Notizen aus dem EM-Krankenlager

Abschalten (www.pixelio.de)Herrlich, während der EM krank zu sein, dürfte der Traum jedes Arbeitnehmers sein. Insofern habe ich drei wunderbare Tage im Bett zubringen dürfen, die dank Schmerzmitteln galore durchaus aushaltbar gewesen wären. „Und ich benutze hier bewußt den Konjunktiv“ (U.Lattek) Wären, wenn der deutsche Fernsehsportjournalismus nicht komplett darniederliegen würde. Eine Bestandsaufnahme.

Gerade erst haben die Ministerpräsidenten diskutiert, was ARD und ZDF zukünftig online bieten dürfen. Hätten sich die „Herren Politiker“ (H.Schneider) doch lieber die Fußballberichterstattung während der EM zu Gemüte geführt, es hätte sofort einen Extraerlass gegeben. Die Fußballberichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen will dieser Tage nichts anderes sein als Boulevard. Schließlich schauen während so einer EM ja auch viele Leute Fußball, die sich diese Art von Unterhaltung eher sparen und die man mit einer allzu kritischen Herangehensweise nur verschrecken würde. Also wird Hofberichterstattung betrieben, die selbst Rolf Seelmann-Eggebrecht alt Aussehen lässt.

Die erste tägliche Schalte ins deutsche Mannschaftsquartier erfolgt jedenfalls im Morgenmagazin, das sich zu diesem Zweck mit Jörg Berger und Fritz Eckenga verstärkt hat. Zu berichten gibt es überraschenderweise in der Zeit zwischen 5:30 Uhr und 9:00 Uhr nichts, gesendet wird trotzdem.

Weiter gehts im Mittagsmagazin, erster Auftritt Moni Lierhaus, die einwandfrei Aktionen kommentieren kann wie: „Der deutsche Mannschaftsbus verlässt um 16:30 Uhr das Hotel“ Informationsgehalt? Dürftig! Zwischendurch wird natürlich noch die Pressekonferenz mit Jogi Löw und Michael „Isch surf im Indernäd“ Ballack live übertragen. Der DFB-Mediendirektor Harald Stenger, dessen hessische Gemütlichkeit ideal zur Blauen Bock-Seligkeit der Veranstaltung passt, glänzt durch ein hervorragendes Namensgedächtnis und technischen Sachverstand. Er weiß, wie die komischen Mikrophone funktionieren, traut seinen Nationalspielern soviel Intellekt aber nicht zu, und bietet sich deshalb immer selbst zum Drücken ein. Ein groteskes Schauspiel, dessen Niveau durch die Fragen der anwesenden Journalisten locker unterboten wird. Drei, vier, fünf Mal fragen die Kollegen der großen Zeitungen Jogi Löw nach der Aufstellung, die der natürlich nicht preisgeben will, und liefern damit unabsichtlich den Beweis, wie nötig diese Veranstaltung ist.

Sobald man sich durch den Vormittag gekämpft hat, muss man nur noch einige Schalten der „Nachrichtensendungen“ ins deutsche Quartier aushalten ehe um 16:30 Uhr die Übertragung beginnen kann. Nur wie füllt man 1,5 Stunden, wenn die deutsche Nationalmannschaft spielfrei hat? Richtig, man schaltet ins deutsche Hauptquartier und lässt Moni Lierhaus oder irgendeinen anderen Affen harmlose Nichtigkeiten aufsagen.

Ansonsten herrscht journalistische Tristess, wenngleich man Netzer und Delling zugestehen muss, dass sie sich stark formverbessert zeigen. Aber Netzer ist nun mal nicht Experte für jede Mannschaft. Informativer ist das schon das Duo Kerner-Klopp, Urs Meier hat nach wie vor nichts beizutragen, was Klopp zusehends mehr nervt und zu bissigen Kommentaren verleitet: „Hier muss ich mich eben nicht so oft konzentrieren“. Schließlich will Onkel Kerner am liebsten Gruppenkuschel, nennt Klopp ständig Schatz, kokettiert fortwährend mit seinem Nichtwissen und glaubt inzwischen, es wäre cool sich nicht zu rasieren. Nein, Herr Kerner, das ist es nicht! Inhaltlich kann man lediglich den Spielanalysen Klopps etwas abgewinnen, die jedoch wegen der vielen Zuschauer, die sonst nicht einschalten, nicht zu tiefgehend ausfallen darf. Wie Kerner nicht müde wird, einzuwerfen.

Kleiner Lichtblick: Mehmet Scholl, der zwar noch reichlich nervös, trotzdem den einen oder anderen lichten Moment schuf: „Also gegen usn hätten die nicht solange kombinieren können, da hätten wir schon mal einen umgegrätscht!“

Richtig ärgerlich wird allerdings die „satirische“ Nachbereitung der Spieltage. Waldis-EM-Club hat sich endgültig zum Stammtisch der Ressentiments entwickelt und schreckt zugunsten eines „Witzes“ nicht vor dumpfem Rassismus zurück. Und das sogennate politische Kabarett in Gestalt von Urban Priol oder Django Asül sitzt schweigend daneben, wenn Toni Polster über die Klauerei der Rumänen schwadroniert. Pfui, Teufel.

