Nationalmannschaft. Ausgerechnet diese Leidenschaft, die tiefste aller Leidenschaften wird uns oftmals nicht als solche abgenommen und das erschüttert mich.

Ohnehin, 2006, und jetzt gerate ich wieder ins Schwärmen, 2006! 2006 hat den Fußball in die Mitte der Gesellschaft getragen. Endlich kann jede_r, auch ohne irgendeine Art von Vorwissen oder Verbindung zum Fußball, ekstatisch und als Depp verkleidet Länderspiele bejubeln und das Halbwissen der Sportschauredakteure verbreiten. 2006 war mir ein innerer Reichsparteitag und ich denke, damit war ich nicht der Einzige.

Apropos, Reichsparteitag. In Berlin findet bald eine Wahl statt und damit komme ich auch zu denjenigen, um die es eigentlich gehen soll an diesem Abend: Die Kollegen von der FDP, politische Gegner aber Brüder im Geiste. Im Handstreich haben sie die Fußball-Analogie auf ein ganz neues Niveau gehoben. Aber gehen wir der Reihe nach vor. Was zeichnet eine gelungene Analogie aus?

1.) Das verwandte Fußballbild muss grotesk falsch sein. Was ich mit dem Ball in des Gegners Hälfte andeutete führt die FDP zur Perfektion: „Einheitsliga“ ist ein Begriff der vollkommen sinnlos im Raume steht und keinerlei Bezug zu den Verhältnissen in realiter besitzt. Weder gibt es eine Forderung nach einer „Einheitsliga“ noch kann man sich darunter irgendetwas vorstellen. Was soll das überhaupt sein, eine „Einheitsliga“? Ich stottere jetzt, weil ich mir unter diesem Begriff tatsächlich überhaupt nichts vorstellen kann, wie man es dreht und wendet, es kommt nichts Brauchbares dabei heraus. Deswegen, rasch, zum nächsten Punkt:

2.) Die Sprache. Sie muss zum jugendlich-flippigen Image des Fußballs passen und auch hier treffen die WirtschaftsLiberalen den Nagel auf den Kopf. „Doof“, so reden Sie einfach die jungen Wähler, die Fans und überhaupt alle. Und auf einem Wahlplakat sorgt das Wort letztendlich auch für die nötige Ernsthaftigkeit. Um im Bild zu bleiben: 3 Punkte für die FDP auch in diesem Punkt.

3.) Der Vergleich darf sich keinerlei Sinnlosigkeit zu schade sein. Und da muss ich sagen, huiuiui, in der Hinsicht haben die Jungs und Mädels aber alles rausgeholt. Bildung und Fußball ergänzt sich ja wirklich allerfeinst! Bildung ist ja, wie der Fußball, ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Die Sieger sind Champions, die Verlierer sind Versager und uninteressant, wer’s nicht schafft hat Pech gehabt.

Liebe Berlin-FDP, ihr habt die Latte wirklich hoch gelegt, aber glaubt mir, im nächsten Jahr werden auch wir und die anderen wieder alles tun, diese zu überspringen. Wir werden uns weiter anbiedern, die Schals tragen, wie sie sonst keiner trägt, die Vereine wechseln wie andere die Unterwäsche, in Kabinen eindringen und den Sport auf alle erdenklichen Arten und Weisen missbrauchen. Wir freuen uns drauf!“

Über den Autor: schneider3

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Die Pyro-Sportschau am Samstag

Die Vollmüllung der TV-Apparate und sonstiger Medienkanäle durch vollkommen nebensächliche „Fußballevents“ (ganz ehrlich, Spox, ein Live-Ticker für das Spiel Guangzhou Evergrande – Real Madrid, gehts noch?!) wird weniger, ab dem Wochenende wird endlich richtiger Fußball gespielt. „Der Ball rollt wieder“ (kicker) und ganze Horden zu Hause gebliebener Fußballfans versammeln sich vor den Empfangsgeräten, um die gute, alte Sportschau zu schauen.

Eigentlich sollte samstags um 18.00 Uhr ein gewisser Automatismus einsetzen und der erste Kronkorken von der Pulle gehebelt werden. Jedoch sind nicht jedem_r, der_ie 2006 zum „Fan“ geworden ist, die Rahmendaten der 1. Bundesliga bekannt oder gar bewusst. Da Einschaltquoten aber das Wichtigste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind, wird nochmal ordentlich die Werbetrommel gerührt, schließlich will der Bildungsauftrag ja unters Volk gebracht werden.

