Was vom Hass übrig bleibt

Früher war alles ganz leicht: man ging ins Stadion, hasste den Gegner aus Lüdenscheid-Nord 90 Minuten lang leidenschaftlich und verließ – nicht selten völlig ausgepumpt aber glücklich – die Kurve. Spätestens seit dem 19.09.2010 ist vieles, wenn nicht alles, anders. Doch der Reihe nach.

Ziemlich genau ein Jahr vor Schalkes sportlichem 11. September, hatte Königsblau im ersten Jahr unter Magath gerade souverän 1-0 in Dortmund gewonnen. Es war der 7. Spieltag, der Torschütze hieß Farfan. Damals mit ihm in der Startelf so illustre Namen wie Zambrano, Kenia, Schmitz und Moritz. Junge, aufstrebende Talente, die eine wahrhaft sensationelle Saison hinlegen sollten. Als Schalke-Fan fing man langsam an daran zu glauben, dass aus der Saison tatsächlich was werden könnte. Ein einstelliger Tabellenplatz vielleicht? Der 5. Platz gar? Am Ende wurde es Platz 2 und die Teilnahme an der Champions-League. Schalker Glückseligkeit. Der Anfang eines Erfolgs“modells“?

Gleichzeitig stellte sich nach dieser schmerzhaften Derby-Niederlage Dortmunds Trainer Jürgen Klopp vor die Journaille und diktierte sinngemäß in die Mikros, dass er wisse, wo die Fehler gemacht würden und dass er diese schnellstmöglich abstellen werde. Zentrales Thema seines selbstsicher vorgetragenen Anschauungsunterrichts: Das mangelnde Gleichgewicht zwischen Defensive und Offensive. Gesagt, getan. Im nächsten Spiel folgte ein Sieg in Gladbach. Dortmund, nach der Derby-Niederlage noch Tabellenfünfzehnter, wurde am Ende Fünfter. Ausgelöst durch eine Sieges-Serie, angekündigt und vorhergesagt vom Trainer.

Klopp hatte den BVB in seiner ersten Saison als Dortmunder Cheftrainer auf Platz 6 geführt (und das internationale Geschäft knapp verpasst), in seiner zweiten Saison wurde er – wie erwähnt – Fünfter. Im Moment sieht es sehr stark danach aus, als könne er diese mehr als solide Bilanz weiter verbessern. Die Gründe dafür sind zum Teil aus der (Finanz-)Not geboren, zum Großteil allerdings das Ergebnis einer Vereinsphilosophie, die offenkundig negative Erfahrungen nicht verdrängt, sondern zum zentralen Thema der Zukunftsausrichtung macht. Mit wenig finanziellem Spielraum haben es die Verantwortlichen geschafft, eine enorm lauf- und spielstarke, sehr junge, taktisch hervorragend geschulte Mannschaft zusammenzustellen (zusammenwachsen lassen), die sich anschickt, in den nächsten Jahren evtl. den ganz großen Coup zu landen (ist zwar höchst spekulativ, aber ich bin (ähem – leider) überzeugt davon). Was offenbar gemacht wurde, ist das, was sich jeder Fan von seinem Verein hin und wieder wünscht: Ein sauberer personeller Schnitt, ein offenes Eingeständnis der Fehler der Vergangenheit, eine Neuausrichtung für die Zukunft (eine Vereinsphilophie?!), das Anstellen eines kommunikationsstarken, kompetenten Trainers, der dieser Vereinsphilosophie entspricht (und nicht umgekehrt. Einschub: Wann lernen die Vereine endlich, dass Trainer nur Angestellte des Clubs sind und sie sich der Philosophie des Vereins anzupassen haben?) und diese auch an die Fans heranträgt (die Fans „mitnehmen“) und vor allem Geduld und eine Vision. Vielleicht kann man es auch so übersetzen: Der Verein hat nach sehr unruhigen und für die Fans unbefriedigenden Zeiten sein Gleichgewicht gefunden. Das Gleichgewicht im Verein bedingt das Gleichgewicht auf dem Platz. Ordnung auf dem Platz resultiert aus Ordnung im Verein.

