Die Reglementierungsmafia

Quelle: pixelio.deDeutschland im Jahr 2030. Der Fußball als ständiger Hort der Unruhe, Emotionalität und Unvernunft ist endlich kultiviert. Die Zuschauer – der Ausdruck „Fans“ oder gar „Schlachtenbummler“ wurde in einer konzertierten Aktion von Bundestag, DFB und Medien abgeschafft – pilgern gesittet in Zweierreihen zu den sterilen Arenen. Bevor jeder seinen Sitzplatz einnehmen kann, wird er von Röntgenrobotern komplett gescannt. Davor schreibt die Arenenverordnung den Erwerb eines großen Salattellers mit Tofustückchen sowie eines Orangensafts vor. Wer sich dazu noch einen Apfel kauft, nimmt an der Verlosung zum „Zuschauer des Tages“ teil. Es gibt Karotten für die ganze Familie zu gewinnen.

Nachdem alle Zuschauer ihre Plätze eingenommen haben, wird das Arenenrund von mehreren hundert Kamerasensoren auf subversive Handlungen abgetastet. Ewig Gestrige, die es wagen, an einem Plastikbecher gefüllt mit Light-Bier, verpackt in eine braune Papiertüte zu nippen oder gar unter der Jacke verstohlen an einer Zigarette zu ziehen, werden erfasst und sofort von unzähligen Ordnern abgeführt. Der Versicherungsschutz erlischt – ein Chip unter der Haut hat das schwere Vergehen an der Gesellschaft längst an die zentrale Krankenversicherung weitergeleitet.
Das Spiel selbst erregt kein besonderes Aufsehen. Wie denn auch? Grätschen und zu harte Schüsse wurden verboten, genauso wie die Kommunikation der Spieler untereinander. Dadurch gelang es, der adrenalingeschuldeten Beschimpfungen und den potentiellen Verletzungen Herr zu werden. Strittige Szenen, von denen es nicht mehr viele gibt, werden sofort per Videobeweis geklärt. Erhebt sich ein Trainer von seinem Sitzplatz, zieht dies eine Strafe und eine Unterbrechung des Spiels für 5 Minuten nach sich.
Die Sätze für die Spieler-Interviews nach dem Spiel sind festgelegt. Ein eigens herausgegebenes Buch des DFB und Leo Kirch – “Wie führe ich ein professionelles Interview“ – schreibt vor, welche Antworten auf welche Fragen zu geben sind. Emotionsausbrüche, Stilblüten und Sprüche sind damit Gott sei Dank Vergangenheit.

Diese Schreckensvision ist einigermaßen absurd. Und doch lässt sich ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend beobachten, der sich auch auf die Welt des Fußballs auszudehnen scheint. Die Kultur der Verbote hat die Niederungen der Stadien längst erreicht und so wären einige der angesprochenen Schritte lediglich konsequent.

Einige Diskussionsanregungen:
Stichwort Fans: In Deutschland leben wir im Vergleich zum Rest Europas fantechnisch noch in einem Paradies. Aber es ist doch lediglich eine Frage der Zeit, eine Frage des Gelds sowie eine Frage von FIFA- und UEFA-Verordnungen, bis die geballte Fanunfreundlichkeit auch in den hiesigen Stadien Einzug erhält. Schon jetzt lässt sich die massive Reduzierung bezahlbarer Stehplatzkarten zugunsten teurer Sitzplätze und VIP-Logen beobachten. Bei internationalen Spielen sind Stehplätze sogar komplett verboten. Der Trend geht darüber hinaus zu einer Zerstückelung des Spieltags, womit es Auswärtsfans immer schwerer gemacht wird, mit ihrer Mannschaft mitzureisen. In vielen Stadien ist es darüber hinaus gang und gäbe, nur noch alkoholfreies oder Light-Bier auszuschenken. Kameraüberwacht wird der Fan ja sowieso schon vom Eintritt bis zum Verlassen des Stadions. Sogar über ein Rauchverbot wird schon vorsichtig diskutiert (Ein Rauchverbot unter freiem Himmel!). Und dass die Fans mittlerweile nur noch nützliche Idioten sind, die wie im Zoo eigentlich der Unterhaltung der besser zahlenden VIP-Gäste dienen, sonst aber gefälligst die Klappe zu halten haben, wurde durch die Unverschämtheiten von Uli Hoeneß so richtig deutlich. Erfüllungsgehilfen dieser Entwicklung sind Menschen wie Kerner, die sich, wie in Belgrad geschehen, über konfettischmeißende Fans empören.