Im ZDF begnügt man sich deshalb mit original null Niveau, importiert direkt ein tausendfach bei den Privaten bewährtes Format und installiert dafür die Witzgranaten Guido Cantz, Ingolf Lück und Oliver Welke im Studion. Wenn man Glück hat, sitzt Mike Krüger mit dabei. Wie gesagt, wenns gut läuft.

Über den Autor: esleben

Verrät als Freiburg-Fan Heimat wie auch Elternhaus und trinkt ansonsten ausschließlich Veuve Clicquot. Wer wohnt schon in Düsseldorf? Mehr über Esleben auf Google+

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16 comments
  1. Du hast es ziemlich auf den Punkt gebracht. Respekt vor deiner Leidensfähigkeit, dass du dir das alles reingezogen hast.
    Netzer und Delling find ich in letzter Zeit echt lustig, wobei man schon sagen muss, dass die Spielanalysen von Klopp viel gehaltvoller sind, wenn er gerade nicht von Johannes „Es gucken auch Deppen zu“ B. Kerner unterbrochen wird.

    Das allerschlimmste ist dieses „Nachgetreten“. Letzten Sonntag hab ich mich 10 Minuten lang selbst gefoltert und das geguckt. Man man man, ich hatte das Gefühl, denen ist das schon selbst peinlich, wie schlecht die Witze sind.
    Allerdings hab ich das Weißbierfestival auf der ARD noch nicht geguckt, vielleicht ist das wirklich noch schlimmer.

  2. Gegen „Nachgetreten“ ist Waldis EM-Club ja der reinste Intellektuellenzirkel.
    Ganz schlimm, diese von Koksnase Lück moderierte Comedy-Folter. Ich hab das Gefühl, die Sendung hat nur den Zweck, dass sich Deutschlands schlechteste Comedians gegenseitig zeigen, wie Scheiße sie doch sind. Aber dass Mirja Boes katastrophal-peinliche Lieder aufnimmt, weiß ich selbst. Das muss mir Olli Welke nicht sagen.

  3. @3: Ich habe noch irgendwo ein Original-Autogramm von Möhre von wegen „20 Zentimeter“ und so. Habe ich mir in der Wattenscheider Edel-Diskothek „Heaven“ besorgen lassen…
    http://www.heaven-wattenscheid.de/

  4. Der Artikel bringt es genau auf den Punkt.
    Zwei Einwürfe: Ich finde Netzer und Delling ziemlich unerträglich und finde, dass sie noch nie so schwach waren. Netzer sagt eigentlich original nichts zum Spiel. Und diese ständige aufgesetzte Kabbelei, diese extreme Selbstreferentialität geht mir auf den Geist.

    Und Nachgetreten bringt übrigens auch die gleichen Ressentiments und Vorurteile wie Waldis Weißbier-Stadl. Diese zwei Sendungen sind so mit das schlimmste, was je im Fernsehen kam.

  5. Also Netzer und Delling finde ich eigentlich ganz amüsant. Natürlich nutzt sich deren Kebbeleien immer mehr ab, aber das ist noch immer guter Durchschnitt.

    Der Klopp ist natürlich direkt ne ganz andere Liga. Der Kerl hat alles, was man braucht: Charisma, analytische Intelligenz und Sprachgewandtheit. Schade, dass er geht und auch noch durch Oli K. ersetzt wird.

    Ziemlich unerträglich finde ich hingegen Beckmann und Scholl. Das ist weniger als nichts. Ganz schlimm. Habe s mir aber auch nur zwei Mal angetan und ignoriere es seitdem.

  6. Ich finde bei Beckmann so ätzend, dass er sich so anbiedert und bei Scholl immer so halb im Gesicht hängt. Scholl find ich ganz okay, für seine ersten Auftritte war das ordentlich.

    Bei Klopp merkt man einfach, dass er Ahnung hat. Der bräuchte ne eigene Sendung nachts im WDR oder so, wo dann nur noch wirklich Interessierte zugucken und er sich ne halbe Stunde so richtig über Taktik auslassen könnte. Das wäre super. Beim ZDF wird er ja immer zugunsten der unwissenden und uninteressierten Allgemeinheit bei seinen Analysen abgewürgt.

  7. Ich würde im allgemeinen sehr gerne von fähigen Trainern, bei denen man merkt, dass sie das Spiel verstanden haben, mehr über ihre Taktiküberlegungen und über ihre Gedankengänge erfahren. Das geht mir bei Klopp so und natürlich auch bei Löw.
    Leider reduziert sich das Gerede über Taktik meist auf das Spielsystem, also ob 4-4-2 oder 3-5-2.