Sportlich ablesbar ist diese (neue) Ordnung vor allem am Dortmunder Mittelfeld, sicherlich das Prunkstück des aktuellen Kaders. Vor allem Nuri Sahin lässt das angeschlagene Schalker Herz mit seinem genialen Spielverständnis bluten. Er interpretiert die wichtige Sechser-Position momentan so erfolgreich und effizient wie kaum ein Zweiter. Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Er steht auf dem Platz symbolisch für Ordnung und Gleichgewicht. Daneben entwickeln sich u. a. Talente wie Götze und S. Bender. Hinten sichern Hummels und Subotic auf höchstem Bundesliganiveau.

Schalke hatte auch mal ein ähnlich starkes Innenverteidiger-Duo (Bordon/Höwedes), das ohne wirkliche Not (zu früh) auseinandergerissen und – ironischerweise um ein ex-schwarz-gelbes – Element destabilisiert wurde (Metzelder). Das einstige Prunkstück der Schalker, die Defensive, verkommt mehr und mehr zum Symbol des Ungleichgewichts im Verein. Hier ist es umgekehrt. Die Unordung im Verein bedingt die Unordnung auf dem Platz. Offenbar wurde dieses Chaos nicht erst beim desaströsen Derby-Auftritt, dem tatsächlich Slapstick-Momente innewohnten. Provisorisch wird die Balance derzeit durch gleich drei Sechser vorgetäuscht (Matip, Jones, Rakitic). Es wurde allerdings nicht nur sportlich das Gleichgewicht gestört, sondern es wurde auch versäumt, das seit letzter Saison gute Verhältnis zwischen Spielern, Verein und Fans zu erhalten.

Ein Spieler wie Metzelder wurde trotz seiner schwarz-gelben Vergangenheit verpflichtet (hier kann man dem Trainer mindestens wenig Fingerspitzengefühl unterstellen, vor allem aber ist man ob der wenigen sportlichen Meriten Metzelders irritiert), ein Fanbeauftragter wird kommentarlos abgesetzt, „kleine (Fan-)Gruppen“ verhöhnt, fast-diktatorische Strukturen werden geduldet und Panikkäufe gebilligt. Ein „Mitnehmen“ der Fans? Ja, wird bei der sog. Fan-Anleihe ausdrücklich erwünscht. Ein Modell? Eine Vision? Fehlanzeige.

Der Antivisionär Felix Magath wurde den Schalker Fans mit dem Versprechen (nicht der Vision!) vorgestellt, in den folgenden 4 Jahren (also bis spätestens 2013) die Meisterschaft zu holen. Ein Versprechen verpflichtet. Wie man nun erkennt, wird notfalls mit Brachialgewalt unter Vernachlässigung der – ebenfalls angekündigten – finanziellen Sanierung des Vereins vorgegangen. Ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Magath betont stets, dass der Umbruch „alternativlos“ sei. Das stimmt wahrscheinlich nur bedingt, denn immerhin haben sich Spieler wie Schmitz, Matip und Moritz in den Kader zurückgespielt. Ob aber in Zukunft weitere junge Spieler ins „Haifischbecken Bundesliga“ geschmissen werden, darf arg bezweifelt werden.

Klopp hat in der Zwischenzeit sein Versprechen wiederholt. Nach der Auftaktniederlage gegen Leverkusen am 1. Spieltag stellte er sich vor die Mikros und weissagte, dass er wisse, wo die Fehler gemacht würden und dass er diese schnellstmöglich abstellen werde. Was folgte, waren fünf Siege in Folge.

Dem Schalker in mir wird angst und bange. Und er ist ein bisschen neidisch. Neidisch auf das Modell Lüdenscheid-Nord. Von „Hass“ kaum noch eine Spur…

PS: Ist es übrigens nur ein Zufall, dass mit Mainz ein weiterer „Klopp-Verein“ mit Visionen, taktischer Disziplin und Ordnung sowie kluger Transferpolitik auf dem ersten Platz steht?

Über den Autor: Buxe

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.

