Warum ich mich nicht für die WM interessiere

Die Saison ist (für fast alle) vorbei und man sollte meinen, dass die Vorfreude und -bereitung auf die WM in Südafrika jetzt so richtig los geht: Sonderhefte wälzen, Kader diskutieren, Spielpläne auswendig lernen. Bei mir persönlich will diese Vorfreude bisher allerdings noch überhaupt nicht eintreten. Und dafür gibt es diverse Gründe:

1. Mein Herz gehört meinem Verein

Vielleicht der schwächste Grund, aber so isses nun mal. Wenn die (englische) Nationalmannschaft verliert und ausscheidet, bin ich natürlich kurz enttäuscht, mehr aber auch nicht: „Naja, schade, in zwei Jahren vielleicht wieder.“ Nicht zu vergleichen mit dem Frust, den eine Niederlage meines Vereins auslösen kann oder gar der persönlichen Sinnkriese im Falle von Abstieg oder Pokalausscheiden. Auch in der nahen Zukunft werde ich mich eher für die Kaderplanung von Stefan Kuntz als für die von Fabio Capello interessieren.

2. Die FIFA

Angesichts des ekelerregend gönnerhaften Gestus‘, mit dem Sepp Blatter die Ausrichtung der WM in Südafrika bekannt gegeben hat, könnte man meinen, hier wäre ein Wohltäter am Werk gewesen. Und tatsächlich ist es so, dass ein Großteil der südafrikanischen Bevölkerung nicht gerade im Wohlstand lebt. Selbstverständlich hält das die FIFA nicht davon ab, die Fleischtöpfe an europäische und nordamerikanische Großkonzerne zu verteilen. In den Stadien wird natürlich feinstes Budweiser ausgeschenkt, es gibt lecker Coca-Cola und die Mannschaften werden von Hyundai rumkutschiert. Ach ja, den Großteil des Essen wird wohl McDonald’s zur Verfügung stellen. Ganz verschämt dürfen aber noch fünf „National Supporters“ ihr Mini-Logo auf der FIFA-Website präsentieren.
Und auch die kleinen Gewerbetreibenden, Kneipen und Herbergen vor Ort müssen aufpassen, nicht in den Fokus der „Markenpolizei“ der FIFA zu geraten. Bereits frühzeitig hat die FIFA begonnen, südafrikanische Unternehmen und Gewerbetreibende wegen kleiner und Kleinstvergehen zu belangen.

3. Die Kartenvergabe

Der Kartenverkauf für Südafrika verläuft äußerst schleppend. Bei Mindestpreisen von 58 € für ein Spiel ist das auch nicht verwunderlich. Angesichts der hohen Reisekosten und der Armut der breiten Bevölkerung in Südafrika stellt sich die Frage, welcher Anteil der Fans, die potentiell interessiert sind, diese Spiele zu sehen, überhaupt in der Lage ist, die finanziellen Mittel dafür aufzubringen. Dass der Fußball ein Sport aller Gesellschaftsschichten ist, scheint sich bei der FIFA noch nicht herumgesprochen zu haben.
Zudem ist ein ähnliches Phänomen zu erwarten, wie bereits 2006 in Deutschland. Für einen Großteil der Stadien wird „ausverkauft“ vermeldet werden, und dennoch bleibt ein nicht unerheblicher Teil der Plätze frei. Erneut werden also rund 1 Million Tickets kostenlos an Sponsoren vergeben. Egal, ob diese fußballinteressiert sind, egal ob diese die Spiele überhaupt sehen wollen. Gleichzeitig wird hunderttausenden Fans die Möglichkeit verwehrt überhaupt an Karten zu gelangen.