  8. Jo dabei könnte man da echt noch viel dazu lernen. Ich finde, sowas fehlt sowieso im deutschen Fernsehen, aber vielleicht ist das dann auch echt nur was für Nerds. Ich würds mir wünschen, dass man bei den Spielanalysen wirklich mal mehr in die Tiefe ginge und sich nicht immer auf Phrasendrescherei beschränkte.
    Außerdem wärs cool, wenn so Begriffe wie „verschieben“, „übergeben“ usw. mal richtig erklärt würden, ich glaub nämlich, dass die Mehrzahl der Zuschauer und auch Journalisten keine wirklich Ahnung, wie eine Viererkette funktioniert.
    Zum Beispiel hör ich oft, dass der Reporter sagt: „Und ganz schwach, auf der anderen Seite ist alles völlig frei“, dabei gehört es doch gerade zum Prinzip der Viererkette, dass sich die Kette komplett zu der Flanke verschiebt, auf der sich der Ball befindet und dann auf der anderen Seite eben freier Raum entsteht.
    Jetzt nur mal als Beispiel.

  9. @6: Danke, da steh ich nicht alleine mit meiner Meinung da, dass Beckmann und Scholl nicht gerade sehr unterhaltsam und auch wenig analytisch sind.
    Wobei ich Beckmann zugute halte, dass er sich angenehm zurück hält. Ich hätte ihn als Kommentator erwartet. Aber vielleicht steht ja längst fest, dass er das Finale kommentiert.

    Bei Klopp bin ich froh, dass es bald mit seiner ZDF-Tätigkeit vorbei ist. Das nutzt sich nämlich schnell ab. Ab jetzt soll er nur noch beweisen, dass er das, was er am Bildschirm im Nachhinein analysieren kann, im Vorhinein auch seinen Spielern vermitteln kann, damit diese Fehler, die er sofort erkennt, erst gar nicht entstehen.

  10. Kerner ist bei dieser EM wirklich noch unerträglicher als bisher geahnt. Gerade dieses blöd-interessierte Nachgefrage immer…

  11. Und wie immer hat Jürgen Roth Recht.

  12. Aber sowas von…

  13. Bei Kerner gibt es jetzt endgültig keine zwei Meinungen mehr. Der ist eine einzige Katastrophe.
    Der Mann ist für das ZDF untragbar, weil er auch nach 10 Jahren keine Ahnung von Fußball hat, sagte Goldschuhe aus am Sonntag. Gestern abend sagte mir mein Kollege Björn haargenau dasselbe.
    Bei Kerner merkt man bei jedem Wort, wie geil er sich findet, sagte Goldschuhe aus während des Spiels gegen die Kroaten im Intershop. Beim darauffolgenden Spiel Ösis-Polen, ich war längst in Herne, sagte mein Kumpel Björn genau dasselbe.
    Der Beweis ist erbracht: Es gibt bei Kerner keine zwei Meinungen mehr.

    Und schön, dass auch endlich die Welt meine Meinung unterstützt, dass Tom Bartels unerträglich ist.

    Allerdings muss ich mich seit dieser EM auch korrigieren: Bela Rethy ist nicht, wie ich lange sagte, ok, er ist genau so schlimm, wie alle hier immer behaupteten.

  14. Mit der Thematik „Fussball und Fernsehen“ lässt sich ja vorzüglich standesgemäß abrechnen. Dem Fazit „grauenhaft“ ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
    Hinzufügen möchte ich dennoch Folgendes:
    „…und dafür zahlen wir Gebühren“
    Die ehrenwerten Versuche der Öffentlich-Rechtlichen sich im Rahmen der internationalen Sportveranstaltung einer Verjüngungskur zu unterziehen indem sie „Privat kopieren“ werden zum Scheitern verurteilt:
    „Nachgetreten“? Dafür gibt’s ja wohl mal mindestens gelb!
    Und Waldi ist der Rehagel unter den Modernisten.
    Pocher und Knop betreten ja nicht vollkommen neues Terain, die Spielfreude hängt allerdings von der Tagesform ab.
    Gelungener Joker sind die Jungs von Blumentopf mit ihrer RAPortage.

  15. Was ist denn bitte an Bela Rethy so schlimm? Ich versteh das nicht, also ich finde den gut.
    Was mich am meisten bei den Kommentatoren aufregt ist die mangelnde Vorbereitung. Das find ich einfach höchst unprofessionell.
    Beispiel: Gestern beim Deutschlandspiel behauptet Tom Bartels doch tatsächlich dumm-dreist, dass die gelben Karten nach der Vorrunde gestrichen werden. Da hat die UEFA das ganz groß neu eingeführt, dass die eben erst nach dem Viertelfinale gestrichen werden, damit man nicht mehr im Finale aufgrund von gelben Karten gesperrt sein kann.

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