Stichwort Spiel: Aus den gegenwärtigen Diskussionen lässt sich herauslesen, dass Emotionen auf und neben dem Platz scheinbar völlig unerwünscht sind. Exzessives Jubeln und Trikotausziehen ziehen sofort eine Gelbe Karte nach sich, selbst wenn der Spieler wie im Falle von Mladen Petric ein zweites, identisches Trikot darunter trägt. Auch so genannte „Rudelbildungen“ werden konsequent mit Gelben Karten bestraft. Dies alles ist absurd und dient lediglich dem Niederhalten von Emotionen. Sollte es bei den drei genannten Maßnahmen um die Eingrenzung der Zeitverzögerung gehen, so ist das Argument denkbar schlecht. Zu was gibt es die Nachspielzeit? Und dass ein Trainer, sobald er einen Schritt aus der unsäglichen „Coaching-Zone“ macht sofort vom eigens dafür eingesetzten vierten Schiedsrichter zurechtgewiesen wird, steht in derselben Linie. Früher, ohne Coaching-Zone und vierten Schiedsrichter gingen die Trainer den Linienrichtern doch auch nicht bei jeder Gelegenheit an die Gurgel.

Stichwort Ermittlungen: Es scheint mittlerweile zur Lieblingsbeschäftigung des DFB geworden zu sein, nach jedem Fußball-Spiel nachermitteln zu wollen, um auch ja jedes Fünkchen von Respektlosigkeit und Provokation sofort abzumahnen. Die Beispiele des letzten Spieltags:
München: Van Bommel sieht völlig zu Recht gelb-rot wegen Bemerkungen und höhnischen Beifalls in Richtung des Schiedsrichters. Das ist aber nicht genug, natürlich muss jetzt auch noch wegen einer angeblich „obszönen Geste“ nachermittelt werden.
Stuttgart: Mario Gomez tituliert seinen Gegenspieler Maik Franz im Eifer des Gefechts direkt nach dem Spiel als „Arschloch“. Zugegebenermaßen keine schöne Aktion, die sich auch nicht wiederholen sollte. Auch stünde Gomez eine Entschuldigung an Franz gut zu Gesicht. Aber weshalb muss sich der DFB wieder einmischen und gegen Gomez in dieser Sache „ermitteln“.
Und hätte in Frankfurt nur irgendein Mikrofon Kyrgiakos’ angeblichen Satz in Richtung Diego „Stand up and fuck you“ aufgezeichnet: Jede Wette, dass der DFB tätig geworden wäre. Ein Wunder, dass noch keine Lippenleser engagiert wurden, um Sünder zu überführen und dann nachträglich zu bestrafen.

Dies alles ist insgesamt nicht verwunderlich, aber deswegen nicht minder ärgerlich. Ein Staat nämlich, der versucht, sich in jeden Lebensbereich der Bürger einzumischen und diesen mit Gesetzen reglementiert, fördert eine gesellschaftliche Verbotsmentalität, die auch vor dem Fußball nicht haltmacht. Das Rauchverbot war dabei erst der Anfang. Nun denken Politiker ernsthaft über ein mögliches Verbot des Alkoholgenusses in der Öffentlichkeit nach. Und der Vorschlag, Lebensmittel mit roten bis grünen Punkten – rot für „schlecht“, grün für „gut“- zu kennzeichnen, ist doch nur ein erster Schritt zum Verbot ungesunder Lebensmittel. Diese Punkte sind Beispiele für die Einschränkung von individueller Freiheit und Eckpunkte bei der gewollten Formung des perfekten Menschen. Und dies greift auch im Fußball um sich: Alles, was nicht von oben reglementiert und standardisiert wird, ist per se schlecht und darf nicht sein. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang nur an die absurden FIFA-Auflagen während der Fußball-WM 2006.

Aus diesem Grund appelliere ich an den DFB: Wenn Fußballspiele in der Zukunft nicht so aussehen sollen wie eingangs beschrieben: Haltet doch bitte den Fußball aus der allgemeinen Verbots- und Regelungssucht heraus, um ehrlichen Menschen wenigstens im Stadion ein wenig unangepasstes Verhalten und damit kleine Abenteuer im unspektakulären, reglementierten gesellschaftlichen Alltag zu ermöglichen!

Über den Autor: Guru von der Kreuzeiche

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.

Leidensbereiter sowie leiderprobter SSV-Reutlingen-Fan und Unsympath. Empfindet die Bezeichnung “Unglaublicher Demagoge” als Kompliment. Trinkt was Schnäpse angeht nur klar.
26 comments
  1. Naja, wenn ich mir die rotzevollen Blagen, die dann zu Möchtegernschlägern mutieren, im Stadion so angucke, dann wäre ein Alkoholverbot während des Spiels mal nicht schlecht.

