Die EM 2008 live – Ein Reisebericht

Die Sache kommt relativ spontan ins Rollen: Vor sechs Wochen meldet ein Kumpel zwei freie Tickets für die Viertelfinalspiele in Wien und Basel und ob ich denn daran Interesse hätte. Was für eine Frage! „Zur Not komm ich im Piss-Pott-Schritt!“ ist meine begeisterte Antwort! Die Planungen lassen sich sehr rasch erledigen, immerhin geht es ja nur in unsere beschaulichen Nachbarländer und nicht nach Südafrika oder in die Ukraine.

Freitag in aller Herrgottsfrühe hebt der Air Berlin-Bomber vom Düsseldorfer Flughafen ab. An Bord ein gut gelaunter Don, etwa 20 türkische Fans und 2 erkennbare Kroaten. Ausgelassene Stimmung allenthalben, schließlich hat Deutschland am Abend zuvor die Portugiesen vom Platz gefegt und man kann die Deutsche Kluft voller Stolz tragen: Trikot, Schal, Fahne und Hut – das sind die Kleidungsstücke der nächsten Tage.

In Wien angekommen wird sich direkt mit dem ersten von insgesamt vier Kollegen getroffen, zum Westbahnhof gefahren, das Gepäck eingelagert und ab zur Fanmeile. Allenthalben wird einem von den Wienern und Türken zugejubelt, Deutschland scheint durch das Spiel enorm an Sympathie gewonnen zu haben. Da der Kollege vor Ort nach exzessivem Feiern noch pennt, suchen wir uns ein nettes Cafe und beginnen mit der Verköstigung. Die ersten Halbliterlöschzwerge werden konsequenterweise um 9h morgens verlötet und die nette Kellnerin tut alles, um uns am Platze kleben zu lassen . Der dritte Kollege trifft um 12h ein und wir machen uns (bereits leicht strunkelig) auf zum Stephansplatz, wo sich die Kroaten so langsam versammeln.

Diese sind bereits zahlreich vertreten und haben auch ihre eigene Musikkapelle am Start, die munter aufspielt. Ähnlich wie die Tschechen bei der WM 2006 legen auch die Kroaten ein ordentliches Tempo am Glas vor und ab dem frühen Nachmittag mehren sich die Alkoholleichen diesseits und jenseits der Straße. Wir feiern ordentlich mit, unter andauernden „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!“-Gesängen der sympathischen Kroaten, die ständig um Fotos mit uns bitten, ein Wunsch, den wir nur zu gerne erfüllen (zumal die meisten Kroatinnen auch sehr ansehnlich sind). Alles ist friedlich, das Wetter ist Bombe, die Pilsetten sind kalt, das nachmittagliche Schnitzel Wiener Art mundet – man ist komplett zufrieden mit sich und der Welt.

Alleine es fehlt noch der letzte Mitstreiter, der kurzfristig Mittags noch ein Vorstellungsgespräch in Deutschland hat, das sich auch nicht verschieben lässt. Selbstredend hat sein Flieger Verspätung und er schafft es nicht rechtzeitig zum Anstoß ins Stadion. Da ich seine Karte habe, warte ich nervös auf seinen Anruf, der 15 Minuten nach Spielbeginn kommt. Leider kommt der Kollege gar nicht erst bis zum Stadion, sondern wird am äußeren Sicherheitsring festgehalten.

Ich wetze also vom Oberrang nach unten zum Ordner meines Ausgangs, dem ich mein Anliegen erkläre: Raus aus dem Stadion, dem Kollegen die Karte geben und sodann zurückkehren. Die Antwort des Ordners: „Ja klar.“ Gesagt getan. Das Finden war dann doch nicht so einfach wie gedacht, so dass es etwa 15 Minuten dauert, bis wir wieder zurück sind. Der Kollege kommt durch die elektronischen Kontrollen, meine Karte natürlich nicht, denn sie ist ja bereits entwertet.

Zu meiner kompletten Entgeisterung sagt dann derselbe (!) Ordner zu mir, ich käme nicht mehr herein, da ich bereits drin wäre. Erst halte ich das für einen Scherz und schicke mich an, abklatschend dennoch vorbeigehen, was allerdings die anderen Ordner auf den Plan ruft. Der Oberaffe meint es jedoch völlig ernst und wenn ich irgendwo einen Funken Grundaggression in mir hätte (das Klo vor der Pinte zählt explizit nicht!), hätte ich wohl einen Affektmord begangen. Das diskutieren bringt rein gar nichts. Der Typ tut so, als würde er mich nicht kennen.

