Die Rettung des Sportjournalismus?

Quelle: www.pixelio.de„Die öffentlich-rechtliche Duzmaschine“ – So wird Waldemar „Waldi“ Hartmann seit geraumer Zeit ob seiner offen zur Schau gestellten Kumpanei mit Spitzensportlern genannt. Dies könnte nun ein Ende haben: Der WDR gab unlängst ein Positionspapier heraus, in welchem unter Punkt 3 dem Duzen im Sportjournalismus abgeschworen wird: „Die Konversationsform zwischen BerichterstatterIn und Interviewtem ist in unserer Sportberichterstattung grundsätzlich das ‚Sie.'“ Doch ob dadurch der Sportjournalismus endlich zum Journalismus wird, bleibt auch weiterhin fraglich.

Die Schwächen des sogenannten Sportjournalismus sind bekannt: Beklagt wird die unkritische Hofberichterstattung, die Nähe zwischen Journalisten und Sportlern und die fehlende Investigativität. Man könnte sagen, all das, was den Journalismus eigentlich ausmachen sollte, ist im Sportjournalismus nicht zu finden. Prominente Beispiele sind der eben angesprochene Waldemar Hartmann (der übrigens mit seinem legendären Interview mit Rudi Völler trotzdem eine rühmliche Ausnahme darstellte, da er dort sehr wohl kritisch nachfragte) oder auch Hagen Boßdorf, der ein relativ enges Verhältnis zum vermeintlichen Doping-Sünder Jan Ullrich pflegte und darüber hinaus auch noch dessen hymnengleiche Biographie verfasste. Und doch riecht die damit zusammenhängende Verdammung (ganz abseits der Stasi-Vorwürfe) von Hagen Boßdorf durch die ARD in diesem Fall nach Heuchelei; war es doch die ARD selbst, die sich zugunsten der Nähe zu den mittlerweile gefallenen Stars des Radsports und zugunsten der Exklusivität dem Sponsoring des Team T-Mobile verschrieben hatte.

Auch der Finanz-Skandal um Borussia Dortmund deckte seinerzeit die Mängel des Sportjournalismus auf. Einzig und allein der Dortmunder Sportjournalist Freddie Röckenhaus hatte den Mut, allgemein bekannten Gerüchten über die jahrelange Dortmunder Misswirtschaft auf den Grund zu gehen, obwohl fest davon auszugehen ist, dass die Gerüchte unter vielen „szenekundigen Beobachtern“ bekannt gewesen sein mussten. Lob und Dank von Verein, Fans oder Kollegen für Röckenhaus‘ Leistung gab es übrigens vorerst nicht. Erst als sich herausstellte, dass er mit allem völlig recht hatte, wurde allgemein applaudiert. Ob sich Geschichte im Fall des Reviernachbarn Schalke diesbezüglich wiederholt? Darüber kann derzeit nur spekuliert werden.

Das jüngste Beispiel von Hofberichterstattung konnten die Fernsehzuschauer beim DFB-Pokal-Viertelfinale live miterleben, als der Moderator am Spielfeldrand sich vor Uli Hoeneß sinnbildlich bis zur Selbstverleugnung bückte und durch Fragen wie „Also das da vorhin, das war doch ein klarer Elfmeter! Das muss doch der Schiedsrichter sehen! Oder Uli Hoeneß?“ alle Kritik am Sportjournalismus in einer Person vereinte.

Die Frage ist nun, ob das Siez-Gebot des WDR tatsächlich Mängel des Sportjournalismus beheben kann oder ob dies nur ein wachsweicher Schritt ist, um die vermeintliche Glaubwürdigkeit wengistens oberflächlich herzustellen. Meiner Meinung ist letzteres der Fall, denn das Positionspapier bekämpft lediglich die klar sichtbaren Symptome einer durch und durch degenerierten Spielart des Journalismus. Das Siezen drückt öffentlich die Distanz zwischen Interviewer und Interviewtem aus, sagt aber nichts darüber aus, ob die Protagonisten nicht am Tag davor zusammen wahlweise in der Kneipe oder im Bordell waren. Es bleibt völlig im Dunkeln, welche Zugeständnisse an die Sportler und Funktionäre für ein exklusives Interview gemacht wurden. Dabei sind die engen Verhältnisse der Akteure, zwischen denen aus Sicht des Selbstverständnisses eigentlich die größtmögliche Distanz herrschen sollte, ein offenes Geheimnis: Ein Journalist beschwerte sich einst über Lothar Matthäus, der einem bestimmten Journalisten der BILD-Zeitung immer exklusive Informationen aus dem Kreise der Bayern-Mannschaft zukommen ließ. Die lapidare Antwort von Lothar Matthäus: „Der ruft mich jeden Tag an. Wenn du das auch machen würdest, dann hättest auch du die Geschichten.“

Würde es der WDR mit der Verbesserung des Sportjournalismus ernst meinen, so würde er die Strukturen bekämpfen, die dem Sportjournalismus das Gift der Kumpanei einimpfen. Doch damit würde sich der Sender natürlich ins eigene Fleisch schneiden; die anderen Medien hätten Vorteile, da sie ihr inzestuöses Verhältnis zu den Sportlern weiter pflegen könnten und ihnen lediglich ein großer Konkurrent im Kampf um die neusten Informationen vom Leib geschafft worden wäre. Monika Piel, die Intendantin des WDR, macht daraus keinen Hehl: „Durch das kumpelhafte ‚Du‘ vor der laufenden Kamera entsteht der Eindruck, der Reporter ist vielleicht nur Stichwortgeber oder er nimmt seinen Auftrag nicht ernst. Diesen Eindruck wollen wir nicht vermitteln.“ Besagter Eindruck von Kumpanei soll also zwar nicht vermittelt werden; das Verhältnis der Akteure selbst wird dabei jedoch nicht infrage gestellt.