    Und bei Kyrgiakos wäre auch mit Mikro nichts passiert: Der DFB ermittelt nur bei rassistischen Vorwürfen. Siehe Weidenfeller, bei dem bis heute nicht klar ist, was er gesagt hat, aber eine Sperre absitzen durfte.

    Insgesamt sehe ich aber die Gefahr der Überreglementierung nicht so sehr. Zum einen weil ja der DFB selbst bestimmen darf und nicht bei allem von UEFA und FIFA abhängig ist. Und da ist ja schon länger ein Zurückrudern im Gange. Zum anderen, weil sich krasse Änderungen von selbst regeln und abgeschafft werden. Siehe Samstagabendspiel, ein Totalreinfall damals.

  2. Ich bin der Meinung, dass ein Alkoholverbot in Stadien rein gar nichts bringt, da die Leute, die sich abfüllen und dann schlägern wollen sowieso vor und nach dem Spiel große Alkoholmengen zu sich nehmen. So wird nur der normale Zuschauer getroffen, der gemütlich beim Fußball ein bis zwei Bier trinken will.

    Und zum Samstagabendspiel: Es soll jetzt ja wieder eingeführt werden.

  3. Ich verzichte lieber auf ein, zwei Bier, als dass mir besoffene Idioten eine vors Maul geben. Damit trifft man den normalen Fan nämlich viel mehr, als mit Alkoholverbot.

    Verbote werden ja nicht aus Willkür ausgesprochen, sondern nur, wenn bestimmte Freiheiten von wenigen Trotteln extrem ausgenutzt werden. Bengalische Feuer waren jahrelang kein Problem, bis einige wenige angefangen haben, damit andere Fans zu bewerfen. Ist doch klar, dass der DFB das nicht tatenlos mit ansieht.

  4. Das versteh ich ja, aber meine These ist eben, dass die Schläger-Idioten sowieso besoffen sind. Egal ob Alkohol im Stadion ausgeschenkt wird oder nicht. Die glühen doch zu Hause mit ihren Kumpels erstmal schön mit ner Pulle Wodka vor. Da macht das Bier im Stadion den Schläger auch nicht mehr aggressiver.

  5. @4: Absolut richtig. Auf der Kiosk-Tour zum Ruhrstadion wird ja auch weiterhin Vollsprit verkauft. Und wer Herrengedecke saufen will, bekommt auch die. Vollbierverbot im Stadion ist genauso sinnvoll wie ein Rauchverbot auf einem öffentlichen Platz.

  6. Unter dem Deckmantel der (nationalen) Sicherheit ist im Moment ebenso einiges möglich …

  7. Zum Samstagabendspiel: Das wird wieder so ein Reinfall werden wie damals.

  8. Und natürlich kann der DFB oder die Vereine nicht dem Kiosk den Alkoholverkauf verbieten. Aber die Vereine können in ihrem Machtbereich dafür sorgen, dass das Mut antrinken aufhört und eher eine Ausnüchterung während des Spiels stattfindet, oder eben direkt vor den Schlägertrupps kapitulieren. Und gleichzeitig tatkräftig dabei mithelfen, dass der richtige Pegel pünktlich bei Abpfiff erreicht ist.

  9. Also ich persönlich bin sehr froh, dass man im Ruhrstadion noch schönes Fiege vom Fass genießen darf.

  10. Schafft bierfreie Zonen!

  11. In der Allianz-Arena gibt’s im Gegensatz zum Olympiastadion wieder Bier mit Alkohol, außer im Europacup.
    Ich habe nicht feststellen können, dass es dadurch im Stadion vermehrt zu Zwischenfällen kommt.
    Außerdem: Im Stadion und direkt drumrum passiert doch dank massiver Polizeipräsenz ohnehin fast nichts, oder? Wenn’s kracht, dann doch eher in den Innenstädten. Also am besten gleich ein bundesweites Alkoholverbot an Spieltagen…

  12. Gesundheit ist ja quasi die eigene innere Sicherheit …

  13. Ich bin eher dafür, Sonderbierzonen (SBZ) zu schaffen! ;-)

  14. Also ich möchte an dieser Stelle ein großes Lob für diesen tollen Artikel aussprechen, sofern mir diese Anmaßung überhaupt zusteht. ;-)
    Nein, im Ernst: Ich denke, dass man über diese Entwicklungen nachdenken sollte. Und dieser Beitrag regt zum Nachdenken an. Außerdem sollte man seine Stimme erheben und auf unsinnigen Aktivismus hinweisen, der nicht nur den Fans, sondern auch dem Sport im Ganzen schadet. Auch hier leistet der Beitrag einiges.