Wir werden dadurch natürlich lauter und fordernder, was weitere Ordnern herbeizitiert. Nach etwa 10 Minuten heißem Disput und (zugegebenermaßen) am Ende wüsten Beschimpfungen durch uns, zerreißt mein Kollege seine Karte, wirft dem Ordner die Schnipsel entgegen und wir verlassen gefrustet etwa zum Halbzeitpfiff das Gelände, um auf der Fanmeile des Praters wenigstens den Rest zu gucken. Selbstverständlich haben wir einen dicken Hals auf den Veranstalter im Allgemeinen und stecken daher viel Energie in unser neues Projekt, unsere erworbene 6er-Gebinde-Herrenhandtasche auf die Fanmeile zu schmuggeln. Wir scheitern dabei kläglich am Doppelzaunkonzept der gewieften Security. Das Ergebnis des Spiels ist ja bekannt und auch in Wien feiern die Türken nach allen Regeln der Kunst mit 3er BMW-Autokorso usw. usf.

Wir müssen die Feierlichkeiten dann jedoch etwas früher verlassen, um unseren Zug gen Zürich zu erwischen, der um drei Uhr morgens los fährt. Reservierte Tickets für ein Zug-Abteil lassen uns ob einer angenehmen Zugfahrt frohlocken – wer will sich schon allen ernstes zu vier betrunkenen Fußball-Hools in ein Sechserabteil setzen? Auch hier kommt es anders als geplant. Der Zug ist überfüllt, jedoch können wir durch ein robustes, selbstbewusstes Auftreten unser Recht auf einen Sitzplatz erfolgreich einfordern. Leider haben wir jedoch den einzigen Wagen des Zuges erwischt, dessen Klimaanlage defekt ist. Und wo eine Klimaanlage drin ist, kann man leider die Fenster nicht öffnen. 9,5h können dann aus einer angenehmen Zugfahrt einen Horrortrip machen. Die Genfer Menschenrechtskonvention ist auf jeden Fall außer Kraft gesetzt, obwohl sich alle so gut wie möglich am Riemen reißen (Ihr versteht sicherlich, was ich meine). Der Zöllner an der Schweizer Grenze meinte dann auch nur lapidar, dass wir doch mal dringend lüften sollten.

In Basel angekommen freuen wir uns dann auf unsere wohlverdiente Dusche im Easyjet-Hotel, wo ein Zimmer mehr kostet, wenn es ein Fenster haben soll. Diese haben dann auch lustigerweise die Form von umgedrehten Klobrillen, die in die Wand betoniert worden sind. Nach eingehender Körperpflege geht es dann raus in die komplett in Orange gehüllte Stadt. Da muss man dem Holländer ja wirklich Respekt zollen: 150.000 sind nach offiziellen Angaben in der Stadt zugegen – also fast so viele, wie Basel überhaupt Einwohner hat. Obwohl wir in Deutschlandkostümierung durch die Straßen schlendern, gibt es so gut wie keine Zwischenfälle; abgesehen von einigen sehr jungen Fans mit Plastik-Stahlhelmen, die nervöse Zuckungen im rechten Arm haben und einigen nach uns geworfenen Bierbüchsen auf dem Weg zum Stadion.

Der weitaus überwiegende Teil der Holländer feiert friedlich und singt das bekannte „Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!“. Auf meinen Hinweis, dass das die Kroaten gestern auch gesungen hätten und dann ausgeschieden wären, gab man nichts. Vor dem Stadion haben wir dann auch noch Dietmar Hopp getroffen – bzw. Hopp hat uns getroffen, da er von sich aus auf uns zukommt, einem Kollegen auf die Schulter klopft und uns ein gutes Spiel wünscht. Da sind wir dann doch bass erstaunt.

Das Spiel selbst hält dann eine bockstarke Vorstellung der Russen bereit – sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen. Roman Pavlyuchenko würde ich dann doch gerne bei der Eintracht sehen. Ein Superstürmer! Leider wird er bei Spartak Moskau bereits viel zu viel verdienen. Vom Support der Holländer im Stadion bin ich dann doch arg enttäuscht. Obwohl sie die absolute Mehrheit haben (ca. 80%) kommt so gut wie gar keine Unterstützung für ihre schwächelnde Mannschaft. Die paar tausend russische Fans machen hingegen von Beginn an richtig Rabatz und ticken bei den jeweiligen Führungen komplett aus. Ich habe schon die Befürchtung, sie würden den Rasen stürmen, doch können sie von den Ordnern zurückgehalten werden.