4. Die WM 2006

Das „Turnier im eigenen Land“ hatte Konsequenzen, die auch heute noch zu spüren sind. Man mag es vielleicht als positiv ansehen, dass sich inzwischen noch mehr Menschen für Fußball interessieren. In erster Linie verbinde ich die WM 2006 in Deutschland allerdings mit dem, was man gemeinhin „Eventisierung“ nennt. Der Sport selbst ist in den Stadien und in den Fernsehübertragungen längst zur Begleiterscheinung geraten. Viel wichtiger sind scheinbar Halbzeitgewinnspiele, der Verkauf von Merchandise, Lärmbelästigung durch „Musik“ und sonstiger Vollrotz. Wenn man einmal ein Spiel der Bayern in der Allianz-Arena besucht hat, weiß man, wie die Bagatellisierung des Sports maximiert werden kann. Klar, niemand braucht prügelnde Arbeiterhorden im Stadion. Noch uninteressanter ist es allerdings, wenn man überall im Stadions meint, im Familienblock zu sitzen, laute Unmutsäußerungen mit herablassend-kritischen Blicken bedacht werden und Gäste“fans“ willenlos Frank Ribery beklatschen.
Spätestens die Rückkehr von „ran“ und den „Fun-Dubbings“ haben deutlich gemacht, dass auch im TV keinerlei Interesse an einer Sportübertragung mehr besteht. Wer einmal die Sportschau ansieht, muss zu dem Schluss kommen, dass hier mehr Geld für Trailer als für Sportjournalismus ausgegeben wird. Explizit ausnehmen hiervon will ich „Sport inside“, aber das kuckt ja eh kaum jemand.
Ab Juni darf man sich also wieder darauf freuen, Leuten die Abseitsregel zu erklären, jubelnde Besoffskis zu betrachten, während man selbst schon im Sessel versinkt, weil ohnehin schon abgepfiffen wurde und über die Passform einzelner Trikots zu diskutieren.

5. Die deutsche Nationalmannschaft

Ich war diesem Team emotional noch nie sonderlich verbunden, aber besonders in den letzten Jahren hatte ich auch keinerlei Grund dazu. Und damit meine ich weniger die spielerischen Auftritte „der 11“, als vielmehr die Präsentation und der Umgang mit derselben. Oftmals scheint es, als müssten die Nationalspieler mehr Marketing-Termine als Trainingseinheiten hinter sich bringen. Nur konsequent war es also die Präsentation des Turnierkaders diesmal nicht mit peinlichem Tamtam auf der Zugspitze vorzunehmen, sondern mit einem peinlichen Filmchen im Museum des Hauptsponsors. Die Creme, die ich mir heute gekauft habe, wurde mir übrigens von Jogi Löw „empfohlen“. Ich habe kurz daran gedacht, sie wieder ins Regal zu stellen…

Über den Autor: schneider3

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.

Mildernde Umstände aufgrund familiärer Vorschädigung durch zwei dominante Brüder. Normalerweise erlebt das Weißbier bei ihm das Mittagsläuten nicht. Kaiserslautern-Fan. Weiß der Teufel, warum.
24 comments
  1. ich stimme dir weitestgehend zu, aber trotz allem wird nach dem Anfpfiff 90 minuten Fußball gespielt!

    Für mich ist das immer noch das Wichtigste, den Rest versuche ich soweit es geht auszublenden.
    Wahrscheinlich werde ich mich den „Events“ so gut es geht entziehen. Aber entscheidend ist immer noch auffm Platz.

  2. Naja ein Sommerpause mit einer WM oder EM ist immer noch besser als 45 Testspiele am Stück auf Eurosport oder Sport1 serviert zu bekommen.

    So kann man sich bei leckeren Getränken und Gegrilltem ein paar gute Spiele anschauen.

  3. Ach komm, ne WM ist doch schön, man muss nur wissen wie man sie für sich selber feiert! Public Viewing mit Freunden im eigenen Wohnzimmer mit Grill auf dem Balkon…super was will man mehr, da bekomm ich von den ganzen Gewinnspielsoßen sowieso nichts mit, irgendwer muss ja auch das Fleisch umdrehen ;-)

  4. defaetistisches gewaesch. mein lieber freund katze, jemand, der sein persoenliches wm-interesse mit der person capellos und drei kaetzchen in verbindung bringt, dem ist grundsaetzlich nicht mehr zu helfen. nationalhymne. anstoß. fieber. irgendwann entkrampfung. das ist das wichtigste fußballereignis und wer sich das durchs – zugegebenermaßen oft ekelerregende – drumherum verderben laesst, der ist zuerst einmal selbst schuld.
    das ganze dann allerdings in einem brei verquerer, fehlinterpretierter nostalgie zu avantgardistischer kopfsuppe hochzukochen halte ich fuer arg uebertrieben. zur lockerung und entspannung empfehle ich dir folgendes oevre: manny marc & chorus 86 „deutschland ist weltmeister“. du weißt bescheid. fußball ist ein maennersport.

    adios usw.
    f

    achja, die fifakritik ist selbstverstaendlich mehr denn berechtigt, allerdings nochmal ein ganz eigenes fass. ohne boden.