    Ich habe mich letztes Wochenende ernsthaft gefragt, was mich an diesem Sport noch reizt. Ich konnte das für mich interessante Spiel weder vor Ort noch live in der Glotze sehen. Und was bringt mir Fußball dann? Es ist schon erstaunlich, wieviel die zahlende Kundschaft und die Fans mit sich machen lassen. Da ist es in erster Linie an uns, sich zu erheben und festzustellen: So nicht! Und das interessante an dem Beitrag ist ja die Perspektive in die Zukunft: Werden wir alle vegane Müslifresser und richten unsere Sympathien nach der besten veganen Vepflegung im Stadion? Wenn ja, dann gehe ich in den bewaffneten Untergund…

  15. @9: Sicherheit und Gesundheit. Das sind die beiden Punkte, mit denen alles noch so Faschistoide durchgesetzt werden kann derzeit.

  16. @16: Naja…;-)

  17. @16: Wenn das der Schäuble mitbekommt, gibt’s bald die heimliche Onlinedurchsuchung für Leberwerte…

  18. @16: Ach naja, alles eine Frage der Zeit.

  19. Oh danke für diesen Artikel. Er spricht mir und vielen anderen, die ich kenne, voll und ganz aus der Seele. Schön, dass du Bogen zu gesellschaftlichen und politischen Themen spannst.

    Auch mich kotzt diese ganze Entwicklung im Fußball an. Wenn ich mir Äußerungen von einem Holzhäuser durchlese, wird mir ganz schlecht. Hier mal ein Beispiel: http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/startseite/artikel/372051
    Diese ganzen Entwicklungen, ob das die Aufsplitterung des Spieltags ist, das Schikanieren des „Free-TVs“ usw. ist, sind einfach völlig daneben und gehen an dem, was die deutschen Fußballfans wollen, meilenweit vorbei.
    Aber ich denke bzw, ich hoffe, dass sich die Fans dagegen wehren werden, wenn es dazu kommen sollte. Da wird es wohl vor allem an den organisierten Fans, sprich den Fanclubs liegen, etwas geeignetes zu starten.
    Ich bin mir aber sicher, wenn dann mal zwei Spieltage lang die Stadien leer bleiben, werden sich auch diese Idioten à la Holzhäuser in ihre Ecken trollen.

    Was an diesen ganzen Maßnahmen deutlich wird, ist die mangelnde Bereitschaft der Funktionäre und Politiker sich mit den Ursachen der Probleme auseinanderzusetzen. Stattdessen werden wie immer nur die Symptome mit solchen Maßnahmen wie dem Verbot des Alkoholkonsums bekämpft.

  20. Immerhin ist der Holzhäuser ehrlich und sagt das alles offen. Da weiß man, mit wem man es zu tun hat. Schlimmer sind diese ganzen anderen Affen von DFL, die die Fernsehrechte stillschweigend an den Mann vergeben, der die Bundesliga vor ein paar Jahren fast ruiniert hätte. Aber wenn die Kasse stimmt, vergisst man gerne.

  21. Klüngelei und Lobbyismus, wieso sollte das gerade im Fußball keinen Einfluß haben. Die aktuellen Durchsuchungen des Bundeskartellamtes beim DFB passieren sicher auch nicht ohne Grund.

  22. @21: IMHO war der Bruchhagen der einzige, der gegen Kirch war. Und das sagt eigentlich schon alles.

  23. Du sagst es. Es ist für mich immer wieder unbegreiflich, wie vergesslich man im Fußball ist und wie oft Leute, die früher nur Mist gebaut haben, immer wieder in Amt und Macht kommen.
    Weitere Stichworte wären Michael Meier und Reinhard Saftig.

  24. @24 Wobei ich das, ohne wirklich viel zu wissen, für etwas seltsam halte. Seit wann sind denn DFB und DFL Konkurrenten? Da verstehe ich bis jetzt die Begründung des Kartellamts nicht.

  25. So, langsam aber sicher geht es los. Ich zitiere aus der WAZ vom 01.03.08, Sport-Teil, 1. Seite:

    „DFB empfiehlt Rauchverbot
    Frankfurt/Main. In der Diskussion über ein Rauchverbot im Stadion hat der Deutsche Fußball-Bund eine Empfehlung ausgesprochen. Besucher von DFB-Veranstaltungen sollen ab sofort im Stadion nicht mehr zur Zigarette greifen. Dies beschloss das DFB-Präsidium auf seiner Sitzung am Freitag in Frankfurt am Main. Bei Länder- und DFB-Pokalspielen soll demnach „möglichst“ nicht mehr geraucht werden, so der DFB.“

    Macht nur alle weiter so.

  26. @26: Erschreckend.

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