Ich möchte Dein Freund sein – Ein offener Brief an Jörg Dahlmann

Jörg Dahlmann

Lieber Jörg,

seit Jahren, Jahrzehnten bist Du Teil der deutschen Fußballmedien-Landschaft. Da Du inzwischen bei dem Gewinnspielsender DSF arbeitest, bist Du etwas aus der breiten Wahrnehmung der Fußballkonsumenten verschwunden. Aber nicht aus unserer. Es wird Zeit, die Person Jörg Dahlmann zu würdigen und etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn eines ist klar: normal bist Du nicht.

Den Stein ins Rollen brachte die Lektüre des wunderbaren Buches „Die Eintracht – Von Titelträumen und Triumphen, von Abstiegsangst und Aufstiegslust“, in dem zahlreiche mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten Anekdoten zu meinem Verein beisteuern. Unter anderem auch Du. Und in der Begeisterung, mit der Du wahrscheinlich zum 765. Mal Deine Berichterstattung zum besten Tor des Universums Revue passieren lässt, liegt schon ein großer Teil der Wahrheit über Dich, lieber Jörg, verborgen.

Im Gegensatz zu Waldi, Johannes Baptiste, Reinhold, Gerd, Fritz und wie die ganzen Vollpfosten heißen, bist Du ein guter Mensch. Du bist irgendwie in diese korrumpierte Fußball-Journalisten-Gilde geraten, nicht weil Du berühmt sein wolltest, reich oder Dich verkaufen wolltest: Du liebst das Spiel ganz einfach, so wie wir es tun. Auch heute noch merkt man Dir diese Liebe zum Ball in jedem noch so grottigen 2.Liga-Kick an, der so weit von der angeblich so glamourösen Glitzerwelt „Profifußball“ entfernt ist, wie Lothar Matthäus von einem Job in der Bundesliga (Obwohl, bei Wolfsburg weiß man ja nie…).

Beim Lesen Deines Beitrags des oben genannten Buches geht mir das Herz auf, wenn Du erzählst, wie Du Deinen Job riskiert hast, indem Du eigenmächtig die „Ran“-Sendezeit verlängert hast, um den Zuschauern ein ums andere Mal die Wiederholung des Tores zu zeigen. Deine Verzückung, Teil eines dieser „Momente für die Ewigkeit“ gewesen zu sein, ist bis heute spürbar. Und das Schönste ist: Du bist nicht deshalb verzückt, weswegen Kerner und Beckmann verzückt gewesen wären, nämlich weil ihr Name, ihre Fresse, ihr Geschwätz unmittelbar mit diesem Tor verknüpft gewesen wären. Deine Begeisterung hat etwas Demütiges, Ehrliches: Du empfindest es als Ehre, in diesem Moment an diesem Ort gewesen zu sein. Und das macht Dich groß. Du bist ein Freund des Spiels, nicht des Ruhmes. Zynischerweise gereichte Dir genau das in Deiner Karriere nicht zum Vorteil, sonst wärst Du heute bei einem anderen Sender.

Aber vielleicht liegt das auch an einem anderen Umstand, der Dich mir noch sympathischer macht, auch, wenn kaum jemand das versteht. Deine kindlich-naive Art kommt eben (leider oder zum Glück) nicht nur in Deiner Spielkommentierung zum Tragen, nein, man spürt sie in jeder Sekunde Deiner Bildschirmpräsenz. Und ich kann verstehen, wieso manche Menschen genau dieses Verhalten unerträglich finden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, versuche ich, einige Beispiele zusammenzutragen, um Dir, Jörg, zu verdeutlichen, was ich meine:

Unvergessen ist beispielsweise der Abend, an dem Eric Meijer und Willi Landgraf bei Dir im DSF-Studio zu Gast waren, weil Aachen wohl aufgestiegen war. Eine Begebenheit, die alles, aber auch wirklich alles über Dich sagt, war die wieder mal unfassbar saudämliche Gewinnspielfrage, die Willi Landgraf mit den Worten kommentierte: „Wer hat sich denn diesen Scheiß wieder ausgedacht?“. Und Deine Antwort, Jörg, warst Du. Nichts kennzeichnet Dich besser, nichts charakterisiert Dich so wie Dein Kichern, verbunden mit den Worten „Das war ich…“.
Du schäkertest mit Deinen Gästen herum als sei es ein Kindergeburtstag. Wie so oft hat Dir nur die Clownsnase gefehlt. Genauso die Übertragung eines Montags-Livespiels, bei dem Du den ganzen Abend mit einem Paar Fußballschuhen von Punkt zu Punkt gelaufen bist, nur weil irgendein geistesgestörter Anrufer dieses gewinnen konnte. Vergessen wir nicht Deine permanenten Verniedlichungsformen: „Ein Schüsschen“, „Ein Schubserchen“, „Ein Schwälbchen“. Das liebevolle Tätscheln von Friedhelm Funkel, Dein Kommentar zu Reiner Maurer: „Sie sind ja auch schlank!“ oder der zu Marcel Koller nach dem Aufstieg des VfL Bochum: „Trotz der Feiern sehen sie ja fantastisch aus!“.

Immer, wirklich immer bist Du mit Deinen Worten übers Ziel hinaus, immer knapp (oder auch weniger knapp) an dem vorbei, was angebracht wäre. Immer irgendwie fehl am Platze, immer etwas peinlich. Das ist Dein Schicksal, Jörg. Und das macht Dich mir so sympathisch. Jeder kennt doch jemanden aus seinem Umfeld, der so ist. Oft genug ist man es selber. Der, der immer in die Fettnäpfchen tritt. Der, der immer die schlechten Witze erzählt, nach deren „Pointe“ sekundenlanges, peinlich-berührtes Schweigen herrscht. Andere mögen Dich dafür kritisieren, ich möchte Dich manchmal einfach in den Arm nehmen, Jörg.
Ich will ehrlich sein: In meinem Freundeskreis bin ich so gut wie der einzige, der Dich stets verteidigt, egal, welchen Quatsch Du wieder geredet hast. Irgendwas in Deiner Art ist so schwermütig. Es ist etwas Tieftrauriges, Einsames in Dir, was Du mit Deiner „lustigen“ Art nur zu überspielen versuchst. Doch ich durchschaue das Spiel. Ich will Dein Freund sein, Jörg.

Denn Freunde haben nicht nur die Aufgabe, die guten Seiten zu sehen. Bei aller Sympathie muss ich Dir als Dein neuer Freund nun einige unbequeme Wahrheiten ins virtuelle Gesicht sagen. Denn leider hast Du nicht nur eine liebenswerte Seite, sondern noch eine zweite. Sie ist nicht böse oder fies. Nicht mal so richtig inkompetent. Sie ist eher unfassbar nervtötend.
Denn nur einerseits ist Deine Naivität erfrischend. Andererseits ist sie auch der Grund, werter Jörg, weswegen ich Deine ganze Berufssparte und Dich im Besonderen – mit Verlaub – verachte: Die Begeisterung mit der Du den größten Gehirngau, das dümmste Gewinnspiel, die peinlichste Anmoderation zelebrierst, ist einfach nur eklig. Deine Liebe zum Spiel hat sich zu einer grundsätzlichen Liebe zu allem, was drum herum geschieht entwickelt. Dämliche Fragen, dumme Fußballer, eklige Kollegen – auch das findest Du leider alles gut. Du hast Deine kritische Sichtweise verloren, falls Du sie denn jemals hattest.

Deshalb habe ich auch mehr erhofft als ich in dem bereits angesprochenen Eintracht-Frankfurt-Buch folgende Worte Deinerseits vernommen habe: „Ich muss mich outen:“. Ich habe danach einiges erwartet. Wahlweise, dass Du bekennst, Reiner Maurer nicht nur schlank zu finden. Oder, dass Du zugibst, dass Dich die kritiklose Anbiederei Deines Arbeitgebers gegenüber der „Fußball-Prominenz“ genauso anwidert wie das peinlich-würdelose Abzocken seiner unterbelichteten Zuschauer durch noch weiter verblödende Drecksgewinnspiele, was nach dem Verständnis Deines Senders wohl alles als „Journalismus“ betrachtet wird.

Aber nein, nichts dergleichen. Du schreibst nur: „Ich bin gar kein Eintracht-Fan“. Mensch Jörg, so gerne ich es hätte, wenn Du den gleichen Verein verehrtest wie ich. DAFÜR musst Du Dich nicht rechtfertigen. Da gibt es eine ganze Menge anderer Dinge.