  5. Als Nachweis für die hohen Ticketpreise einen Artikel aus dem Schwäbischen Tagblatt (!) vom Januar zu bringen, ist schon mutig! Die Preise sind vor Ort mittlerweile drastisch gesunken.
    Alle Probleme in dem Artikel nicht nicht neu und vor allem nicht beschränkt auf eine WM. Nach der Maßgabe dürftest du auch nicht Bundesliga, Premier League oder Champions League gucken. Nie. Viel Spaß bei Fortuna Köln!

  6. „Wenn man einmal ein Spiel der Bayern in der Allianz-Arena besucht hat, weiß man, wie die Bagatellisierung des Sports maximiert werden kann. “ <– das einzige Stadion, in dem Du seit 1982 bislang warst? Das widerliche Drumherum habe ich in anderen Spielstätten schon weitaus schlimmer erlebt… beispielsweise die Cheerleader-Truppe in Köln.

  7. @5: Das ist sicherlich richtig, allerdings war das ursprüngliche Vorhaben ja anscheinend, diese Preise zu verwenden. Dass die Preise nun drastisch gesenkt wurden, empfinde ich hingegen als sehr angenehm. Außerdem ist das Schwäbische Tagblatt ja wohl eine reine Qualitätszeitung ;-)

    @6: Da muss ich dich leider enttäuschen, die Allianz-Arena ist eines von ca. 20 Stadien, die ich in den letzten drei Jahren besucht habe. Und nirgendwo anders habe ich es erlebt, dass alle 10 Meter ein Fanshop steht, dass man seine Bratwurst nicht mit in den Gästeblock nehmen darf, dass die Musik im Stadion so laut ist, dass man sich nicht unterhalten kann und dass der unmenschlich joviale Stadionsprecher den 5-jährigen Dustin in den Stadioninnenraum hebt, um ihm mal die Vorteile von T-Home-Entertain zu präsentieren. Letzteres war für mich wirklich der Gipfel der Widerwärtigkeit. (Ach ja, die in Punkt 4 genannten Beispiele habe ich so alle beim Spiel Freiburg gegen München in dieser Saison erlebt…)

  8. Alta, jetzt mal ehrlich, die hohen Eintrittspreise in Südafrika ins Feld dafür zu führen, dass man sich hier die WM nicht vor dem TV reinzieht, ist mir ein wenig zu schwurbelig argumentiert.

    Die WM ist geil, genauso geil wie Olympia und ich werde alles tun, um ja kein Spiel zu verpassen. Die WM ist für mich vor allem ein Fernsehereignis. Die Stimmung vor zwei Jahren beim Eröffnungsspiel der EM war jetzt nicht so herausragend und im Stadion gab es sowieso nur alkfreies Carlsberg, was den Spaßfaktoren nicht in die Höhe getrieben hat.

    Dann lieber mit fachkundigen Kumpels auf der Terrasse halb Niedersachsen grillen, als in Stadien zu sitzen, in denen die Hälfte der Ränge leer bleibt oder mit gegen Fußball Operierten gefüllt ist.

  9. Tut mir leid, aber für mich zieht von den Argumenten kaum eines. Und warum geht es denn um den eigenen Verein. „Dein“ Verein ist wie jeder andere Verein auch in der wohlverdienten Sommerpause. Da passiert nichts. Es ist WM! Du verlierst dein Herz nicht, wenn du WM guckst. Man kann es auch übertreiben.

    Und die Fifa ist mir eigentlich relativ egal. Ich hab mich mittlerweile daran gewöhnt, dass dieser Haufen von Pennern eben die WM ausrichtet. So ist es nun mal. Viel schlimmer fand ich, sich die ganzen Fifa-Auswüchse bei der WM im eigenen Land antun zu müssen.

