Auf der Suche nach dem rechten Maß

Zollstock (Foto: www.pixelio.de)Zwei Tage Durchschnaufen! Die EM pausiert und erstmals seit Jahren bin ich während eines großen Turniers froh darüber, vor der Wahl zu stehen, was ich mit dem Abend anfangen soll. 16 fußballerisch äußerst intensive Tagen liegen hinter allen Beteiligten, die nachwievor auf der Suche nach dem rechten Maß sind. Spieler, Fans, Medien und Offizielle. Einige Beispiele, Aufzählung unvollständig.

Großartige Spiele gab es zu sehen, aber auch Spiele, denen man mit freundlicher Zuneigung allenfalls Regionalliga-Niveau attestieren konnte. Das Leistungsgefälle zwischen den einzelnen Gruppen war riesig. In Gruppe D spielten Griechenland und Schweden Fußball zum Abgewöhnen, schwerfällig, ideenlos, altbacken, während in der gleichen Gruppe Spanien einer grandiosen Darbietung zwei ziemlich mediokre folgen ließ. Die Todesgruppe hielt dagegen was alle Experten zuvor prophezeit hatten. Wenngleich die Ereignisse eine völlig andere Dramaturgie nahmen als intendiert. Frankreich präsentiert sich als Schatten vergangener Tage, mit einem wahnsinnigen Ironiker auf der Bank und einem völlig verunsicherten Thierry Henry im Sturm.

Mit den Türken spielte sich hingegen ein Team ins Halbfinale, das den Thriller zum Prinzip erhoben hat. Um die Sache ja nicht zu einfach zu gestalten, verletzten sich Spieler oder holten sich rechtzeitig vor dem nächsten wichtigen Kick die gelbe Karte ab. Trainer Terim setzt dem Ganzen vor dem Halbfinale gegen Deutschland die Krone auf und kündigt an, dass man sich nicht den Luxus leisten könne, Spieler lediglich auf ihrer Lieblingsposition einzusetzen. Könnte also gut sein, dass Terim den dritten Torwart im Halbfinale als Stürmer einwechselt… Der Mann liebt das Drama.

Entweder Hopp oder Topp scheint auch das Handlungsprinzip der deutschen Nationalmannschaft zu sein. Nach dem Siege gegen Polen wollte Johannes Baptist von der Seebühne den Pokal schon überreichen lassen, nach den folgenden beiden Spielen brach sich auch hier im Blog die Skepsis Bahn. Vergessen, seitdem man Portugal in einem sehr guten Spiel aus dem Wettbewerb kickte und sich als einziges Team im Halbfinale eine Verlängerung ersparte. Konstanz sieht jedenfalls anders aus, was den Ruhepuls vor dem Spiel gegen die Türkei nicht gerade entschleunigt.

Noch ein Beispiel dafür gefällig, dass sich diese EM konsequent dem rechten Maß verweigert? Die Niederlande spielten drei Spiele lang großartigen Offensivfußball und wurden im Viertelfinale von Russland doch vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Da war die taktische Grundordnung schnell dahin und Marco van Basten sah auf der Bank mindestens so elend aus wie Jogi Löw im Spiel gegen Kroatien. Zudem leistete sich van Basten den grotesken Luxus Robben und van Persie zu Beginn auf der Ersatzbank schmoren zu lassen und ihnen den mediokren Arbeiter Kuyt vorzuziehen. Maßlos in seiner Verschwendung von Talent.

Sein Talent maßlos verschwendet hat bei diesem Turnier auch Mario Gomez, der nichts besseres zu tun hat als während der EM mit dem FC Bayern zu verhandeln, während der saubere Uli H. nichts besseres zu tun hat als mit Gomez zu verhandeln und damit seine Spieler Klose und Podolski zu brüskieren. Möchte da jemand späte Rache an Klinsmann nehmen? Ach ne, geht ja gar nicht mehr, für die ersten acht Wochen der neue Saison wird Klinsmann ja den FC Bayern übernehmen.