Foto: youtube.com

Über den Autor: Goldschuhe aus

Agent provocateur erster Güte. Ansonsten Misanthrop und Eintracht Frankfurt-Fan. Frisur: vorhanden.

Agent provocateur erster Güte. Ansonsten Misanthrop und Eintracht Frankfurt-Fan. Frisur: vorhanden.
26 comments
  1. Dieser Brief hat mich zu Tränen gerührt.

  2. Ich bin tief bewegt!

  3. Wenn ihr alle nur Tränen in den Augen habt, ist mir der kritische Teil des Ganzen wohl zu unscharf geraten…:-)

  4. Nein, das trifft einen dann umso härter. Wie ein Hammerschlag.

  5. Der ist kritisch …

  6. Wenn der Jörg es doch nur lesen und sich zu Herzen nehmen könnte. Er kann alles ändern, er steht auf der guten Seite…

  7. Dass du dir wirklich einredest, dass JD auf der guten Seite steht, ist an der ganzen Sache besonder bewundernswert.

  8. Definitiv tut er das. Daran habe ich keinen Zweifel. Du musst doch den Unterschied zwischen Dahlmann und Kerner erkennen!

  9. Von Kerner will ich hier mal gar nichts hören. Ein Kerner-Vergleich ist wie ein Hitler-Vergleich. Siehe Goodwin’sches Gesetz.

  10. Ja, aber darum geht es doch. Klar, man kann kritisieren, dass Dahlmann Mist redet. Aber er tut es aus anderen Gründen als Kerner/Beckmann/Waldi/Hitler. Dahlmann ist nicht böse. Vielleicht doof, aber keinesfalls schlecht.

  11. Das hast du ja in deinem Brief zur Genüge darzustellen versucht.

  12. Eben. Und mich habe ich überzeugt!

  13. Ich konnte ob meiner Tränen noch keinen klaren Gedanken fassen…

  14. Zu Recht!

  15. Ob Jörg Dahlmann wohl bei Myspace ist …

  16. Myspace ist total überbewertet.

  17. Deshalb ist der Dahlmann auch nicht am Start.

  18. Respekt, Hammer Artikel!

    Vielleicht sollten wir das DSF mit SMS bombardieren, in denen nur unsere Domain steht und die dann in der Dauer-SMS-Rotation reinkommt.

    Der Jörg lässt sich die doch sicher ausdrucken und liest sie sich abends alle durch und kommt so vielleicht doch noch in den Genuss des Artikels…

  19. Ein wirklich rührender Artikel. Ich mag den Jörg.
    An dieser Stelle mein Dahlmann-Lieblingszitat: „Der Kohler würde sogar eine Kiste Bier aus dem Strafraum köpfen!“

  20. „Der Kohler würde sogar eine Kiste Bier aus dem Strafraum köpfen!“

    Hach, der Jörg! Wunderbar, das macht ihm so schnell keiner nach.

  21. Geht’s noch absurder? Unfassbar. ;-)

  22. Ich glaube sogar, Jürgen Kohler hätte das wirklich gekonnt… Wahrscheinlich hat er es dem Jörg mal vorgemacht…

  23. Die Tatsache, dass Ihr Euch so lange mit Dahlmann beschäftigt, zeigt ja, dass Ihr in gewisser Weise tatsächlich von ihm fasziniert seid. Aber: Er ist auch ein Guter. Und ich finde seinen Humor klasse, kann oft darüber schmunzeln. Aber beim Humor scheiden sich eben die Geister. Nur sollte man nicht immer verlangen, dass andere den eigenen Humor gut finden. Also: Mehr Respekt für Andersdenkende! Und das schreibe ich ohne Sarkasmus oder Ironie.

  24. […] Schnaps zu trinken, klar natürlich? In jedem Fall kommen hier schon mal alle Fakten, mit denen Jörg Dahlmann und Martin Quast, das babbelnde Moderatoren-Desaster, fehlende Kenntnis der teilnehmenden […]

  25. Spät. Spät. Spät. Habe alles mit großem Vergnügen gelesen. Glückwunsch an den Verfasser :-) gut, dass ihr mich beim Vergleich mit Hitler rausgenommen habt…

  26. Auch sieben Jahre später verneige ich mich in Demut. Auch wenn es teilweise sehr harsch klang. Aber ich war jung und stürmisch :-)

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