Der Clou an der ganzen Chose: Waldemar Hartmann als Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und freie Mitarbeiter wie Monica Lierhaus, Gerhard Delling und Reinhold Beckmann sind an das Positionspapier des WDR überhaupt nicht gebunden. Die Sinnfrage des Positionspapiers ist demnach grundsätzlich zu stellen, da eine Ausweitung auf andere ARD-Sendeanstalten nicht geplant ist. Und so unerträglich das Duzen in Interviews auch ist und so angenehm sich das Siezen auch ausnehmen mag: Grundsätzlich ändern wird sich am Sportjournalismus nichts. Wir erleben nur die Perfektionierung der Maskerade.

Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.
9 comments
  1. Hab mir gerade nochmal Hartmann/Völler angeguckt, weils schon lange her ist.
    Im Nachhinein muss man sagen, das Hartmann wirklich ungewohnt sinnvolle Fragen gestellt hat und Völler einfach nur peinlich war. Und Netzers Aussage vom Schluss teile ich auch: Unter Völler gabs kaum vernünftige Spiele, war mir schon immer unverständlich, warum der als Teamchef so beliebt war.

    Und zum Thema Sportjournalismus, Interviews nach dem Spiel und wie man drauf reagiert:

  2. Ja sehr schöner Link.
    Ja Völler hat damals übertrieben, aber es war auch etwas wahres an der Sache. Ich meine, mir ginge es auch auf den Sack, wenn mir nach jedem Spiel ein Herr Netzer, dessen Nationalmannschaftskarriere nach der EM 1972 nicht mehr viele glanzvolle Momente aufwies und der auch nich bei jedem Spiel den topmotivierten Vollprofi hat raushängen lassen, das ganze Spiel schlecht redet.
    Da waren viele Grottenkicks dabei, ohne Frage, aber es wurde auch häufig übertrieben. Und mal ehrlich, Klinsmann/Löw und Völler zu vergleichen, ist ein bisschen unfair, weil das „Spielermaterial“ heute doch bedeutend besser ist.
    Völler hat auch noch unter dieser „Deutschland wird auf Jahre unschlagbar sein“-Haltung in den Neunziger Jahren, in denen die Talentförderung schlicht verschlafen wurde, gelitten.

  3. Ich glaube, das Problem beim Sportjournalismus ist ähnlich wie teilweise beim Musikjournalismus: Die Leute schreiben über das, was sie toll finden, wofür sie sich begeistern. Wahrscheinlich fällt es da vielen schwer, die notwendige Distanz aufzubauen. Röckenhaus ist auch das einzige Beispiel in der letzten Zeit, wo mir soetwas wie investigativer Sportjournalismus wirklich aufgefallen wäre.

  4. Das Problem ist doch, dass sich zumindest im Fußball beide System gegenseitig bedingen und deshalb schon aus Selbsterhaltungstrieb nicht unbedingt kritisch über den Gegenüber berichtet wird. Selbst nach Schalkes Medienboykott haben eigentlich alle so weiter gemacht wie vorher. Man braucht sich gegenseitig, die Medien den Sport, der Sport die Medien. Das Duz-Verbot wird daran gar nichts ändern.

  5. Deshalb rede ich ja von der “Perfektion der Maskerade”.

    Sorry, aber ich habe deinen Artikel doch gar nicht gelesen … ;-)

  6. Auf jeden Fall ist das Duz-Verbot ein erster richtiger Schritt. Klar, das bekämpft erstmal nur ein Symptom, aber erstens schafft es eine Distanz und zweitens hilft es vielleicht, die Problematik ins Gedächtnis zu rufen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass weitere Landesanstalten dem folgen werden.

  7. @5 Es kann gut sein, dass andere Anstalten folgen werden. Denn es tut ja nicht weh und man kann trotzdem weitermachen wie bisher.

  8. @7: Ja genau. Deshalb rede ich ja von der „Perfektion der Maskerade“. MIt dem Siezen ist halt alles noch besser versteckt und nicht ganz so offensichtlich. Vielleicht bewirkt es dadurch eher genau das Gegenteil.

  9. Mir ist das ganze völlig Latte, denn ich gebe auf das ganze Gerede und Geschreibe rund um den Fußball mittlerweile so ziemlich gar nichts mehr. Es ist mir egal, interessiert mich nicht.

    Außer, der Ahlenfelder haut mal einen raus. Aber das ist ja dann weitab vom Sportjournalismus.

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