Die Nationalelf als Soap-Opera

September, Endlich ist wieder Bundesliga. Auch wenn mir die WM im Nachhinein doch noch Spaß gemacht hat, bin ich froh, dass nun wieder der Vereinsfußball im Vordergrund steht. In erster Linie liegt dies an der deutschen Nationalmannschaft und deren Inszenierung, über die ich mich an anderer Stelle ja schon einmal aufgeregt habe.

Angefangen hat alles mit der WM 2006. Ja, die „jungen Wilden“ haben damals tollen Fußball gespielt und, ja, es war allerorten eine gute Stimmung in diesem wundervollen Sommer. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass seitdem alles (also generell alles!) schlimmer geworden ist. Die Nationalelf ist nicht mehr nur ein Fußballteam, sondern Komfortzone für nationale Befindlichkeiten, Garant für Entertainment und nicht zuletzt eine Soap-Opera.

Der handwerklich schlechte und im Endorphinrausch schwarz-rot-golden verkleideter Stimmungsmessies vollkommen überbewertete Film „Doieutschland – Ein Sommermärchen“ verklärte das Turnier rückblickend zum Buddie-Movie: Schweini und Poldi, beste Freunde auf und neben dem Platz. Diese Story ließ im nach menschlicher Wärme lechzenden Fanherz die Sonne aufgehen. Ollis Handschlag, ergreifend! Klinsis Sportpalastrede Kabinenansprache, mitreißend! Ein Traum in Schwarz-Rot-Gold ging in Erfüllung, über die Niederlage gegen Italien konnte man dann auch schnell hinwegsehen, die Hauptsache war, es hat Spaß gemacht!

„So muss das weitergehen,“ dachten sich Jogi „le Frisur“ und Oli „mein Haupthaar steht mir gut“ Bierhoff wohl im Anschluss an dieses Turnier. Guter Fußball alleine reicht nicht, um die Massen zu befriedigen, es müssen Emotionen her, Bilder, Symbolik. Also rauf auf die Zugspitze und das Aufgebot für den „Gipfelsturm“ 2008 präsentiert! Der Rest der EM 2008 verlief vor allem auf zwischenmenschlicher Ebene allerdings etwas enttäuschend, gab es doch keine Absetzung von Führungsspielern, kein Traumduo, nichts.

Der BWL-Student mit Schwerpunkt Marketing schien schon fast verzweifelt, als Prinz-Brutalo, der Assi-Migrant aus Berlin, fieseste Sorte unseren „Capitano“ wegstiefelte. Da waren sie wieder, die Bilder, die sich einprägten: Boateng mit entgleisten Gesichtszügen und ausgestrecktem Bein, Ballack jammernd auf der Trage. Aber so nicht! Und dann auch noch Ghana als Vorrundengegner: Zwillingsbrüder, die gegeneinander antreten, und der aufrechte Philip Lahm, der brave Blondschopf aus München, als Kapitän.

Sportlich hat dann auch noch alles gepasst bei diesem Turnier, dass muss sogar ich, als eigentlicher Antipode dieser Mannschaft, zugeben. Argentinien und (mit etwas Glück) England wurden fachgerecht zerlegt und gegen Spanien war einfach nichts zu holen. Und auch für das drohende emotionale Loch haben sich der Haarhelm und sein Kollege von der Atomindustrie Fernuniversität Hagen (von Kommilitonen schelmisch der „Marathon-Mann“ genannt) was Feines überlegt: Die K-Frage. Philip Lahm, noch völlig berauscht vom 1521:0 gegen die Gauchos hatte den ersten Schritt getan: „Freiwillig gebe ich die Binde nicht wieder her.“ Oha! Das wird dem Michael zu Hause in (damals noch) Chelsea aber gar nicht geschmeckt haben! Aber auch beim Trainer eckte er damit an: „Ich denge, der Zeitpunkt, den wo der Philip da gwähld had, der war grad au ungünschdig.“ Aus dieser Aussage ergab sich für Löw jedoch keinerlei Termindruck, eine Entscheidung bezüglich der K-Frage zu treffen. Ballack oder Lahm? Oldschool-Leitwolfing oder flache Hierarchien (vgl. „Grundlagen der Personalführung II“)?

Diese Woche jedoch kam es dann endlich zur Entscheidung: Einen Tag vor der Pressekonferenz spielte Oliver den Ball in die Spitze, Jogi musste nur noch vollstrecken. Grundtenor der Aussage von Bierhoff: Alle sind ganz wichtig, und die Jugendlichen, die seit ihren zweiten Lebensjahr im Fußballinternat den Arsch gepudert bekommen, können mit einem Kapitän, der so eine laute Stimme hat ohnehin nichts anfangen. Ganz besonders wichtig war jedoch noch der Hinweis: „Ich weiß wers wird.“ Es hätte gepasst, wenn Bierhoff beim Tätigen dieser staatstragenden Aussage mit der einen Hand am ausgestreckten Arm um Aufmerksamkeit heischend geschnippst und mit der anderen Hand sein, gnihihihi, Kichern versteckt hätte.

Schließlich, am 01. September um 12:30 Uhr der große Auftritt von Vader Abraham: „Ballack bleibt irgendwie Kapitän, ist aber derzeit (und wahrscheinlich für immer) viel zu schlecht drauf, um mit den anderen Jungs mitzocken zu dürfen. Solange ist Lahm Kapitän, aber einen richtigen Chef gibt es eigentlich sowieso nicht mehr. Braucht ja auch keiner, die Buben kommen damit eh nicht zurecht.“

Toll sowas. Man darf gespannt sein, wie es morgen weitergeht. Die Medien freuen sich bestimmt schon, sich auf jeden Informationsfetzen zu stürzen, der nichts mit Ballsport zu tun hat…

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
5 comments
  1. Lol. Ein wunderbares Bild der Heulsuse Möller.

  2. Sehr schöner Artikel, gefällt mir gut (vor allem die Umschreibung „Haarhelm“)

  3. Du hast den Bösewicht vom Dienst, Mathias Sammer, vergessen.
    Schon seltsam wie sehr sich der DFB einer Trainer-Riege ausliefert, die bisher noch keinen Titel geholt hat. Berti hat man damals trotz EM-Titel weggejagt, Jogi bleibt. Hauptsache Spektakel und geil aussehen.

  4. @2: Haarhelm, das kennste doch von dir. ;-)

  5. Das ist alles richtig und lustig geschrieben. Trotzdem bin ich froh, dass der Jogi geblieben ist und das ganze schöne Spiel nicht von einer Bratwurst wie Sammer kaputt gemacht wird.

    Übrigens kann ich diese Deppen-Journalisten-Bezeichnungen „K-Frage“, T-Frage“ Wat-weiß-ich-Frage“ nicht mehr hören. das ist so bescheuert.

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