    Mir hat die WM 2006 gefallen. Klar gab es furchtbare Fahnenschwinger. Klar waren Leute am Start, die sich für Fußball nicht interessieren. Ich hab so gut wie jedes Spiel gesehen und ich fand es geil. Ich erinnere mich an spannende Spiele im Intershop, ich erinner mich an Grillnachmittage auf der Dachterasse, und Pierre Litbarski war Kommentator. Geil!

    Und Digger, jetzt wirds „dreckisch“: Wie kann man England gut finden? Was für ein Bezug hast du denn dazu? Du redest von Herz und Identität und wat weiß ich: Aber where the fuck is England?

    Und zum Schluss: Jo gut äh sicherlich, Deutschland is eine Turniermannschaft.

  10. Ach ja: Die Kartenpreise in Südafrika könnten mir gar nicht egaler sein. Von mir aus können die 3 Cent kosten, wenn nur diese Vuvuzuelas eine Million kosten, so dass man sie nicht dauernd ertragen muss.

  11. Ich hätte den Artikel wahrscheinlich mit „Polemik des Tages“ überschreiben sollen. Natürlich werde auch ich mir so viel von dem Turnier wie möglich reinziehen. Allerdings finde ich die angesprochenen Punkte zumindest mal bedenkenswert.
    Mich stört einfach, dass ein Großteil der Menschen Stadionbesuche ungefähr so sehr reflektieren wie Schlachtvieh den Besuch der Schlachtbank. Nur trifft das wahrscheinlich auf Fußball-Blog-Schreiber und -leser eher nicht zu, also wohl falsche Adresse…

    Und das Wort „dreckisch“ werde ich so schnell wohl nicht mehr los ;-)

  12. Lautern-Fan, England-Sympathisant, keine Bindung zum Deutschen Team – was kommt denn bei Dir bitte als nächstes?

    Wenn ich einer Deiner Bruder wäre, dann wäre es für Dich allerspätestens ab dem ersten verliebt ins Schulheft hingeschmierten FCK-Logo so richtig dreckisch geworden.

    Und zwar so dreckisch, dass Dich weder das Jugendamt, noch Katharina Saalfrank und (im späteren Lebensabschnitt) Peter Zwegat hätten retten können.

    Unglaublich, was in Badde Wüddebersch alles möglich ist.

  13. @12: Wir sind einfach ausgezogen und haben den Kontakt zu ihm abgebrochen. Mehr konnten wir nicht tun.

  14. Und jetzt sieht man, wie das geendet ist. Ihr solltet euch was schämen. Pfui.

  15. Ich glaube, ich sollte noch einen Punkt #6 hinzufügen. Was auf facebook gerade an peinlichen Aktionen hinsichtlich Boateng/Ballack abläuft ist kaum noch zu unterbieten…

  16. @15: Link, bitte!

  17. Ganz offensichtlich Fans der Nationalmannschaft…

  18. Ich korrigiere: so genannte „Fans der Nationalmannschaft“
    ;-)

  19. Warscheinlich die gleichen, die in Aachen beim Freundschaftsspiel „Fußballfans sind keine Verbrecher“ singen…

  20. Hi,
    ich empfinde eine ähnliche Abneigung gegen das, was sich heute Fußball nennt. Der Unterschied zwischen „Eurovision Song Contest“ und der WM ist kaum noch erkennbar und das Dummvolk, welches mit peinlichen Kick-Fanausstattungen durch die Gegend torkelt, treibt mir das Fremdschämen ins Gesicht. Heute mach ich mir nen Spass draus, die vermeintlichen „Fans“ nach ihrer Meinung zum Stand bei Waldhof Mannheim und bei RW Essen zufragen.
    Natürlich sei den wirklichen Fans ihr Spass gegönnt, aber mir ist die Freude an diesem Turnier/Event absolut verloren gegangen.

    Desweiteren finde ich die Spiele auch nicht merh so spannend, die Taktik scheint perfektioniert und wirklich packender Sport scheint mir recht selten geworden zu sein.

    MFG

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