Ein fader Beigeschmack bilden hingegen die etwa 2000 leeren Plätze im russischen Oberrang. Hier hat der russische Verband scheinbar nicht besetzte Tickets nicht zurückgegeben. Ob der vielen Fans ohne Tickets dann doch ein echter Skandal. Trotzdem gilt das Stadion als Sold Out – na ja. Extrem auf die Nüsse geht uns zudem ein Fan, der eine Reihe vor uns sitzt. Dieser ist zwar als Holländer verkleidet, sein Unvermögen, mit den anderen orange gewandeten Personen auf niederländisch zu kommunizieren, entlarvt ihn allerdings recht schnell. Zudem hat er keinen Plan von Fußball und redet auch sonst nur Stuss: Uns fragt er z.B. zig Mal, was wir hier überhaupt machen würden. Die Holländer um uns herum versucht er durch ständiges Aufstehen, rumwedeln und „Come on, guys!“ zu animieren, wenn er nicht gerade selbstverliebt Fotos von sich selber oder seinem genauso komischen, aber immerhin stillen Kumpel schießt. Den anderen Gästen (auch den Holländern) geht er mindestens genauso sehr auf den Sack wie uns. Letztendlich einigen wir uns darauf, dass es ein Franzose ist, der heute Abend einfach mal mit irgendeiner Antje ins Bett hüpfen möchte.

Auch nach dem Ausscheiden der Holländer, die wie vor den Kopf gestoßen sind, bleibt die Stimmung friedlich und ausgelassen, so dass wir gemeinsam mit ihnen noch ne heiße Sohle aufs Parkett legen. Wir lernen, dass der gemeine Niederländer ungemein auf deutschen Schlager abgeht (Viva Colonia wurde sogar als Viva Hollandia gecovert) und singen mit ihm gemeinsam Hits wie „In München steht ein Hofbräuhaus“ und ähnliches mit großer Begeisterung mit.

Insgesamt gesehen ist es dann auch wirklich eine geile Zeit gewesen und Wien sowie Basel sind sehr interessante Städte, die ich mir noch mal genauer anschauen möchte. Die Rückfahrt mit der Bahn ist dann komplett problemlos, sogar die Klimaanlage funktioniert, was uns in unserem dämmernden Halbschlaf aber kaum auffällt.

Bilderquelle: http://www.fussball-euro-wm.de/euro2008.php

Über den Autor: Don

Mag Bier und Heavy Metal genau so gerne wie Eintracht Frankfurt. Bis 5 Uhr in der Bochumer Pinte anzutreffen. Spinnt.

Mag Bier und Heavy Metal genau so gerne wie Eintracht Frankfurt. Bis 5 Uhr in der Bochumer Pinte anzutreffen. Spinnt.
10 comments
  1. Vorbildlich der Don, das erklärt einiges. Ich dachte ja, du wärst zu besoffen gewesen und hättest das Stadion überhaupt nicht von innen gesehen…

  2. Ja Flo, das hast du mir auch so kolportiert.
    Sauberer Bericht!

  3. No way. Klar hatte ich einen im Tee und nüchtern hätte ich vielleicht ein Bändchen oder sowas verlangt, aber man ist ja vertrauensseelig…

  4. Ja klasse Bericht und ne ganz miese Tour von diesem Ordner. Klassischer Fall von „Einmal im Leben Macht haben“…

    Und ihr habt echt Dietmar Hopp getroffen?

  5. Jau, wobei wir nicht wirklich mit ihm geredet haben. Er war auf dem Weg zum VIP-Eingang. Cool war halt, dass er auf uns zu kam, weil wir eben erkennbar als Deutschlandfans unterwegs waren.

  6. großartiger Bericht, danke !

  7. Dietmar Hopp versöhnt sich mit den 5 Freunden im Abseits. So schnell geht das. ;-)

  8. @7: Der liest hier doch mit und hat den Don dank des Superbildes vom Superpunk-Konzert wiedererkannt.

  9. @8: So erklärt sich auch sein Autogrammwunsch. Ich habe abgelehnt und gesagt, wenn er mal ein bißchen Geld verdient hat, kann er wiederkommen.

  10. Das beste habe ich im übrigen noch vergessen: Die Continental-Werbung mit Timo Hildebrand lief dort mehrfach im Stadion. Der Slogan auf internationaler Ebene, der von einer harschen, tiefen Männerstimme verkündet wurde, lautet: Pure German Stopping Power!

    Das war fortan auch unser Lieblingsausdruck für alles…

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