Macht in Unterhosen und Lotto. Kunstverständiger Lebemann, der seinem Verein Schalke 04 in unerschütterlicher Hassliebe verbunden ist. Wurstvegetarier und Minigolfgott in Personalunion.
10 comments
  1. Dortmund macht zurzeit schon irgendwie alles richtig, was man richtig machen kann. Und ich glaube auch, dass sich dieses Konzept langfristig bewähren wird. Junge Spieler und ein ausgeglichener Haushalt sind die Zukunft des Vereinsfußballs, da kann die 11Freunde derzeit titeln was sie will…

  2. Dortmund schön und gut. Aber an Mainz wird sich in der Rückrunde und vor allem in der nächsten Saison (klarer Abstieg) niemand mehr erinnern.

  3. @Guru: Es geht doch gar nicht darum, ob Mainz nun auf Immer-und-Ewig im obersten Tabellendrittel zu finden ist oder nicht. Was nächstes Jahr ist, weiß ich nicht. Aber es geht um Konstanz, eine Idee und eine Vision. Das betrifft eine Menge „kleinerer“ Vereine (siehe auch Bochum, etc). Aber auch größere (siehe jetzt eben Dortmund) können sich sowas offenbar allen Widerreden zum Trotz leisten und werden dafür belohnt.

  4. Ich weiß schon, worum es dir geht. Ich zweifel nur an der großen Mainz-Vision.
    Aber übrigens: Es geht schon um nächstes Jahr, denn ein Konzept und eine Vision sollte sich schon langfristig bemerkbar machen…

  5. Sie macht sich doch auch bei Mainz bemerkbar, schon jetzt. Wenig Geld, wenig Sponsoren, kleine Fanbasis – und man macht mehr als das Beste aus diesen geringen Möglichkeiten, weil man eben einen Plan hat. Ähnliches gilt ja für Freiburg. Selbst wenn beide mal wieder absteigen sollten, bedeutet das ja nicht, dass sie falsch handeln. Für diese Vereine ist jeder Klassenerhalt ein kleiner Pokalsieg und ein einstelliger Tabellenplatz vergleichbar mit der Meisterschaft. Andere Vereine haben offensicht keinen Plan, es werden große Namen gekauft, die immer gleichen Trainer eingestellt und den Nachwuchs lässt man versauern.

  6. großer respekt für große worte.

    ich kann euch nur wünschen, dass auch bei euch früher oder später die große zäsur kommt, auf derbys möchte ich nämlich auch trotz der unschönen bilanz und der derzeit zu genießenden schadenfreude nicht mehr verzichten :)

    das schlimmste wäre wahrscheinlich, wenn felix mit seiner methode doch noch erfolg hat, danach verschwindet und euch mit dem schuldenberg sitzenlässt. gegen das, was dann wohl folgt, dürfte „molsiris“ nur ein sturm im wasserglas gewesen sein.

  7. Ja, ja, so einfach kann die Welt sein. Schalke ist doof, Dortmund ist toll und das alles ist Philosophie oder mindestens mal Vision. Hätten es da nicht auch weniger Worte getan? Aber schön schreiben kannste schon…

  8. Buxe ist jetzt Hotte oder wie?

    Ansonsten kann man dem Artikel schon Großteils zustimmen, auch wenn beim BVB sicherlich auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Zur Zeit passt es aber vorne (Barrios ist echt sein Gewicht in Gold wert) und hinten und die Geschichte kann eine echte Eigendynamik erlangen, die bei weiterhin schwächelnden Bayern/Bremern/HSVern/Leverkusenern/Stuttgartern womöglich sogar bis ganz nach vorne führen kann.

    Ich hätte nix dagegen.

  9. Ich bin übrigens sehr dankbar, dass im Artikel nicht der neue Sportjournalisten-Lieblingsausdruck vom „350.000-Euro-Schnäppchen“ strapaziert wurde.

  10. Der geilste Blogeintrag eines Schalkers ever!!!!

    Sehr schön zu lesen!

    Viele Grüße
    Soulrunner

Kommentare sind geschlossen.