Also, rasch bei Jung von Matt angerufen und Plakate in Auftrag gegeben. Die hängen jetzt an jeder Bushaltestelle Deutschlands und beschwören sich wöchentlich wiederholende Heldenmythen. Und wer jetzt geglaubt hat, ekelhafter und heuchlerischer als bisher wird die Sportschau schon nicht werden, sieht sich eines besseren belehrt: Die sogenannten Helden posieren in Jubelgesten vor einer Fankurve, in die ein gänzlich talentfreier Photoshop-Praktikant gefühlte tausend bengalische Fackeln reinkopiert hat.

Abgesehen von der miserablen Optik dieses Machwerks ist die Falschheit dieser Aktion kaum noch in Worte zu kleiden. Die Moralapostel der Sportschau wurden in der Vergangenheit niemals müde, „Randale“ und „Chaoten“ zu identifizieren, sobald auch nur ein Rauchtopf gezündet wurde: „Moralisch ist das alles ganz falsch, die Verletzungsgefahr ist gleich eine Million und ohnehin ist das alles strafrechtlich relevant.“ Doch plötzlich ist dieser, an Entsetzlichkeit kaum zu übertreffende Ausbruch von Aggression die geeignete Kulisse für eine Werbekampagne. Aber wahrscheinlich zahlen die so transportierten Emotionen direkt auf die Marke ein und die Herren Entscheider waren so abgelenkt davon, zum ersten Mal in ihrem Leben eine PowerPoint-Präsentation zu sehen, dass Ihnen die tausendfach begangenen Verbrechen im Hintergrund ihrer „Stars“ gar nicht aufgefallen sind.

Wenn allerdings alles gut geht, müssen die professionellen Empörer ohnehin bis zum 22. August warten, um sich wieder aufregen zu können. Ein Großteil der organisierten Fans in Deutschland hat sich verpflichtet, bis zu diesem Datum auf das Abbrennen von Pyro zu verzichten. Hintergrund dessen sind die,bisher wohl gut verlaufenden, Gespräche zwischen Fans, Polizei und dem DFB. Gemeinsam soll eine Lösung gefunden werden, Pyrotechnik in den Stadien zu legalisieren und trotzdem als Ausdruck von Emotionen zu belassen.

Einen Bericht über dieses Thema sucht man auf sportschau.de allerdings vergeblich…

Bildquelle: kopane.de

Über den Autor: schneider3

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Fußball aus den 80ern – eine Begegnung mit Berliner Hooligans

Als ich einmal in Koblenz auf einem Auswärtsspiel war, hatte ich die zweifelhafte Ehre, einige (ehemalige) Hooligans des 1. FC Kaiserslautern und ihre sehr verqueren Moralvorstellungen bei einem „gemütlichen“ Bier kennen zu lernen. Dabei konnte ich auch lernen, dass diese Menschen ein Verhältnis zur Gewalt haben, wie ich zum Biertrinken: es ist Teil der Freizeitgestaltung und hin und wieder erlebt man lustige Anekdoten, die man dann später in geselliger Runde zum Vergnügen aller Beteiligten zum Besten geben kann. Die meisten dieser Geschichten drehten sich dabei um die 80er Jahre, als der Zuschauerschnitt nicht zuletzt wegen zahlreicher Gewalttaten in und um die Stadien unter die Marke von 20.000 pro Spiel sank. Wer in den letzten Jahren wieder verstärkt „Chaoten“ und Gewalttäter die Bundesliga unsicher machen sieht, möchte doch mal bitte einen Blick in die Archive werfen, um das Ganze wieder etwas zu relativieren.

Beim Gang in die unteren Ligen jedoch bietet sich ein etwas anderes Bild. Wohl auch aufgrund geringerer Polizeipräsenz und sonstiger Sicherheitsinfrastruktur kommt es hier zu Ausschreitungen ganz anderer Qualität als in der „bel étage des deutschen Fußballs“ (kicker). Nicht allzu selten war dabei der berüchtigte BFC Dynamo beteiligt, sodass man von diesem eigentlich weniger mehr kennt als dessen Stasi-Vergangenheit und seine Hooligans.

Wie es der Zufall so wollte, kreuzten sich am vergangene Wochenende meine und die Wege des „sympathischen Underdogs“ (USP von Mainz 05). DFB-Pokal, erste Runde, BFC Dynamo – 1. FC Kaiserslautern. Ich freute mich richtig auf dieses Spiel abseits von Event- und Hochglanzfußball. Dass das Spiel zu einem meiner bisher prägendsten Stadionerlebnisse überhaupt wurde lag dann aber nicht am Spielverlauf oder der sportlichen Dramatik.