Diesem Niveau der Extreme passte sich auch die UEFA nahtlos an. Die schickte Löw für ein Spiel auf die Tribüne, obwohl die Gründe hierfür in jedem Spiel von Löws Kollegen und deren Richtern konsequent ignoriert wurden. Wer hat sich überhaupt diesen vierten Mann ausgedacht? Regelwerk grotesk! Passt aber zur harten Linie der Veranstalter, die den Stadionbesuch eines Bloggers der 5 Freunde verhinderten.

Das ist aber beileibe noch nicht alles! In Sachen „positiver Patriotismus“ scheinen mit einigen Bundesbürgern die Pferde durchzugehen. In der Eisdiele wird jedenfalss auch an spielfreien Tagen Deutschland getragen, während davor auf der Straße Autos mit sechs, acht oder mehr Deutschlandfahnen auf und ab paradieren. Ständiges Gekumpele und „Wir haben wieder geil gespielt“-Sätze von Kollegen, denen man sonst nicht in 90 Minuten klar machen könnte, wieso einem die 0:1 Niederlage in Fürth so schwer im Magen liegt, dass man den kompletten Montag ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter macht. Karneval in schwarz-rot-geil macht die EM für Karnevalshasser zu einer schweren Zeit. Das rechte Maß scheint auch hier verlorengegangen zu sein.

Von der Berichterstattung in den Medien ganz zu schweigen, deren Hang zur Überinformation im Uninteressanten und zur Auslassung der wirklich wichtigen Dinge wurde hier ja schon hinlänglich verhandelt. Ein Turnier der Extreme, diese EM in jeder Hinsicht, und genau deshalb eine höchst willkommene Abwechslung zur Bundesliga. Bielefeld gegen Cottbus ist dann doch schon wieder zuviel Mittelmaß.

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

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11 comments
  1. Ja, du hast insgesamt völlig recht.
    Aber ich finde diese EM supergeil, und zwar hauptsächlich aus dem Grund, dass immer die Mannschaften gewinnen, die nach vorne spielen. Mannschaften, die nur zerstören, haben keine Schnitte. Dass endlich einmal Italien nach einer geradezu grotesk den Fußball verweigernden Leistung ausgeschieden ist, war mir ein gewaltiges inneres Fest.

    Aber dass wir nach den Leistungen gegen Kroatien und Österreich so eine gute Leistung zeigen konnte auch keiner erwarten, oder? Das Spiel gegen Portugal konnte ich schon nicht einschätzen, das Spiel gegen die Türkei noch weniger.

    @Don: Ich habe von deinem persönlichen Drama gehört und verlange eine detaillierten Bericht in Form eines Artikels.

    @alle: Wäre schön, wenn sich einige von uns zum HF gucken zusammenfinden können. Sollen wir in BO am Mittwoch was an den Start bringen?

  2. @1: Das Problem ist nur, dass ich bei einer eventuellen Verlängerung nebst Elferschießen wohl nicht mehr nach Düsseldorf komme…

  3. Moinsen,

    den Artikel kann ich mal so eben komplett unterschreiben. Den Türken muss man ja wirklich mal dahingehend Respekt zollen, dass da nicht ob der ganzen Verletzten und Gesperrten gejammert, sondern angepackt wird. Wenn die Deutschen so viele Ausfälle zu verkraften hätten, wäre das Geflenne groß und die üblichen verdächtigen mit den vier Buchstaben hätten schon längst eine Revision der Regeln verlangt: Nachnominierungsmöglichkeit bei besonderer Härte, Verlegung des Spieltermins und andere sinnfreien Vorschläge wären aller Voraussicht nach eingebracht und diskutiert worden.

    Der türkische Trainer macht hingegen das beste draus und funktioniert sogar den dritten Torwart zum Stürmer um. Kein Murren, kein Klagen; stattdessen Entschlossenheit und Kampfgeist.

    @1: Jau, bin immer noch extremst angefressen und habe echt Glück gehabt, keinen Affektmord begangen zu haben. Artikel ist in Planung.

  4. Jo dem Artikel bzw, dem Auto kann ich im Großen und Ganzen auch zustimmen, wobei ich „Regionalliga-Niveau“ etwas hart finde.