Schon bei der Anreise zum Stadion fiel mir auf, dass das Publikum hier wohl ein anderes ist, als ich es aus der 1. und 2. Bundesliga gewohnt war. In meiner Bahn fuhren keine Frauen, keine Kinder, sondern beinahe ausschließlich trainierte Mittdreißiger mit, ichsachmal, praktischen Frisuren. Ich traf meine beiden Freunde an der Stadionhaltestelle und wir suchten eine, unserer Meinung nach, echte Berliner Kneipe auf. Das Publikum war ein ähnliches wie in meiner Tram, die Biere wurden uns wegen eines Glasverbots in Plastikbechern ausgeschenkt.

Nach dem Genus eines wundervoll süffigen „Schultheiss“ flohen wir in Richtung Stadion. Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark liegt ist wohl das, was man einen „Oldchool-Ground“ nennen würde; mitten im Wohnviertel gelegen sind die vier Flutlichtmasten das prägende Charakteristikum des Stadions. Der Gästesektor war, bei Dauerregen, selbstverständlich nicht überdacht und wir nahmen unsere Stehplätze in der Nähe der Eckfahne ein, holten uns ein weiteres Bier und warteten auf den Anpfiff.

Die Stimmung war ordentlich, der Spielverlauf erwartungsgemäß. Lautern führte zur Halbzeit mit 2:0, das 1:0 war richtig schön herausgespielt und die Amateure vom BFC hatten eigentlich keinen Auftrag. Die Lauterer sangen fröhlich ihre Liedchen und auch die BFC-Fans boten einiges an Anfeuerung und Schlachtrufen auf. Um die 80. Minute herum dann wurde die Stimmung etwas hitziger, ein, zwei Rauchbombem stiegen aus dem Fanblock von Dynamo auf und eine Reihe von Böllern wurde gezündet. Weltschiedsrichter Rafati ließ aber nach fünf Minuten weiterspielen. Schließlich folgte der Abpfiff und wir erklommen die Treppen, um das Stadion zu verlassen.

Von den Leuten, die uns entgegen strömten ließen wir uns nicht irritieren und waren schon fast ganz oben angelangt, als uns auffiel, dass da eine massive Prügelei im Gange war, einige Augenblicke später lagen die Ersten auf dem Boden und hatten das eine oder andere Polizistenknie im Rücken. Wir machten uns langsam wieder auf den Weg nach unten, nur um zu sehen, dass auf der anderen Seite des Pufferblocks erste Sicherheitstore aufgingen und ein paar Dynamofans durch den Innenraum auf den lauterer Ultrablock losrannten. Komischerweise sah sich die sympathische Ordnerin, die einige Minuten zuvor noch grinsend einen einzelnen Lauternfan von Zaun stoßen wollte nicht in der Lage, zusammen mit Ihrem Kollegen auch nur einen Berliner aufzuhalten. Es folgte ein lustiges Handgemenge mit Fahnenstangen, bis uns bewusst wurde, dass von Links oben, unten und aus der Mitte BFCler auf den Gästeblock zurannten. So schnell wie wir waren wohl manche Familienväter und andere Fans nicht und bekamen seitens der Hooligans aus Ostberlin einiges ab. Nach zehn Minuten schien die Situation schließlich halbwegs unter Kontrolle, auch wenn aus allen Richtungen noch gegen Fans aus Kaiserslautern gepöbelt wurde; ob nun von einem 50-Jährigen mit seiner Tochter (?) im Arm oder oder von einigen Kandidaten, deren Foto man in den entsprechenden Bildstrecken einschlägiger Onlinemedien wiederfindet.

Insgesamt bleiben einige Fragen unbeantwortet, die den Ordnerdienst, die Polizeitaktik und einige andere Dinge betreffen. An diesem Samstag hatte sich jedenfalls scheinbar die gesamte Berliner Assozialität versammelt, um den Gästen aus der Pfalz mal wieder zu zeigen, wo der Hammer hängt. Ob der Sturm eines bunt gemischten Gästeblocks dafür die richtige Maßnahme ist, bleibt jedem selbst überlassen. Ich war am Ende jedenfalls froh, dass ich meinen Schal in der Eile doch nicht mehr gefunden haben…

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.