    Die Portugiesen und Holländer sind ihrem Ruf, im falschen bzw. richtigen Moment den Schwanz einzuziehen, mal wieder gerecht geworden.
    Die größte Enttäuschung des Turniers waren für mich die Franzosen, die einen dermaßen langweiligen, uninspirierten Verwaltungsfußball spielen, dass einem Henry und Ribéry angesichts solcher Langeweilerkollegen wie Makalele und Toulalan echt leid tun konnten.
    Ja und die deutsche Mannschaft hat in der Vorrunde eher enttäuscht, aber dann ein grandioses Spiel gegen Portugal hingelegt. Und gegen die Türkei muss das Finale, seien wir ehrlich, einfach klappen.
    Russland find ich wirklich klasse, die spielen einen schneidigen Ball, haben eine junge Mannschaft und den Hiddink mag ich auch, wenn er in perfektem Deutsch mit charmanten holländischen Akzent als Antwort auf die Frage „Was sagen sie zum Spiel?“ mal eben das gesamte Turnier zusammenfasst.

  5. Der Hiddink scheint eh ein brillianter Trainer zu sein.

  6. ich denke die spieler sind, bis auf wenige ausnahmen, auf hohem niveau. da hat die wm in deutschland weitaus schlechtere spiele gesehen. das portugal, niederlande und auch die kroaten raus sind ist nicht unbedingt nachvollziehbar, wenn man die spiele der vorrunde als vergleich heranzieht, vielleicht hätten die herren doch lieber mit der a-mannschaft im letzten gruppenspiel auflaufen sollen. auch den spaniern war der fehlende rhythmus irgendwie anzusehen. die schwächsten mannschaften sind zudem in der vorrunde gescheitert. das die griechen und die schweden nichts reisen war abzusehen. bei den schweden hat es irgendwie den anschein als ob die seit 10 jahren mit der gleichen elf erfolglos von turnier zu turnier fahren… die rumänen waren überschätzt, zumindest haben sie ihren chance gegen desolate franzosen und rumpelnden italiener nicht genutzt. frankreich hatte im letzen spiel pech mit der verletzung von ribery. aber hätte wäre wen ist ja jetzt egal. deutschland hat die chance aufs finale und sollte dieses bei erreiche auch bitte gewinnen… russland kann sich auf 2010 konzentrtieren oder sollten vielleicht doch die spanier?

  7. Was die Russen gegen die Niederlande gezeigt haben, war schon beeindruckend, aber so weit zu gehen und denen den „Fußball der Zukunft“ zu attestieren würde ich nicht gerade gehen ( http://www.kicker.de/news/fussball/em/startseite/artikel/208889/ ).

    Ansonsten habe ich ja bereits geschrieben, dass mich dieses Turnier seltsam kalt lässt. Klar, schaue ich alle Spiele aber trotzdem eskaliert es längst nicht so wie bei der WM.

    Wo ich dir allerdings am deutlichsten zustimme ist die schwarz-rot-geil-Stimmung. Die wirkt komplett aufgesetzt und nervt einfach nur noch. Ich bin echt froh, dass der Mist nach dem Turnier wahrscheinlich wieder aufhört und man sich den Niederungen der 2. Liga mit „richtigen“ Fans auseinandersetzen darf.

  8. Ich fand die Russen saustark. Viel über außen, geile Flanken, sehr viele und gute 1:1-Situationen. Dazu hinten (bis auf die Standards) sehr sicher. Man hatte nie das Gefühl, dass die Holländer in irgendeiner Form das Spiel hätten gewinnen können – selbst nicht nach dem Ausgleich, denn die Russen waren auch in der Verlängerung das spielbestimmende Team.

  9. aha, die Spanier also… das wird ein heißer Tanz. Die in allen Mannschaftsteilen perfekt spielenden Spanier gegen uns bisweilen
    in allen Mannschaftsteilen rumpelnden »Panzer« Wenn wir ein Chance haben dann über hohe Bälle aus dem Halbfeld oder durch waghalsige Manöver hin zur Grundlinie… die Spanier haben in der Luft so ihre Probleme…

  10. Die Spanier haben gegen uns keine Chance.

  11. so isses…

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